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Andrian Kreye über Martin Fengel #12

Marco Eisenack

Fengel-Stuck430

Das Ventil eines bunten Wasserballs hängt seit heute in der Empfangshalle der Villa Stuck. Andrian Kreye, einer der beiden Leiter des Feuilletons der Süddeutschen Zeitung, fragt sich, was man denn nun bitte damit anfangen soll.

Das Raffinierte an Martin Fengels Bildern ist, dass er meist keinen Raum für Interpretationen liefert, obwohl ja das die große Qualität der Fotografie ist, wenn sie zwischen konkreter Abbildung und subjektivem Empfinden eine neue Wahrheit schafft. Den Raum für Interpretationen hat sich der Betrachter von Martins Bildern schon gefälligst selbst zu schaffen. Deswegen sind sie so etwas wie ein Porträt des Betrachters in dessen Kopf. Abstrakte Kunst beherrscht diese Methode ganz gut. Die Fotografie eher selten, weil die abstrakte Fotografie schnell in den kunsthandwerklichen Kitsch abrutscht. Martin gehört zu den wenigen Fotografen, die das beherrschen. Und sein großes Vorbild William Eggleston natürlich, wobei Martin meist einen Schritt weiter geht. Bei Eggleston weiß man eigentlich immer, woran man ist – meistens im amerikanischen Süden, in den Ritzen und Nischen des American Gothic, dieser bedrohlichen Idylle wunderschöner Landstriche mit ach so finsterer Geschichte. Da war der Fokus aufs fast schon, aber nie konsequent abstrakte Detail immer auch die Flucht vor dem Hier und Jetzt.

So einfach ist das bei Martin nicht. Der ist viel hinterlistiger, als der elegante Gentleman aus Tennessee. Lässt offen, wo und wann die Aufnahme entstanden ist, hin und wieder auch, was da zu sehen ist. Nicht, wenn er auf Reportage ist. Nicht, wenn man ihn am frühen Nachmittag anruft, ob er nicht für den Redaktionsschluss der Zeitung in ein paar Stunden bitte noch ein Foto zu diesem ansonsten unillustrierbaren Thema zu schicken, das aber bitte auch eine Zeitungsseite tragen muss.

In seinen eigenen Arbeiten aber, stellt sich fast immer die Frage, was man denn nun damit anfangen soll.

Mit dem Ventil des bunten Wasserballs zum Beispiel.

– Ganz direkt – der Geruch von Sonnenöl und Filterzigaretten im Strandbad am bayerischen See, muss Mitte/späte 70er Jahre gewesen sein, jedenfalls lief andauernd überall Fleetwood Mac „Dreams“.

– Die Familie am Pool des Umubano Hotels in Kigali, zwei Schulkinder, ein Vater, die Mutter im Liegestuhl, wohlhabende, frankophone Westafrikaner, der Vater tippt den Wasserball auf die Köpfe der Kinder, die quietschen. Im Schatten der Sonneschirme Herren in Tropenanzügen in Verhandlungen um größere Rohstoffvorkommen, von denen es in Ruanda keine, hundert Kilometer weiter im Kongo unermessliche gibt.

– Elton Johns Show in Las Vegas, Bühnenbild von David LaChapelle, der die Air Artists egnagiert hat, die schon das aufblasbare Schwein für Pink Floyd und die haushohen aufblasbaren Honky Tonk Girls für die Stones gemacht haben. Als hinter Sir Elton John die beiden Brüste in der Größe einer Jumbo-Jet-Nase in die Höhe steigen, hält die Mutter ihrem Jungen die Augen zu.

– Muss man so einen Ball nicht auf alle Fälle mit dem Mund, auf keinen Fall mit einer Pumpe aufblasen, und wer denkt sich so eine Etikette der Selbstkasteiung eigentlich aus, weil das in praller Sonne in jedem Fall zu unanagenehmen Reaktionen führt? Das müssen irgendwelche dieser freudlosen Protstanten gewesen sein, die können keine Leistung ohne Leiden, keine Lust ohne Busse. Gib mir die Pumpe.

– Die Jungs am Strand mit dem Ball. Gerne wieder Dänemark. Bis dahin liegt er als großes Versprechen auf dem Speicher.

Da hat er mich also an der sentimentalen Ader erwischt. Der Hund.

Text: Andrian Kreye

Martin Fengel hat anläßlich des Jubiläumsjahres der Villa Stuck in der Empfangshalle eine Fotoausstellung, die wöchentlich um ein Werk ergänzt wird. Auf mucbook und dem Blog der Villa Stuck sammeln wir Texte dazu.

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