Stadt

Die Farben meiner Stadt

Jana Edelmann
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Die Münchnerin Jana Edelmann schreibt für mucbook über das Leben in einer fremden Metropole. Istanbul auf mucbook. Mit offenen Augen. Und bayerischem Herzen.
Kolumne 1: Auf der Suche nach den Farben meiner Stadt…

Topkapi Saray und Hagia Sofia im Morgennebel

Topkapi Saray und Hagia Sofia im Morgennebel

Was macht die Stimmung, das Gefühl einer Stadt aus… Auf einer inneren Landkarte, wie sieht die Heimatstadt aus? Leuchtet sie in kräftigen Tönen, taucht sie blass und verschwommen vor dem geistigen Horizont auf oder knallt sie in kreischend-bunten Farben und blendet das innere Auge?

Denke ich an München, sehe ich hell-strahlende Farbkombinationen. Blau-weiß zum Beispiel. Diese Assoziation auch wohl auch geprägt von romantisierenden Bayern-Klischees, aber hier soll gar nicht an Schäfchenwolken vor bayerischem Sommerhimmel erinnert werden. Viel eher denke ich an die Hipster-Menschenmassen vor dem Gärtnerplatztheater im Sommer, an die ewig sprudelnden Brunnen vor dem LMU-Hauptgebäude, an das Isarufer mit seinen Joggern und flanierenden Pärchen. Weiß-gold ist auch so eine Münchner Farbkombination: Hübsche Blondinen in weißen Kleidchen, die Theatinerkirche vor der Ludwigstraße, Weißweingläser in beringten, manikürten Händen, der Königsplatz bei Sonnenuntergang… Alles ziemlich vollkommene Bilder. Eine heiter-gelassene Idylle, die ungefährliche Sonnenseite des Lebens, das ist mein Münchenbild. Ziemlich perfekt, ziemlich makellos. Wie bunte Farbkreise auf einem weißen Papier, wie eine gepflegte Blumenwiese ohne Trampelspuren. Und jetzt

– Istanbul –

Welche Farbassoziationen löst dieses Moloch an Stadt in mir aus? Welches innere Farbbild entspricht einer Stadt, in der anatolischen Einwanderer in Gecekondu-Slums ohne Elektrizität hausen, in der schwarzverhüllte Frauen, eher Geistern als Menschen ähnelnd, leise durch heruntergekommene Gassen wandeln, in der orientalisch-osmanische Architektur eine der schönsten Silhouetten der Welt erschaffen hat, in der ein glitzernder Bosporus alle Sorgen vergessen lässt, in der chice Tagesbars im Szeneviertel Cihangir fünfmal so hohe Preise haben wie die alten Kaffeehäuser fünf Straßenzüge weiter, in der Elektromusik und Imamrufe durch die Straßen schallen, in denen zehn oder 12 oder 15 Millionen Menschen- keiner weiß es so genau – nebeneinander, gegeneinander, miteinander leben?

Es sind keine klar definierbaren Farbtöne, dafür ist Istanbul zu uneindeutig, zu widersprüchlich, zu vielschichtig. Eher ein Aquarellbild also. Verschwommene Verläufe, durchlässige Übergänge. Mal in freundlich-sanften Farben, dann wieder in dunkel-erdigen Schattierungen. Aber immer mit einem Schleier über der darunter liegenden Farbschicht, der das Stadtbild rätselhaft, undurchdringlich macht. Es ist ein Bild, das nach mehr verlangt: Mehr Wissen über die vielen Kulturen, mehr Verständnis für die unterschiedlichen Lebensentwürfe, mehr Zeit, um aus der faszinierend-fremden Stadt ein Zuhause zu schaffen. Dieses Zuhause wird bestimmt nie so naiv-bunt vor meinem inneren Auge erscheinen wie München, aber aus dem schemenhaften Aquarellbild werden sicher bald schärfer umrissene Formen und Gestalten hervortreten.

Verschleierte Sicht auf die asiatische Seite Istanbuls

Verschleierte Sicht auf die asiatische Seite Istanbuls

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