Kultur, Nach(t)kritik

Polt liest Graf РLests`n. H̦rts`n. Schauts`n an.

Thomas Steierer

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Spürbar auf einer Wellenlänge mit Oskar Maria Graf: Gerhard Polt, in seiner parodistisch demaskierenden Treffsicherheit und stoischen Unangepasstheit ebenbürtiger Satiriker. Dementsprechend fesselnd authentisch trug er am Freitag im Literaturhaus vor aus dem Werk der anarchistischen bayerischen Schriftstellerlegende (1894-1967). In der ihm eigenen meisterhaft in diverse Charaktere hineinschlüpfenden Inbrunst machte Polt den literarisch-musikalischen Oskar-Maria-Graf-Abend zur packenden mitunter brüllend komischen Zeitreise.

„Wenn ein Grantler einen anderen in Szene setzt, verspricht der Abend interessant zu werden.“ Marion Bösker vom Literaturhaus sollte mit ihren einleitenden Grußworten zu Beginn der ausverkauften Lesung recht behalten.
Eingängigst trug Gerhard Polt Ernstes und Heiteres vor aus der Feder von Graf (1894 in Berg am Starnberger See geboren, gestorben 1967 in New York).
Musikalisch-humoristisch und virtuos-frech umrahmt von den „Well-Kindern“ aus der Well-Musikgroßfamilie (u.a. „Biermösl-Blosn“, „Wellküren“, “Well-Buam”).
Wie Polt zu Beginn erklärte: Basierend auf dem vor geraumer Zeit gemeinsam mit dem mittlerweile verstorbenen Jörg Hube und der inzwischen aufgelösten Biermösl Blosn geplanten Veranstaltungskonzept. Im Rahmen der großen sehenswerten multimedialen Polt-Ausstellung im Literaturhaus “Braucht`s des” anlässlich dessen 70. Geburtstags im Mai.

Im Epilog von „Wir sind Gefangene“, seinem literarischen Durchbruch aus dem Jahr 1927, lässt Graf (am Freitag auszugsweise via Polt) autobiografisch fesselnd teilhaben in Sachen schriftstellerischer Anfänge in München sowie Verwicklung in Kriegswirren und Revolution. Es geht um Gottesfürchtigkeit, Einsamkeit und Bigotterie –erlebt und mitgekriegt von Graf in Kindertagen. Der Sprung ins Jahr 1917 nimmt mit zu Erlebnissen Grafs nach seiner Kriegsheimkehr, in Richtung Wurzellosigkeit, Lesen, Schreiben, Saufen, Broterwerbsarbeit in einer Bäckerei und hitzigen Sozialistentreffen. Und: Bücherverbrennungen und Repressionen im 3. Reich, von denen Graf selbst betroffen war und die ihn ins New Yorker Exil trieben, brachte Polt am Freitag beklemmend zur Sprache.

Auch tröstend skurrile Aspekte in diesen schwierigen Zeiten beleuchtet Graf in derben, amüsanten und vogelwilden Anekdoten und G`schichten –eine Steilvorlage für den begnadeten Parodisten Polt. Es geht um eine renitente Standlfrau, die Weiblingerin, die statt dem Hitlergruß ihr Trinkquantum 3 Liter mantraartig aufsagt, was in München zum Running Gag der subversiven Nazivereppelung wird. Ein scheinbar stoischer Münchner rächt sich in Straßenbahn subtil beziehungsweise textil an einem Preußen, der ihn wegen versehentlichem AufdieFüßetreten übelst beschimpft mit seiner Zigarre und brennt ihm ein Loch in den Mantel. Und nicht zuletzt: Ein fiktives Treffen Grafs mit Hitler in der Maximilianstraße, eine grandiose Parodie des irren Agitators und totalen Hysterikers, von dem sich Graf zu Schmalznudeln und Kaffee einladen lässt: „Glauben Sie, ich höre mir dem seinen Quatsch kostenlos an?“

„Auf alle Fälle: Lests`n.“ So beschloss Gerhard Polt am Freitag den besinnlich-launigen Abend zu Ehren Oskar Maria Grafs mit dem literarischen Appell an die nach ein paar Zugaben von innen gewärmt in die kalte Aprilnacht von dannen ziehenden Zuschauer. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

Höchstens: Zum Nachlesen und Hören Gerhard Polts selbst neu herausgebracht worden sind zum anstehenden runden Geburtstag gerade dessen Vita und Ouvre. Die Biografie von Gerd Holzheimer: „Polt!“ (erschienen bei LangenMüller) Und: Werkschau (10 Bände und 9 CDs) sowie Interviewbuch „Gerhard Polt und auch sonst“ bei Polts Stammverlag Kein&Aber. Zu sehen bis 10. Juni ist die sehenswerte multimediale Polt-Ausstellung „Braucht`s des?“ im Münchner Literaturhaus. Lests`n. Hörts`n. Schauts`n an.

Foto: Thomas Steierer

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