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Das Licht, die Maschine

Philipp Bovermann
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Artefakte werfen einen Schatten durch die Zeit, stellen sich mitunter selbst in den Schatten. Die Münchner Künstlergruppe Fake[to]Pretend versucht sich mit „Artefakt“ im Rationaltheater derzeit spielerisch, aber mit großem intellektuellem Schwung an einem Schattentheater-Stück aus der Zeit der deutschen Hochromantik – als Erstaufführung nach 200 Jahren.

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Nein, was ist in der Zwischenzeit nicht alles passiert? Von der Warte des Stückes aus: sehr viel und sehr wenig. Wenn es die lebendigen Schatten, die Welt, zu guter Letzt „mal wieder“ untergehen lässt, dann deshalb, weil diese ganz von selbst ausglimmt wie die tanzenden Lichtpunkte auf den geschlossenen Augenlidern, nachdem man zu lange in die Sonne geblickt hat. Nur eben umgekehrt. Dennoch strahlt dieses 200 Jahre entfernte Datum herüber in den Saal. Was sich diese beiden, eben nicht einfach voneinander getrennten historischen Zeitpunkte einander zu sagen haben, fassen die jungen Künstler eingangs mit der Beobachtung auf, die Kunst habe damals „von Formen des Körperlosen, des Uneigentlichen, des Geistigen“ geträumt; gerade ebenso wie heute „ein Bedürfnis nach neuer Körperlichkeit“ auf den Spielplänen steht.

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Sie inszenieren diese Frage als wesentlich geschichtlich, als Frage nach der Geschichte, und darin als Negativfigur, als Kippfigur und Anamorphose, wie sie das Schattentheater so liebte: Je nachdem, wie man darauf schaut, erscheint jenes hier wie dort verhandelte Kernproblem der Eigentlichkeit selbst mal so, mal so. Die Rückeroberung des Körperlichen wirkt wie ein Traum, wie ein Schatten jener damaligen Sehnsucht nach Vergeistigung, die, nun selbst ein Geist, die neue Gegenständlichkeit heimsucht. Deus ex machina, machina ex deus. Das eigentliche Stück, historisch originalgetreu entlang beweglichen Scherenschnitt-Schablonen auf eine Leinwand geworfen und von einer einzigen, ständig sichtbaren Schauspielerin („Denn wie ihr seht, ich bin ein Schatten auch“) gesprochen, zeigt die Befreiung des Wirklichen und Körperlichen als die einer Prinzessin, die von ihrem königlichen Gemahl in einen Turm eingesperrt vor sich hin darbt, während dieser damit beschäftigt ist, auf den Tasten seiner „Regierungsmaschine“ herumzudrücken. Ein vorgeblicher „Ritter ohne Furcht und Tadel“, und ohne Adel, schließlich sprengt ein „Loch“, so der Originaltitel des Stückes Achim von Anrims, in den Turm – und damit in die Leinwand: Das Wunder der Metalepse, bzw. das Wunder umgekehrter, schattenhafter Medialität im scheinbar hellen Raum.

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So sehr kann man sich täuschen: Auch das Loch war nur aufgeklebt. Mit derart Schwindel erregender Tollheit verdient sich die Inszenierung ihre Fleißsternchen, wirkt aber manchmal auch ein wenig angestrengt. Die Behandlung des Texts als geschichtliches Artefakt nehmen die Künstler als Startschuss für ein ambitioniertes Stück „Artistic Research“ mit der Bühne, das in seinen ständigen Unter- und Durchbrechungen, seinen in die Bühnenmaschine eingeworfenen Referaten, zuweilen vorlesungshaften Charakter entwickelt: Die letzten zweihundert Jahre Mediengeschichte, seit der Aufzeichnung des Stückes, stellen Fake[to]Pretend aus, erklären brav, nachgeliefert bekommen wir pronto alle nur irgend möglichen Bezüge zu philosophischen Problemstellungen, autoreflexiven Schleifen, fantastischen intellektuellen Querschüssen, alles in atemberaubender Taktzahl, die Maschine rumpelt gewaltig. Sogar Horkheimers und Adornos „Dialektik der Aufklärung“ findet noch in einem Nebensatz zumindest eine Erwähnung. So viel Platz muss offenbar sein.

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Nicht Mediengeschichte ist das dann; sondern, von der Perspektive der Bühne aus, eine Mediengeschichte der Geschichte. Was man heute das Digitale und Virtuelle nennt, das ist eben kein faktisch eintretendes geschichtliches Ereignis, sondern „Artefakt“ zeigt es als historisch verbindendes Kontinuum, wiederholt es auf der Bühne und belebt es damit aus seiner scheinbar grenzenlosen Form, als Maschine, neu. Man könnte einwerfen, die aufklärerische Intention der Inszenierung stünde im Widerspruch zum gauklerisch entschwebenden Geist des romantischen Originaltextes; man könnte aber auch, und durchaus zu Recht, entgegnen, dieser Widerspruch sei, na klar, auch wieder nur scheinbar.

Ein bisschen jedenfalls fehlt, bei aller überbordenden szenischen Phantasie, trotz und manchmal aufgrund des intellektuell entbrennenden Feuerwerks, die Leichtigkeit. Viel abgründiger wirkt der sich bekennende Schein, wo er tatsächlich verführen und wirken will und die Verführung nicht nur als diskursive Option gelten lässt – und meist tut er das. Etwa im großartigen Epilog, der nochmal eine ganz andere Taste auf der Regierungsmaschine anschlägt, nach so viel Vortrag und Bühnenzauber. Nach so viel berauschender Nüchternheit.

Das Stück wird im Februar erneut aufgeführt, im Rationaltheater in Schwabing, und zwar am 16., 17., 17., am 24. und am 25.. Einlass ist jeweils um 19 Uhr, Aufführungsbeginn um 20 Uhr. Fotocredits: Ann-Sophie Wanninger.

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