Kultur, Nach(t)kritik

Tod in der Disko

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Werther-04

Albert, Lotte, Ich. Die wohl tragischste Romanze der Literaturgeschichte hat das Volkstheater erreicht. „Die Leiden des jungen Werther“ unter der Regie von Jan Gehler trifft Zeitgeist und Publikum direkt ins Herz. Werther, ein Hipster in Röhrenjeans mit leicht hochgerolltem Hosensaum, wetteifert mit Albert, einem türkisch anmutenden Bart&Brillen-Träger im lässig offen stehenden Hemd, um die Liebe zu Lotte.

Die wenigen Requisiten werden mit einer ganzen Reihe kreativer Gestik komplettiert: In einer Luftkutsche reitet Werther mit seinem Freund Wilhelm und Lottes Freundin Sophie zum Ball. Werther trifft auf Lotte. Bei gutem Electro wird getanzt, geflirtet und getrunken bis der Morgen graut. Szenenwechsel: Lotte und Werther machen einen Herbst-Spaziergang, toben im bunten Blättermeer, genießen ihre Freiheit und diskutieren mit Wilhelm und Sophie über den besten Weg, das Leben zu Leben: Den Genuss der Gegenwart. Yolo!

Wieder ein Szenenwechsel. Sophie tauscht ihren Neon-Gelben Pullover gegen ein graues Exemplar des selbigen. Sie ist die Moral-Instanz, die Werther vor seinem eigenen Unglück warnt, die versucht ihm die Idee vom Selbstmord auszureden. Es wird kalt. Albert kehrt von seiner Reise zurück. Der Winter bricht an. Werther macht die Bühne frei für Lottes Zukünftigen, setzt sich auf einen freien roten Polstersessel im Publikum. Er muss zusehen, wie Albert im Schneegestöber aus den Schneeflocken zwei goldene Ringe fischt, einen davon seiner Lotte ansteckt. Besiegelt durch einen Kuss.

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Und doch kann Werther nicht von seiner geliebten Lotte lassen, besucht sie immer wieder. Im Dreieck springen die liebeswütigen Männer um die bezaubernde Lotte. Mit ihren Freunden besingen sie die schreckliche Liebe auf kreischenden Luftgitarren. Eine Weile geht das so: Bis Lotte ihr zu Hause – eine Treppe, die über der Bühne schwebt- nicht mehr verlässt. Eines Tages drängt sich Werther aber doch an Albert vorbei. Er stürmt die Treppe zu seiner unerreichbaren Lotte hoch, drängt ihr einen Kuss auf die Lippen.

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Nun sieht Werther nur noch einen Ausweg. Das Ende naht. Werther wählt den Freitod. Verlässt zum letzten Mal die Bühne. Tosender Applaus erfüllt die Stille. Das Publikum ist begeistert, Chapeau!

Die Leiden des jungen Werther
Wolfgang von Goethe
Volkstheater
noch bis 1. März 2013

unter der Regie von Jan Gehler
mit Sohel Altan G., Justin Mühlenhardt, Pascal Riedel, Lenja Schultze, Mara Widmann

Fotos: Arno Declair

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