Kultur, Nach(t)kritik

„Viele Menschen würden einen gerne scheitern sehen“.

Thomas Steierer

Kehlmann_c_Heji Shin

F wie Familie, F wie Fälschung, F wie Fiktion. Darum dreht sich „F“, der neue Roman von Daniel Kehlmann (Jahrgang 1975). Sein „Die Vermessung der Welt“ mit rund 2,3 Millionen verkauften Exemplaren und inzwischen in 46 Sprachen übersetzt, ist einer der größten Bucherfolge der Gegenwart. Vor seiner vom Literaturhaus München veranstalteten Lesung in der Großen Aula der Ludwigs-Maximilians-Universität am 24. Oktober (20 Uhr) spricht Kehlmann im Interview über die Fallhöhe nach dem Bestseller, Kritikerurteile und seine Mission als Autor.

Angesichts der anlässlich „F“ wieder vollen Bandbreite zwischen Lobpreisung und Verriss: Wie ordnen Sie als ehemaliger Kritiker und Essayist die teilweise heftige Kritik ein, nicht zuletzt bei „Vermessung“ und „Ruhm“, welche Bedeutung haben Kritikerurteile für Sie?

Von dieser heftigen Kritik weiß ich gar nichts. Die „Vermessung“ wird vom Feuilleton ja immer noch regelmäßig gegen den eigenen Erfolg in Schutz genommen, in Deutschland und anderswo. Auch „Ruhm“ wurde eigentlich sehr positiv aufgenommen. Meinen Sie das Feuilleton, oder meinen Sie Wirrköpfe im Internet?

Elke Heidenreich etwa bezeichnete Ihre Werke als „reine Germanistenprosa“.

Elke Heidenreich hat sehr viel dafür getan, „Die Vermessung der Welt“ zum Erfolg zu machen. Dass der Erfolg dann so groß wurde, hat sie mir nie verziehen. Eine Zeitlang konnte sie offenbar gar kein Interview geben, ohne mich zu beschimpfen. Sie wird es trotzdem nicht schaffen, dass ich ihr das übelnehme.

Kritik seitens Feuilleton oder Lesern (via Internet): Welche Kritik aus welcher Warte und in welcher Form nehmen Sie ernst? Und warum (nicht)?

Sinnvolle Kritik nehme ich ernst. Manche Leserrezensionen sind fundierter als das meiste, was in deutschen Feuilletons gedruckt wird, da ist keine Arroganz angebracht. Aber natürlich ist das meiste, was man in Internetforen findet, einfach nur sinnlose Absonderung von Verwirrung und Wut. Ich habe mich ein wenig damit beschäftigt, als ich die Poster-Geschichte in „Ruhm“ geschrieben habe, das war therapeutisch. Danach habe ich diese Dinge nie mehr lesen müssen.

Wie geht man um mit Erwartungsdruck, unter ständiger Beobachtung zu stehen, beträchtlicher Fallhöhe nach einem Bestseller wie „Vermessung“? Erfolg und alle Begleiterscheinungen oder Misserfolg, was ist anstrengender und warum?

Misserfolg ist anstrengender. Erfolg ist ein Glück und ein Privileg, über das ich mich nicht beschweren werde.

Wie sieht es mit den obengenannten Schattenseiten des Erfolgs aus?

Eine Schattenseite des Erfolgs ist sicher eine gewisse Grundaggression. Viele Menschen würden einen gerne scheitern sehen, aus ganz unpersönlichen Motiven, einfach des Erfolgs wegen. Das ist schon anstrengend, ja. Aber die guten Seiten wiegen es mehr als auf.

„F“ dreht sich um drei Brüder. Haben Sie selbst Geschwister? Falls nicht: Froh darüber oder vermissen Sie etwas?

Ich habe keine Geschwister, und ja, ich habe das öfters bedauert. Ich glaube, jedes Einzelnkind sehnt sich nach Geschwistern, und jedes Geschwisterkind wäre manchmal gern ein Einzelkind. Das ist einfach ein normaler psychologischer Mechanismus. Diese Nähe, die man zu Brüdern und Schwestern hat, mit denen man aufwächst, eine Nähe im Guten und im Schlechten, das ist schon etwas, das mich fasziniert – gerade weil ich es selbst nie erlebt habe.

Einer der drei Protagonisten ist Priester, einer ist Banker. Kann Ihre „Mission“ bei F konkret darin bestanden haben, auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen?

Nein, ich glaube nicht, dass ein Schriftsteller auf Missstände aufmerksam machen möchte, wenn er einen Roman schreibt. Ich jedenfalls nicht. Es gibt Missstände, es lohnt sich, über sie zu reden, aber ein Roman ist nicht das Medium dafür. Ein Roman ist das Medium der Gerechtigkeit. Wenn möglich, sollte jeder in ihm auf seine Art recht haben. Das ist das Gegenteil von polemischer Absicht.

Welche Bedeutung hat neben dem Plot die Erzählperspektive für die Atmosphäre eines, im besonderen dieses Romans?

„F“ hat mit „Ruhm“ (Daniel Kehlmanns vorheriger Roman; Anmerkung des Autors) gemeinsam, dass es erzähltechnisch sehr stark um Perspektiven geht. Man erlebt einige Male sogar das gleiche Ereignis aus anderem Blickwinkel, geschildert von einer anderen Person. Das ist einfach ein Motiv, das mich zutiefst fasziniert: Wie unterschiedlich scheinbar gleiche Dinge aus anderen Perspektiven erscheinen. Das interessiert mich sowohl erzähl-, als auch erkenntnistheoretisch.

Welche Projekte, Themenbereiche und Formate reizen Sie für die Zukunft?

Ich werde wohl bald wieder einen Roman zu schreiben versuchen. Ich plane auch ein neues Theaterstück. Und nächstes Jahr halte ich die Frankfurter Poetikvorlesungen, da  habe ich also zu tun.

Lässt sich bereits etwas über das Themenspektrum für Roman und Theaterstück verraten?

Nein, nein, kein Wort, da bin ich abergläubisch. Ich sage gar nichts.

Passt ihr Leben für Sie so, was dürfte sich ändern/so bleiben, im Kleinen und Großen?

Passt schon im Großen und Ganzen. Aber wenn Sie jemanden kennen, der mir ein Ferienhaus in der Toscana schenken will, können Sie ihm aber trotzdem meine Adresse geben.

Karten für 10/ ermäßigt 8 bzw. 6 Euro gibt es hier.

Foto: Heji Shin


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