Kultur, Nach(t)kritik

Großartig. Erschütternd. Komisch.

Thomas Steierer

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Wenn Gott ein schlechtes Gewissen hat, dann entsteht ein Kabarettist. Besonders groß muss dieses gewesen sein im Fall vom Urheber der These Sigi Zimmerschied. Seines Zeichens legendärer Passauer Bühnenfuror. Unverwechselbar in seiner archaischen Sprachgewalt, kompromisslosen Deutlichkeit und mimischen Ausdruckskraft. Nun gibt es das Destillat seiner Bühnenaktivitäten der letzten fünfzehn Jahre in Buchform. Am 31. Juli liest Zimmerschied aus „Die Stachelbeersträucher von Saigon“ in der Lach-und Schießgesellschaft.

In der Werkschau finden sich unter anderem Auszüge seiner letzten Bühnenprogramme. „Lachdichter“ etwa dreht sich um Zimmerschieds seitens BR vielfach abgelehnten, subversiven Fernsehdrehbücher mit seinen Steckenpferd-Attacken auf die katholische Kirche und versuchter „Beamtendestabilisierung“. In „Reißwolf“ etwa plaudert ein erpresserischer Aktenvernichter aus dem Nähkästchen. Abgründe im Kleinen wie größeren Ganzen stets bei Zimmerschied zur Genüge inbegriffen: Großartig. Erschütternd. Komisch.

Zudem enthält die Werkschau allerlei Miniaturen, Gedichte, Bühnenochsentourepisoden. In einer Ode an München verrät er, dass er es dort im August, wenn er traditionell einen Monat lang im Fraunhofer Theater spielt, nur deshalb aushält, weil nahezu alle Münchner weg sind.
Außerdem blickt Zimmerschied zurück auf seine Wurzeln in der Passauer Lederergasse. In der titelgebenden Episode „Die Stachelbeersträucher von Saigon“ etwa spielt der Onkel aus Amerika im Vorgarten seine Vietnam-Kriegserlebnisse nach, indem er sich in ebenjene Stauden warf. So entstand die Theateraffinität des jungen Sigi.

Sein kabarettistisches Erwachen hängt für Zimmerschied zudem unabdingbar zusammen mit der durch CSU, Kirche und Zeitungsmonopol bedingten damaligen geistigen Enge seiner Geburtsstadt Passau: „Mit diesen Einflusskoordinaten würde wahrscheinlich sogar New York zu einem Vorort von Unterhaching gerinnen“. Dagegen begann Zimmerschied in den Siebzigerjahren gemeinsam mit Bruno Jonas und Rudolf Klaffenböck mittels Satire Widerstand zu leisten. Und wie.
Die Werkschau ist kein Ersatz für das besondere Zimmerschied-Bühnenerlebnis, jene packenden Kammerspiele, in denen er mit seinen abgefeimten Jedermann-Biedermännern wie dem Ihobs und dem Scheißhaussepp dem Publikum leibhaftig auf die Pelle rückt und gruselig den Spiegel vorhält.

Als Kompendium zum Nachlesen und Zimmerschied-Neuentdecken erfülllt die Werkschau durchaus ihren Zweck. Und belegt: Gott sei Dank, dass der Schöpfer seinerzeit ein schlechtes Gewissen hatte.


Sigi Zimmerschied: „Die Stachelbeersträucher von Saigon“, LangenMüller, 288 Seiten, 19,99 Euro. 31. Juli, 20 Uhr, Lesung in der Lach-und Schieß-Gesellschaft, 20, ermäßigt 16 Euro.

Fotocredit: LangenMüller

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