Kultur, Live, Nach(t)kritik

Touché Amoré: Die Brüllpoeten

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Es muss noch etwas anders als Blut durch diese Ader fließen, die sich seitlich an Jeremy Bolms Hals hinaufzieht und scharf hervortritt, wenn er loslegt. Irgendeine magische Mischung blanker Emotionen, die aus seinem Mund hinaus in die Welt brechen und dort verbal vor sich hin wüten – kurz, heftig und laut. Jeder Song ein Quickie für den Gehörgang, wie gemacht für die Aufmerksamkeitsspanne der ADHS-Generation.

Wobei das zu kurz greift: Nicht umsonst werden Touché Amoré als Hoffnungsträger des Post-Hardcore gefeiert. Die Band reißt dies- und jenseits des großen Teichs Kritiker dazu hin, die Zukunft eines totgesagten Genres auszurufen und ein Revival des Screamo zu beschwören. Dass sie die vielleicht besten Brüllpoeten unserer Zeit sind, haben sie auch im Münchner Feierwerk bewiesen. Dort erlebte man eine Band, die sich in den sechs Jahren ihres Bestehens längst emanzipiert hat von all den Gruppen, mit denen sie sich einst die Bühne teilte. Von Rise Against, Thursday und Envy genauso wie von ihren Mitstreiten im Post-Hardcore-Kollektiv „The Wave“, dem sie gemeinsam mit Bands wie La Dispute und Defeater angehören.

Kuschelkurs in den ersten Reihen

Der Opener „Pathfinder“ ist noch  gar nicht richtig angeklungen, da fliegen schon die ersten Menschen durch die Luft; legen sich euphorisierte Energie und Schweiß klebrig über das Publikum. Vergessen sind die beiden Vorbands – die hübsch-atmosphärischen Dad Punchers und die etwas schräge Self Defense Family, deren Sänger man sich irgendwie auch ganz gut als Sektenführer vorstellen könnte und der sich bei dem Versuch, das Münchner Publikum für sich zu gewinnen, um Kopf und Kragen redet.

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Mit Reden halten sich Touché Amoré nicht auf. Smalltalk ist nicht so ihr Ding, kaum ein Wort richten sie an ihr Publikum. Dafür ist Kuschelkurs mit den ersten Reihen angesagt: Hände und Gesichter berühren, Blicke streifen sich. Immer wieder hält der schmale, rehäugige Bolm sein Mikrofon in die Masse und man schreit gemeinsam. Es sind diese Momente, in denen sich die wahre Essenz der Band offenbart. Denn hinter den treibenden Gitarren, dem entfesselten Schlagzeug und der Stimme von Jeremy Bolm sind es die Lyrics, die all das zusammenhalten. Diese intensiven, fragilen, schmerzhaft persönlichen Zeilen, die der Band Substanz und Authentizität verleihen und einen Kontrapunkt zu ihrem musikalischen Auftreten setzen. Die Rat- und Rastlosigkeit, die darin schimmern. „Nie klang Depression schöner“, heißt es in einer Rezension über die Musik der Band – und der Satz trifft immer noch zu. Genauso wie der Vergleich, dass Bolms Texte klingen, als wären sie unmittelbar seinem Tagebuch entsprungen.

Ein ziemlich wütendes Tagebuch freilich, eines mit zerfledderten Seiten, verwischten Zeilen und vielen Flecken darin. Obwohl es auf „Is survived by“, dem im September veröffentlichten dritten Album der Band, sogar ein wenig positiver zugeht als früher: „Mir geht es einfach zu gut, um negative Songs zu schreiben“, hatte Bolm bereits im Vorfeld der Platte angekündigt. Und in dem Song „To Write Content“ heißt es dazu ganz passend: I won’t fake what is expected to suceed with album three, that’s not me. Eine klare Ansage.

Der tote Gaul galoppiert recht munter

Tatsächlich sind die neuen Songs textlich subtiler und reflektierter, musikalisch gesehen aber galoppiert der tote Gaul aus dem Debütalbum „To the beat of a dead horse“ noch immer höchst munter durch die Setlist, wenngleich neue Songs wie etwa „Just exist“, „DNA“ und „Praise/Love“ allesamt etwas komplexer und aufgeräumter wirken als die alten Stücke. Da kaum ein Song der Jungs aus Los Angeles länger als zwei Minuten dauert, spielen sie eine ansehnliche Mischung aus alten und neuen Liedern aller drei Studioalben. Darunter auch Glanzlichter wie „Seasame“, „The Great Repetiton“ und „Uppers/Downers“ von der zweiten Platte. Was sich dabei durch alle Stücke zieht, ist das Spiel mit dem Paradoxen: Diese beeindruckende Balance zwischen purer Härte und Melodie, Fuck-you-Attitüde und Verletzlichkeit, brüchiger und klarer Stimme, Massenekstase und introvertierter Selbstversunkenheit. Ein wenig atemlos rackern sich Band und Publikum durch die Songs. Keine Pause, kein Durchatmen, keine Ruhe – auch das ist Touché Amoré. Und nach einer knappen, fiebrigen Stunde ist alles vorbei.

Eine Art Quickie eben. Aber einer, nach dem man mit Liebeskummer nach Hause geht, weil die Ohren dem Hirn auf einmal Platz machen für das, was man da eben gehört hat.

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Fotos: Rupert Bassitta

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