Kultur

Der Bluesologist – Gil Scott-Heron in München

Sebastian Gierke
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Draußen erlöst der Regen die Stadt, doch in der Halle ist die Hitze des Tages ungebrochen. Und die Temperatur wird weiter steigen. In der Hitze der Nacht. Die der Erlöser bringt. Die Gil Scott-Heron bringt.

Er schlendert auf die Bühne, groß und hager. Das braune, altmodische Sakko, das fliederfarbene Hemd: viel zu groß.  Schirmmützen-Schatten verdecken die Augen, streichen das zerfurchte Gesicht durch, doch dann bricht das breiteste Grinsen hervor, breiter als der Mississippi.

Scott-Heron albern, minutenlang, er erzählt Jokes. Seine Stimme hätte Verspätung, müsse noch aus dem Hotel nachkommen. Dann setzt er sich an sein Rhodes Piano, die ersten gesungenen Worte aus dem Song „Blue Coller“ (1981): „I’ve been down in Pennsylvania, where I was working in a mine.“ Der Refrain: „You can’t name where I ain’t been down/There ain’t no place that I ain’t been down.“

Hier beim Auftritt am 16. April in Florida, sehr ähnlich:

Die Stimme ist da. Seine bassige Stimme, voller Südstaatenhitze. Der Ton glüht in ihm wie Lava. Und wenn er ihn hinaus lässt, löste er sich von ihm – auf unerklärliche Weise – und wird gegenständlich, erfüllt den Raum, wird selbst zum Raum, zur Aura.

Gil Scott-Heron, Urvater und Prophet des HipHop, einer der am meisten bewunderten, verehrten Storyteller überhaupt, war lange weg, saß wegen Drogendelikten in den vergangenen Jahren immer wieder im Gefängnis.

Jetzt scherzt der 61-Jährige: „Die Leute haben behauptet, ich sei verschwunden! Puff. Ich wusste nicht, dass ich diese Eigenschaft besitze. Puff. Wundern Sie sich nicht, wenn ich während des Konzertes einfach so verschwinde. Puff.”

Die Aufnahmen zum neuen Album „Im new here“ waren Teil der Bewährungsauflagen. Er hat grandiosen elektrifizierten Blues geschaffen, an Grime und Dub geschult.

Auf der Bühne geht es mit seiner exzellenten Band aber an diesem Abend back to the roots. Zusammengestellt aus alten Weggefährten, die sich jedoch einige Male zu sehr in gediegenen Soli verlieren, beschwört er den Blues. Er ist: Bluesologist.

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Alte Schule. Der Blues ist der Anfang, der Blues ist das Ende.

“Winter in America”:

From the Indians who welcomed the pilgrims
And to the buffalo who once ruled the plains
Like the vultures circling beneath the dark clouds
Looking for the rain
Looking for the rain
Just like the cities staggered on the coastline
Living in a nation that just can’t stand much more
Like the forest buried beneath the highway
Never had a chance to grow
Never had a chance to grow

And now it’s winter
Winter in America
Yes and all of the healers have been killed
Or sent away, yeah
But the people know, the people know
It’s winter
Winter in America
And ain’t nobody fighting
‘Cause nobody knows what to say”

Dann: “Almost lost Detroit”. “Work for Peace” leitet er mit Worten ein, die man wirklich jedem Popmusiker, ohne Ausnahme, als lächerlich hippieskes Gebrabel auslegen würde, da so gut wie jede Art von Antihaltung im Pop schon längst als Pathosformel und Klischee entlarvt wurde. Ihm nicht.

Er singt:

“The Military and the Monetary,
get together whenever they think its necessary,
they have turned our brothers and sisters into mercenaries,
they are turning the planet, into a cemetery.“

Es ist so gut. “Be Safe Be Free Be Strong”, “Did You Hear What They Said?” Immer wieder Klassiker, ohne die allzu offensichtlichen bemühen zu müssen. “The Revolution will not be televised”, zum Beispiel.

Erst immer weiter zurück, bis er am Schluss wieder bei den neuen Songs anlangt. “The other Side part 1”, “I’ll Take Care Of You”.

Ganz am Ende: “Celebrate”. Dann verschwindet Gil Scott-Heron. Puff. Die Fans toben noch in der Hitze der Nacht, auch als das Licht schon lange angegangen ist. Draußen hat der Regen aufgegeben.

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