Kultur, Nach(t)kritik

Es wird Zeit für junge Lyrik

Josephine Musil-Gutsch
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Dönerbude, Zahnarztpraxis, Blumenwiese: Das Lyrikkollektiv JuLy in der Stadt macht Lesungen an besonderen Orten. Heute kann man erleben, wie sie das Konzept “Lesung” im herkömmlichen Sinne komplett aufbrechen. Im Giesinger Kulturbahnhof entsteht aus Text, Ton, Tanz, einem Mikrophon, einem Spotlight und einem Raum eine ganz besondere Literaturerfahrung.

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Die Stuhlreihen sind u-förmig aufgestellt, und man fragt sich zu Beginn, wo denn der Stuhl oder das Pult steht, von dem aus vorgelesen wird. Doch dies ist keine gewöhnliche Lesung, die JuLy in der Stadt gestern und heute im Giesinger Kulturbahnhof zeigt. Denn als die Lesung dann ganz unvermittelt beginnt, haben sich die jungen Lyriker entlang der Wand postiert.

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Ein Spotlight fällt auf ein junges Gesicht, untermalt von pochenden, schwirrenden, flirrenden Elektrobeats trägt das Mikrophon eine Stimme durch den Raum. Die Köpfe im Publikum wenden sich und lauschen einem Text von Leander Beil über eine Stadt, in der Regenschirme wie Blüten aufplatzen. Sophie Zmijanek schreitet an ihm vorbei, nimmt ihm das Mikro wie einen Staffelstab aus der Hand und haucht betörende Zeilen hinein – stets passt die Musik zum Text, der Text zur Musik. So geht das weiter, bis die Vortragenden im ganzen Raum an der Wand aufgereiht sind. Jeder schreitet an den anderen vorbei, so wie der Zeiger einer Uhr seine Stunden abschreitet. Das passt auch zum Thema des Abends: Zeitwärts. Es geht in den Texten, die ganz unterschiedlich sind und doch zusammen passen, immer um Zeit. Zeit haben, sich Zeit nehmen, die Zeit, die doch nicht alle Wunden heilt und darum, dass es für Margarethe nie Zeit wird.

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In die Bewegung, die die Vorlesenden beschreiben, mischt sich eine Tänzerin ein, die sich zu den von Roman Gebhardt genial konzipierten Klängen bewegt. Außerdem zeigt Jan Struckmeier wieder den starken Ausdruckstanz, mit dem er schon über die Grenzen von JuLy in der Stadt bekannt ist (SZ vom 8. Juli). So spinnen die jungen Lyriker ein stimmiges Geflecht aus Text, Tanz und Ton durch den ganzen Raum: Es werden sich gegenseitig Bewegungen zugeworfen oder die Texte einander räumlich zugeordnet. Spätestens wenn Elena Kaufmann und Roman Schmid sich voreinander postieren und eine vermeintliche Hommage an das Altmühltal verlauten lassen, merkt man, welch gut durchdachtes, erfrischendes Konzept hier umgesetzt wurde.

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Die Veranstaltung findet statt heute, am 19. Juli 2014 im Giesinger Kulturzentrum (direkt an der U-Bahn-Station Giesing), Einlass: 19.30, Tickets an der Abendkasse 8 Euro. Mehr Infos hier.

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