Kultur, Nach(t)kritik

Wendekreis der Sau

Philipp Bovermann
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Sauschlachten

Im Rationaltheater wird mal wieder die Sau rausgelassen, und am Ende liegt ein Mädchen nackt auf dem Tisch und weint. Aber war ja alles nur gespielt,  nur Theater, sogar durchaus rationales Theater, das Theater der Rationalität, und ach, „wos is des für a Elend?“ Im Stück „Sauschlachten“ wird unter der Regie von Dominik Frank ein menschliches Problem, an dem keiner die Schuld trägt und das sich nicht lösen lässt, schlicht verspeist.

Valerie, die Tochter einer Bauernfamilie, hat neuerdings seltsame Anwandlungen. Anstatt zu sprechen grunzt sie nur noch. Mehr erfahren weder wir noch der Rest ihrer Familie, der kausale Hintergrund all dessen bleibt völlig unklar und rückt damit unfreiwillig ins Rampenlicht. Sie als Einzige könnte Aufschluss über die Gründe geben, ob es überhaupt welche gibt, wo das plötzlich alles hergekommen ist, aber gerade sie kann es nicht, müsste es ja sagen.

Vielleicht will sie nicht, die Sau, die dreckade? Da man nicht umhin kann Gründe für das zu finden und zu erfinden, was unter Gottes freiem Himmel geschieht, müssen welche her, und wer in dieser Richtung sucht, der findet. Denn man weiß ja ganz genau: „A Sünd kommt selten allein“, so lautet eben das Sprichwort. Der Knecht, der das vorbringt, betont stets, er sage ja nur „wie’s is“ – und spricht damit aus, was auch den Rest der Familie zu Knechten macht, nämlich der magischen Verwirklichungsmacht der Sprache, die sich in der Tochter verkehrt.

Am Anfang war das Wort, hier läuft es anders herum, insofern ein teuflischer Vorgang für die brav vaterlands- und gottgetreuen Bauern. Valerie sitzt sperrig auf dem Esstisch herum, der abwärts von der Bühne herunterführt und also aus dem Stück hinaus; sitzt genau an der Bühnengrenze und hat ihrer Familie den Rücken zugewandt. Die grunzende Tochter des Hauses ist dessen offenbares Geheimnis und die Schmutzigkeit, die sie darstellt, lässt keinen Zweifel, dass es sich um ein höchst unerfreuliches Geheimnis handelt.

Es muss also etwas geschehen mit dieser Sau, mit der sprachlich und somit sozial gesehen nichts mehr passiert – darin besteht ihre Tat, ihr Affront und, wenn man so will, ihre Gewalt, die wie in einem doppelten Spiegelbild hin und her läuft zwischen ihr und ihrer Familie und eigentlich keinem zugeschrieben werden kann; sie ist einfach da, was soll man machen? Aber machen muss man ja etwas.

Valerie, die sich selbst als Leerstelle serviert, trägt die Projektionen aus, die man an sie heranträgt und die sich in ihr spiegeln. Sie muss daher all die Gewalt erdulden, die zu ihrer eigenen Verdrängung aufgebracht wird. Für die Zuschauer ist dabei das Versaute ebenso offenbar, wie es der Familie im Grunzen der Tochter ist, sie erfüllt dieselbe mediale Funktion: das Familienleben wird als nichtiger, tierischer Stillstand gezeigt, in dem sich kaum verhohlen Zeugung und Verzehr in schlechter Unendlichkeit wiederholen. Das Spiel beginnt und die Karten liegen bereits auf dem Tisch, neben dem schon im Auftakt kopuliert wird. Darauf sitzt die Sau, als wüsste sie als Einzige, was hier gespielt wird, und kann es deshalb nicht sagen.

Als die Mutter die Tafel und damit das Stück mit den Worten „da Schwoansbratn is a scho fertig“ eröffnet, scheint das Schicksal auch der Sau Valerie von vornherein unabwendbar. Der Rest folgt einer allzu natürlichen Logik, die sich im Spracherwerb in jedem Menschen vollzieht – „sag Mama… MA-MA!“ Es gibt daher keine eigentlichen Täter und das Stück kippt niemals in platt Moralisierende. Dennoch weiß man von Beginn an ebenso gut wie die Tochter, die ja selbst mit einem Fuß schon von der Bühne getilgt ist, was kommen wird. Es ist dennoch erschreckend zu beobachten wie die Metapher allmählich und unaufhaltsam wörtlich wird, wie das Schweinefutter aus dem Stall geholt wird.

Was bleibt, ist die nackte körperliche Realität, die dann eben als solche in den Schoß der Familie zurückgeführt wird, wenn es anders nicht geht. Andernfalls droht der Zerfall, die Auflösung im Nichts, das sie verkörpert. „Sauschlachten“ liegt daher, sagen wir: ein bisschen schwer im Magen. Aufgetischt wird das arme Mädchen nochmal am 24. und 25. März, am 7., 8. sowie am 28. April im Rationaltheater. Einlass ist jeweils um 19 Uhr. Man bittet dann eine Stunde später zu Tisch.

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