Kultur, Live

„Sinn und Unsinn gleichberechtigt“.

Thomas Steierer

Der Weg zur Erleuchtung? Der Weg ist das Ziel. Dies ist eines der Lebensundwirkens-Themen des Münchner Kabarettisten Sven Kemmler (Jahrgang 1968). „Die 36 Kammern der Nutzlosigkeit“ heißt sein viertes Bühnenprogramm, das der Moderator der montäglichen Vereinsheim-Satireshow “Blickpunkt Spot“ am Freitag, 26. September (und am 10.12.) in der Lach-und-Schieß-Gesellschaft (20 Uhr) spielt. Im Interview spricht der Autor des Berufsfindungsodyssee-Buchs „Und was wirst Du, wenn ich groß bin?“ und Co-Autor von Michael Mittermeier über die Grundsätze des „Sven-Buddhismus“, Segen und Fluch des Komikerdaseins und das Ende des Neoliberalismus.

 

Sven Kemmler

In Hochleistungsgesellschaft-Zeiten stellen Sie dem Kosten-Nutzen-Kapitalismus mit “Die 36 Kammern der Nutzlosigkeit“ asiatische Gelassenheitsphilosophie gegenüber, die in einem „sagenumwobenem Kloster in den entlegenen Tälern der Shan Berge“ erlernt werden kann. Was ist der rote Faden Ihres vierten Bühnenprogramms?

Quatsch machen! Und ansonsten: der rote Faden ist meine Zeit im Kloster. Aber es ist ein Reisebericht, kein Curriculum. Sonst würde ich ja selbst Leistungsdruck aufbauen. Einer der Grundsätze des Sven-Buddhismus lautet: lachen, atmen, verstehen, verstehen. Ich möchte an einen Ort einladen, an dem für zwei Stunden andere Gesetzmäßigkeiten gelten, wo Sinn und Unsinn gleichberechtigt sind. Inwieweit man das dann nutzt, um seine Alltagswelt in Frage zu stellen, entscheidet jeder für sich.

Was gibt Ihnen das Programm, lässt sich eine Art Quintessenz von “Die 36 Kammern der Nutzlosigkeit“ in Kürze in Worte fassen?

So wie viele ins politische Kabarett gehen, sich an der Ironisierung ihrer Lebenswelt weiden und dann erfrischt ins Hamsterrad heimkehren, gehen bei mir sicherlich viele und sagen: “Lustiger Schmarrn” und das war’s. Deshalb gibt es nicht “eine” Quintessenz, wenn dann nur meine. Und die wäre: ich knabbere ein bisschen an den Säulen der 5 leeren Versprechungen, die der Abt “Zerschlissenes Sofakissen” erstmalig beschrieben hat und mit denen unsere Schritte gelenkt und vom Pfad der Nutzlosigkeit abgehalten werden. Sie sind: “Du willst es. Du wirst es. Du schaffst es. Du hast es. Du bist es.”

Welche Art von Erleuchtung erwartet den Zuschauer, wird er nach der Vorstellung ein anderer sein?

In dem Buch  „Meister Li und der Stein des Himmels“ steht der Satz: “Das Bewusstsein ist ein Abfallhaufen der Gedanken anderer”. So gesehen versuche ich mich an der Mülltrennung. Sicher ist bloß, alle werden zwei Stunden älter nach Hause gehen. Ich bin kein Guru, nur ein einfacher Arbeiter im Weinberg des Unsinns. 

Wie gehen Sie ein neues Bühnenprogramm an? In Kürze: Wie sieht der Entstehungs- und Ausarbeitungsprozess aus?

Lesen, schauen, sammeln, hinsetzen, schreiben, schwitzen, schreiben, zweifeln, schreiben, kichern, machen. 

In Ihrem Buch „Und was wirst du, wenn ich groß bin?“ blicken Sie zurück auf die Vielzahl Ihrerseits ausgeübter Berufe von Herbergsvater über Wildhüter bis Unternehmensberater. Spätestens seit Ihrem ersten Solo „Modernde Zeiten“ (2004) haben Sie zu Ihrer Bestimmung gefunden. Im Buch heißt es: „Selbst auf die Bühne zu steigen ist im Unterschied zur Autorenschaft weniger eine wachsende Berufung als eine Inkontinenz, mit Tendenz zum Durchfall. Man muss, und wenn man muss, muss man dringend.“ Warum genau müssen sie auf die Bühne, worin besteht Ihre Motivation, Kabarett zu machen?

Glücklicherweise habe ich keine Ahnung, warum ich es tun muss. Wahrscheinlich die üblichen Verdächtigen: Narzissmus, Helfersyndrom, Wichtigtuerei und Geliebt-sein-wollen. Der Vorteil ist, solang ich es nicht weiß, kann ich es nicht heilen.

Was ist Segen des Komikerdaseins, was Fluch?

Der Segen am Komikerdasein ist, davon leben zu können. Der Fluch daran ist, davon leben zu müssen.

Nach einem im Buch geschilderten ersten Bühnen-Anlauf Ihrerseits in den Neunzigerjahren war und ist der zweite Anlauf von Erfolg gekrönt. Wie steckt man Rückschläge, Gegenwind und mögliche Selbstzweifel weg?

Wenn ich das wüsste, das hab ich alles verdrängt. Letztlich gilt es, sich Strohhalm um Strohhalm eine Hütte zu bauen, die den hysterischen Verwerfungen zwischen “ich bin völlig unbegabt” und “ich bin der Größte” standhält. Und dann hoffen, dass der Wolf nicht zu stark pustet.

Als Blickpunkt-Spot-Moderator erleben Sie regelmäßig Newcomer und Branchenstars auf und neben der Bühne: Was muss man mitbringen, um in der Szene fußzufassen, welche Fehler sollte man tunlichst vermeiden?

Hier würde ich gerne mit einem Disney-Rezept glänzen, wie: “Du musst es lieben und daran glauben.” Das stimmt zwar, aber es gibt genug Beispiele für andere Werdegänge. Das Wichtigste ist meiner Ansicht, eine eigene Persönlichkeit und Haltung auf der Bühne zu entwickeln. Idealerweise noch Demut. Aber mit Erfolg hat das nichts zu tun. Es gibt vieles, was erfolgreich ist und worauf ich gerne verzichten könnte. Und umgekehrt.

Sie sind langjähriger Co-Autor von Michael Mittermeier, einer der erfolgreichsten Komiker im deutschsprachigen Raum. Was ist das Erfolgsgeheimnis Ihrer Zusammenarbeit, was schätzen Sie an ihm besonders?

Ich schätze seine Neugier. Er ist jeder Art Comedy oder Kabarett (eine Trennung, die er nicht vornimmt) gegenüber offen und lässt sich von allem inspirieren. Wir funktionieren gut miteinander, weil wir schon lange befreundet sind und wissen, was der andere will und kann. Fast wie ein altes Ehepaar. 

Wie hat man sich das gemeinsame Schreiben vorzustellen?

Wie Waldorf und Statler, nur ohne Balkon. Also dasitzen und dann Rumblödeln oder Meckern, ganz nach Verfassung.

Inwieweit half und hilft die Co-Autorenschaft beim Schreiben der eigenen Programme?

Für die eigenen Programme ist es eher irrelevant, doch es unterstützt das Schreiben als solches. Ungefähr so, wie das Lesen beim sich bilden hilft – manchmal mehr, manchmal weniger. Aber selbst beim Weniger ist es noch so, wie Klimmzüge machen – schadet nicht.

Nach (zumindest humoristischer) Erleuchtung des Publikums und Ihrerseits durch die „36 Kammern der Nutzlosigkeit“ ein Ausblick: welche Projekte sind in Vorbereitung oder denkbar?

Gerade gestartet ist “Die Stützen der Gesellschaft”, eine Lesebühne in München (Im Fraunhofer Theater, jeden dritten Dienstag im Monat, 20:30 Uhr; nächste Veranstaltung am 21.10., Anmerkung TS). Und nächstes Jahr kommt das nächste Programm, das sich um das Englische und Englischsprachige drehen wird. Danach ist alles denkbar!

Und: welche Ziele und Wünsche sind noch offen?

Der größte berufliche Wunsch ist es, möglichst viele derjenigen zu finden, die an meiner Art Unsinn Spaß haben. Ansonsten träume ich den Traum eines jeden Kabarettisten: Bei Sonnenuntergang reich und sanft angetrunken an der Küste eines sozial gerechten Staats zu sitzen, die Hand der Liebsten haltend, und dabei dem Neoliberalismus und seinen Verbündeten beim Untergang zuzusehen. Amen.

 

Foto: Marcus Gruber

 

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