Kultur

Der Biedersteiner Kellerfasching – Hinterm neuen Anstrich

Philipp Bovermann
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Ok, der Fasching ist vorbei, aber diese Geschichte wollen wir Euch nicht vorenthalten: Der Fasching als Säule des Nonkonformismus in der Rückschau.

Wer in den Keller geht, wird zerstört. Noch immer, Gott sei Dank. Der Biedersteiner Kellerfasching, ein berüchtigtes Urgestein unter den Münchner Studentenpartys, lässt sich nicht wegrenovieren.

Ein bisschen in die Jahre gekommen war er ja, man darf es ruhig zugeben. Fünf Jahrzehnte und unzählige Partys haben ihn gezeichnet, ihm Charakter gegeben – er hat viel gesehen, schweigt dabei aber so unergründlich und stolz wie seine Tradition: Der Keller unter dem Studentenwohnheim Biederstein verschluckt alljährlich zur Faschingszeit Clowns, Skispringer und Neandertaler, um sie in den Morgenstunden wieder auszuspucken – meistens in Zweierpärchen, übel betrunken und mit zerfleddertem Kostüm – ein bisschen kaputt eben, so wie der alte Keller, aber glücklich. Der Kellerfasching ist so etwas wie eine studentische Institution, eine Säule des Nonkonformismus, die sich schweißduftend aus dem Gros gezwungener, spießiger Faschingsveranstaltungen abhebt.

Auch dieses Jahr zog der kostümierte Wahnsinn an zwei Terminen, dem 6. Und dem 15. Februar, unter die Schwabinger Erde. Ihren besonderen Reiz bezieht die Sause aus der Tatsache, dass sie von Anfang an den Ruf des Geheimtipps hatte und ihn sich immer bewahrt hat. Der Kerl, der einem den Becher in die Hand drückt, ist kein professioneller Barkeeper, die Veranstalter sind keine knallhart rechnenden Event-Organisatoren. Vor und hinter der Bar feiert man gemeinsam – und betrunken wird sich auf beiden Seiten. Das ist es, was auch die Besucher spüren: Dieses großzügige Maß an Improvisation und nicht wegkalkuliertem Chaos, dieser angenehme Wille zum gemeinsamen Exzess. Dafür stellen sich die Besucher schon ab zwei Uhr mittags an der Schlange zum Vorverkauf an, der um Vier öffnet. Bis dahin gibt’s Glühwein. Wer zum Biedersteiner Fasching kommt, hat sich nicht von einem schicken Flyer überreden lassen – der Ruf allein reicht schon.

Horst Volling, Hausmeister und so etwas wie die gute Seele des Biederstein, erzählt bei einem Bierchen Geschichten. Zum Beispiel die von dem überaus beschäftigten Pärchen hinter der Bar, das die Tür zur DJ-Kanzel blockierte, weshalb der arme Insasse nicht auf Toilette konnte. Horst schmunzelt. „Beim Sommerfest tauchen dann die Ehemaligen auf. Und wenn ich die Kinder von denen frage, wann sie denn Geburtstag haben, sagen die: im November. Dann weiß ich schon Bescheid.“ Wer zum Biedersteiner Fasching kommt, kennt mindestens eine solche Geschichte. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen – dementsprechend Vorfreude und Energie tragen die Kostümierten unter die Erde, die sich anschließend in den engen Räumen entlädt. Der Ruf des Faschings erfüllt sich dadurch sozusagen immer wieder selbst: Als von den Decken tropfender Irrsinn, angeheizt durch viel zu starke Drinks, als beim Küssen verschmierte Schminke. Menschen, die sich im Schnapsdunst aneinander und die schummrigen Gänge entlang quetschen.

Solche Bilder in den Köpfen sterben nicht so leicht – die „älteste, legendärste und berüchtigtste Studentensause Münchens“ (SZ) hatte nämlich gewaltig auf der Kippe gestanden.  Im Zuge der Renovierung des Wohnheims waren die Wände klinisch weiß übermalt worden, die vormals schummrigen Räume erstrahlten plötzlich gut beleuchtet, mit Türgriffen aus Edelstahl. Es hatte etwas von einer Kastration des unbequemen Biedersteiner Geistes, der letztes Jahr noch in jahrzehntealten Schmierereien und Malereien von den Wänden gegrinst hatte. Was mit den Wänden symbolisch passiert ist, hat aber auch eine andere, handfestere Seite. Das Biederstein, 1952 vom amerikanischen Volk gestiftet und erbaut, war nicht nur das ältestes Studentenwohnheim Münchens.

Es war auch das letzte, indem sich die Bewohner ihre künftigen Zimmernachbarn selbst aussuchen konnten. Anders als in anonymen „Studentenschließfächern“ hatte sich dadurch eine enge Gemeinschaft gebildet, mit einer eigenen, gewachsenen Identität. Das Studentenwerk empfand das eigenwillige Treiben wohl als Dorn im Auge. Im Zuge der Renovierung war auch Schluss mit Selbstbelegung – dafür hingen plötzlich Nummerncodes an den Zimmertüren und Schlösser an den Küchenschränken.

Kurz vor Weihnachten brannten vor den frisch renovierten Häusern die Kreuze. Eine Kunstaktion, mit der die entmündigten Bewohner ihrem hilflosen Zorn Luft machen und das Biederstein, wie sie es kannten, zu Grabe tragen wollten. Es flossen sogar Tränen. Für viele war das Biederstein Heimat, für manche Familie. Jetzt zeigt sich: Auch viele der neuen, zugewiesenen Bewohner wollen das, wofür diese Kreuze brannten, verteidigen und weitertragen. Zum Beispiel den Kellerfasching. Der hatte dieses Jahr das Motto „Feiern als wär‘s das erste Mal“ – letztes Mal hieß es noch „Feiern als wär‘s das letzte Mal“. Der widerspenstige Geist hinter der weißen Farbe lebt. Tradition lässt sich nicht wegrenovieren.

Dennoch ist das erste Mal immer auch das schwierigste. Der neue Keller war „einfach zu sauber und steril“ – in diesem Tenor äußerten sich viele der Besucher – und die Auflagen vom Kreisverwaltungsreferat waren streng, nicht nur was die Besucherzahlen betraf. Das große Atrium des Wohnheims hatte mit seinem gefängnisähnlichen Aufbau regelmäßig für das nicht minder wilde Gegenstück zum Kellerfasching gesorgt, den „Biedersteiner Atriumsfasching“. Dieses Jahr durfte es erstmals nicht mehr genutzt werden. Offiziell war es nämlich als Treppenhaus, und damit als Fluchtweg eingestuft worden. Ein bitterer Schlag. Miriam Althammer, Haussprecherin, ist dennoch optimistisch.

Sie ist selbst erst nach dem großen Umbruch zugezogen und vertritt damit nicht nur ihre Mitbewohner, sondern spricht auch für eine neue, engagierte Generation von Biedersteinern. „Wir werden den Fasching nicht sterben lassen. Und wir sind sicher, dass wir im nächsten Jahr schon vieles besser machen können.“ Dann ist auch der Umbau der anderen Häuser der Wohnanlage fertig. Der Kellerfasching wird wieder in die ursprünglichen, angestammten Gänge ziehen. Wenn es so weit ist, sind zwar auch dort die Wände weiß. Aber das werden sie nicht lange bleiben.

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