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Die Hinrunde des FC Bayern РZwischen Himmel und H̦lle

Sebastian Gierke
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Das Star-System im Fußball ist, im Grunde, eine grandiose Krankengeschichte: Psychologen behaupten gerne, es sei nicht anderes als die Symbiose zwischen Narzissten –  den Stars – und vielen Komplementärnarzissten – dem Publikum. Die Hinrunde des FC Bayern.

Wenn Star-Spieler auf einen narzisstischen Trainer treffen, der auf dem Feld keine Stars duldet und das Publikum narzisstische Kränkungen in Form von schlechten Spielen und Niederlagen sofort und ungeduldig mit Pfiffen bestraft, dann ist das System gewaltigen Belastungen ausgesetzt.

So geschehen beim FC Bayern München in der Hinrunde dieser Bundesligasaison. Die Spieler, die Jürgen Klinsmann noch umhätschelte und „jeden Tag besser machen“ wollte, sahen sich plötzlich mit dem gestrengen System-Trainer Louis van Gaal, für den die Ordnung innerhalb des Kollektivs das Wichtigste ist, konfrontiert. „Als er angefangen hat, haben sich einige bei uns vielleicht über seinen Ton und seine Art gewundert. Aber jetzt wissen alle, wie er tickt.“, gab Abwehrchef Daniel van Buyten gerade im Trainingslager in Dubai zu Protokoll.

Und so war die erste Saisonhälfte für die Bayern ein ständiges Auf und Ab. Schon nach drei Spieltagen geriet der bis dahin sieglose Louis van Gaal unter Druck. Er konnte sich davon mit einem 5:1 Sieg in Dortmund nur kurzzeitig befreien. Zuvor hatte der Star der Stars, Franck Ribéry, sich über fehlenden Spaß im Training beklagt. In Dortmund sprang er van Gaal dann übermütig in die Arme. „Ribéry hat gezeigt, dass er den Trainer liebt“, schmunzelte van Gaal daraufhin.

Die Richtung schien zu stimmen. Doch es folgten schwache Spiele gegen Hamburg (0:1), Köln (0:0), Stuttgart (0:0), Schalke (1:1) und die beiden Niederlagen gegen Bordeaux in der Champions League. Der FC Bayern blieb in dieser Phase irgendwann sogar 274 Minuten am Stück ohne Tor. Die Zuschauer in der Arena pfiffen, die Spieler waren verunsichert, hatten Angst. Angst vor dem Trainer, Angst vor dem Gegner. Der FC Ruhmreich wurde zum FC Hintenrum: Die Abwehrspieler schoben sich die Bälle zu. Nach vorne keine Ideen, kein Risiko. Arjen Robben und Franck Ribéry waren verletzt und van Gaal hatte den Stürmern, allen voran 30-Millionen-Neuzugang Mario Gomez, durch Vertrauensentzug den letzten Rest Selbstvertrauen entzogen. Das war wohl van Gaals größter Fehler. Und hätten die Bayern am 13. Spieltag zu Hause gegen Leverkusen verloren, van Gaal wäre wohl gefeuert worden, die Zeichen standen auf Trennung. Den Bayern drohte nach dem missglückten Experiment Klinsmann, der Zwischenlösung Jupp Heynckes und dem bis dahin glücklosen van Gaal das Vier-Trainer-Jahr 2009. Dabei wollte doch der als Manager scheidende Uli Hoeneß auch sportlich einen starken FC Bayern hinterlassen. Das 1:1 gegen Leverkusen gab van Gaal noch eine letzte Chance – er nutzte sie.

Seither haben die Bayern alles gewonnen, der Präsident Uli Hoeneß musste noch keinen Punktverlust beklagen. Höhepunkt war das grandiose 4:1 in Turin, das die Qualifikation für die nächste Runde der Champions League sicherte. Und in den zwei Bundesligaspielen danach erzielten die Bayern zehn Tore. Auf Platz drei überwintern, die Tabellenspitze in Reichweite, im Achtelfinale der Champions League und ein von allen gefeierter Louis van Gaal – noch im Herbst schien diese Szenario so wahrscheinlich wie ein Bayern-Trainer Lothar Matthäus.

Doch van Gaal hat seine Mannschaft gefunden, er hat die Stars nach seinen Vorstellungen modelliert, ihnen ein paar Ecken und Kanten abgeschlagen, sie in sein System eingepasst. Mit Druck, aber in den letzten Wochen auch immer mehr mit Verständnis und persönlicher Ansprache. „Jeder Spieler hier ist begeistert von seiner Arbeit“, erklärt van Buyten in Dubai. „Der Trainer sieht Fußball mit Augen, die 40 Jahre Fußballerfahrung hinter sich haben. Er weiß, worauf es ankommt im Fußball.“ Und Philipp Lahm, der Anfang November noch in einem Interview mit Club und Mitspielern abrechnete und damit für großen Wirbel gesorgt hatte, sagt jetzt: „Unser Spiel hat nun Struktur, das ist ein enormer Unterschied zum letzten Jahr. Ich glaube nicht, dass wir dieses Mal einbrechen.“

Er könnte Recht behalten. Die Mannschaft wirkt gefestigt und selbstbewusst – der aufgeblähte Kader wurde in der Weihnachtspause verkleinert. Der potenzielle Unruhestifter Luca Toni wurde nach Rom ausgeliehen, Andreas Ottl und Breno an Nürnberg, Alexander Baumjohann spielt künftig für den FC Schalke 04, weitere Spieler, wie Andreas Görlitz, Christian Lell oder sogar der bislang enttäuschende Anatolyi Tymoshchuk, könnten folgen.

Was kann die Bayern jetzt noch stoppen? Franck Ribéry und Arjen Robben! Die beiden Fußballnarzissten in eine funktionierende Mannschaft zu integrieren wird für Louis van Gaal nicht einfach. Unruhe ist vorprogrammiert. Doch wehe der Konkurrenz, wenn dem Holländer auch noch dieses Kunststück gelingt.

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