Kultur, Live

Die Kanadier von We Are The City: “Popmusic with experiments”

Gloria Grünwald

Cayne McKenzie, Andrew Huculiak und David Menzel aus Vancouver sind wahre kreative Multitalente. Neben ihrem gemeinsamen Bandprojekt We Are The City sind sie nebenbei immer mal wieder auch als Drehbuchautoren, Filmproduzenten oder Filmmusikkomponisten tätig. Und das obwohl sie altersmäßig gerade mal das Viertel-Jahrhundert erreicht haben. Seit Anfang des Jahres sind We Are The City nun auch auf einem Berliner Label gesignt und kommen mit ihrem Indie-Prog-Pop ab Juni nach Europa auf Tour. Wir haben vorab mit Sänger Cayne gesprochen.

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MUCBOOK: Wie kam es zu We Are The City?

Cayne: David, unser Gitarrist, und ich haben uns in der Schule kennen gelernt, als wir acht Jahre alt waren. Ist also ziemlich lange her. Andy, der Drummer, kam dann später dazu. Und mit ungefähr elf oder zwölf haben wir angefangen, eigene Songs zu schreiben. Seit ca. 2008 machen wir unter dem Namen We Are The City Musik. Mittlerweile sind wir drei Mitte zwanzig und machen also seit etwas mehr als 7 Jahren gemeinsam als Band Musik.

MUCBOOK: Wie würdest du euren Sound für jemanden beschreiben, der noch nie etwas von euch gehört hat?

Cayne: Ich würde ihn als experimentelle Popmusik bezeichnen.

MUCBOOK: Wenn du von Experimenten sprichst, meinst du damit vermutlich auch Soundcluster und komplexe Rhythmen, die für euren Stil sehr charakteristisch sind. Wie habt ihr über die Jahre zu diesem Stil gefunden und von wem wurdet ihr beeinflusst?

Cayne: Es gibt eine ganze Liste an Bands, die wir über die Jahre viel gehört haben, die uns offensichtlich mit beeinflusst haben. Aber ich würde sagen, dass der Haupteinfluss aus der Filmmusik kam und sicherlich auch die Tatsache, dass wir aus einer Stadt kommen, in der hauptsächlich Hard Core Musik, zum Beispiel Screamo, gemacht wird. Unser Drummer Andy war in so einer Screamo Band, bevor er zu We Are The City kam. Dieser bunte Mix hat uns geprägt und uns zu denen gemacht, die wir heute sind. Natürlich lieben wir eine Band wie Radiohead bis heute. Aber gerade bei unserem aktuellen Album Violent kann ich nicht sagen, von was oder wem genau wir beeinflusst wurden. Es kommt einfach so raus, wenn du verstehst was ich meine. Ich mag, wie du unseren Stil vorhin beschrieben hast: Soundcluster und komplexe Rhythmen. Wenn mich das nächste Mal jemand fragt, wie ich unseren Sound beschreiben würde, dann sage ich vielleicht einfach das.

MUCBOOK: In Bezug auf Violent fiel in anderen Interviews auch häufiger das Wort “Klanglandschaft”…

Cayne: Andrew hat einen sehr außergewöhnlichen Schlagzeugstil und manchmal kann ein Song deswegen vom Schlagzeug geradezu übermannt werden. Ich meine das aber im positiven Sinne, David und mir gefällt das sehr! Ich glaube, was wir in den Songs auf Violent gemacht haben, ist, dass nicht jeder in seinem einzelnen Teil innerhalb eines Songs bleibt, sondern dass wir alle gemeinsam diese eine Klanglandschaft kreieren.

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MUCBOOK: Reine Instrumentalteile spielen in den Songs auf Violent auch eine sehr große Rolle. Glaubst du, dass sich die Popmusik in Zukunft weiter von der konventionellen Form Strophe-Refrain-Strophe und so weiter entfernen und neue Formen entdecken wird, wie es z.B. in der klassischen Musik immer wieder der Fall ist?

Cayne: Ich finde den Gedanken sehr spannend, dass klassische Musik zu einer anderen Zeit ja nichts anderes als populäre, also sozusagen Pop Musik, war. Einige der bekanntesten klassischen Werke – nehmen wir zum Beispiel “Claire de Lune” – sind in ihrem Arrangement und ihren Tonartwechseln wirklich sehr außergewöhnlich. Ich fände es schön, wenn Musik wieder mehr in diese Richtung geht. Und ich glaube, dass Pop Musik sich gerade echt verändert. Dank des Internets ist es heute so einfach wie nie, Musik zu veröffentlichen. Auch wirklich berühmte Musikstars sind nicht mehr die Könige der Welt, im Gegensatz zu früher in den – was weiß ich – 1970ern, als es nur eine handvoll Künstler gab, die weltweit Unmengen ihrer Platten verkauft haben. Aber auch die Großen verkaufen heute nicht mehr so viele Alben wie früher; gleichzeitig gibt es so viel mehr Musik da draußen. Plattformen wie Pitchfork.com helfen dabei, unbekannte Bands mit unkonventionellen Musikstilen einem größeren Publikum bekannt zu machen. Ich bin total dafür, dass Popmusik weniger konventionell werden sollte. Sie muss es werden, weil es so viele Künstler da draußen gibt, die schon ernüchtert sind, und sagen: „die Leute wollen eh immer nur das gleiche hören, deswegen kriegen wir immer nur dasselbe vorgesetzt.“ Ich glaube aber sehr wohl, dass die Leute etwas Neues hören wollen, auch wenn einige vielleicht noch nicht wissen, wie dieses „Neue“ klingen muss. Also ja, ich hoffe sehr, dass Soundcluster und komplexe Rhythmus-Schemata noch mehr Eingang in die Popmusik haben werden.

MUCBOOK: Als du als Kind angefangen hast, Musik zu machen, wer waren da deine Idole?

Cayne: Ich erinnere mich, wie ich mit zwölf in der High School bei einem Sporttest mitmachen musste. Alle standen so rum und haben gewartet und ich wollte mich mit ein paar neuen Leuten anfreunden. Also habe ich mich mit diesem Mädchen unterhalten und natürlich kam eine klassische Frage auf: sie fragte mich, welche Musik ich gerne höre, und mir hatte diese Frage vorher vermutlich noch nie jemand gestellt. Jedenfalls hörte ich zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine moderne Musik – ich hatte viel Klavierunterricht – und alles, was mir als Antwort einfiel, war: “Beethoven”. Und das war eigentlich auch geschummelt, weil ich gar nicht mal sooo viele Beethoven-Stücke gehört habe. Insgesamt habe ich einfach viele klassische Komponisten gehört, um sie auf dem Klavier zu lernen. Und manchmal gerne auch etwas von Pink Floyd oder ein paar ältere amerikanische Bands aus den Sixties.

MUCBOOK: Hast du schon damals davon geträumt, mit Musik deinen Lebensunterhalt zu verdienen?

Cayne: Davon träume ich immer noch! Ich hoffe, das kommt jetzt nicht arrogant rüber, aber David und ich haben schon als kleine Jungen gedacht, dass wir mit unserer Musik deutlich schneller Erfolg haben würden. Als wir fünfzehn waren, haben wir unsere Lieblingsbands wie Coldplay bei Konzerten gesehen und haben uns vorgestellt, wie es wäre, selbst dort oben auf der Bühne zu stehen. Später haben wir dann natürlich festgestellt, wie viel Arbeit, wie viel Zeit und auch Glück es dafür braucht. Ich träume immer noch von einem glücklichen Zufall, der uns als Band noch erfolgreicher machen wird.

MUCBOOK: Euer Album Violent ist vor zwei Jahren in Kanada erschienen, im März diesen Jahres folgte dann der Europa Release auf dem in Berlin ansässigen Label Sinnbus. Für die Arbeit an Violent seid ihr gemeinsam in ein altes Haus eingezogen, dass danach abgerissen wurde. Was war das für ein Gefühl?

Cayne: Wir standen dabei, als das Haus abgerissen wurde, und haben es sogar gefilmt. Es war seltsam, aber gleichzeitig schön. Als wir eingezogen sind, habe ich dem Haus den Namen „The Magic House“ gegeben und habe mir das Haus von da an als ein lebendiges Wesen vorgestellt. Wir wussten, dass wir die letzten Bewohner sein würden und konnten so alles, was uns das Haus an Inspiration und Energie gegeben hat, aufsaugen und verarbeiten. Es ist ein besonderes Gefühl, wenn du weißt, dass nachdem du ausziehst, nicht einfach jemand neues einzieht, sondern dass es wirklich dein ganz persönlicher Ort ist und immer bleiben wird. Außerdem hat unsere Gruppe von insgesamt sieben Leuten in dem Haus über zwei Jahre auch einen ziemlich großen Schaden angerichtet, deswegen war es wahrscheinlich auch besser, dass das Haus abgerissen wurde.

MUCBOOK: Neben dem Album habt ihr parallel auch an einem gleichnamigen Film gearbeitet, der nicht nur thematisch stark mit dem Album verbunden ist. Ausschnitte aus dem Film sind in euren Musikvideos zu sehen und Teile der Songs auf Violent klingen umgekehrt im Film an. Der Film wurde in eurer Heimat Kanada hochgelobt und hat bei einigen Filmfestspielen Preise gewonnen. Wie habt ihr diese beiden Projekte gleichzeitig gestemmt?

Cayne: Andrews Bruder hat mit ein paar Leuten eine kleine Filmfirma, The Amazing Factory, mit denen wir für Violent (den Film) zusammen gearbeitet haben. Wir haben in dieser Phase auch alle zusammen im „Magic House“ gewohnt. Auch wir Bandmitglieder haben unseren Teil zu dem Projekt beigetragen, Andrew war der Regisseur, ich habe die Filmmusik geschrieben und war als Regieassistent in Norwegen dabei, David war maßgeblich am Score beteiligt und so weiter.

MUCBOOK: Der Film spielt in Norwegen, warum?

Cayne: Wir wollten unseren Fans etwas Neues zu sehen geben. Wir haben ja nie damit gerechnet, dass der Film so ein Erfolg werden würde über die Grenzen von Vancouver und sogar Kanada hinaus. Zu der Zeit haben wir viel Musik skandinavischer Bands gehört und skandinavische Filme gesehen. Die dortige Kultur hat uns fasziniert – Kunst und Künstler werden dort in meinen Augen deutlich mehr unterstützt als in Kanada – und obwohl keiner von uns norwegisch spricht, haben wir uns für schließlich für Norwegen entschieden.

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MUCBOOK: Im Film geht es um grundsätzliche Fragen des Lebens, den Tod und die Frage nach der Existenz Gottes. Auch die Songs auf Violent drehen sich um diese Themen. Bist du gläubig?

Cayne: Ich bin nicht sehr religiös, aber ich finde, einer Religion anzugehören ist auf jeden Fall eine wertvolle Erfahrung. Es gibt so viele wunderschöne Traditionen in den verschiedenen Religionen, die ja nicht ohne Grund die Jahrtausende überdauert haben. Ich glaube, dass die Suche nach Gott, oder dem Sinn des Lebens, was mit uns passiert, wenn wir sterben, dass ein jeder für sich nach diesen Dingen sucht. Ob du nun an einen großen Mann oben im Himmel glaubst oder ob du glaubst, dass Gott im Frühling die Knospen zum Sprießen bringt. Jeder hat eine unterschiedliche Sicht auf diese Fragen, aber wir alle beschäftigen uns mit ihnen. Für unseren ersten Film gab es deswegen nichts, worüber wir lieber gesprochen hätten.

MUCBOOK: Für eure Violent Europatour werdet ihr auch in Deutschland spielen. Ist das euer erstes Mal in Deutschland bzw. in München?

Cayne: Im Februar haben wir eine kleinere Tour mit Stopps in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Belgien gemacht und davor hatten wir auch schon mal in Großbritannien, auf dem Reeperbahnfestival in Hamburg und ein paar Gigs in Berlin gespielt. Letztes Jahr im April waren wir für ein Konzert in München, wo wir an der „Hauskonzerte“ Serie teilgenommen haben. Das war unser erstes Konzert in Deutschland und es lief ziemlich bescheiden. Versteh mich nicht falsch, es hat total Spaß gemacht und wir haben mit dem Publikum herumgealbert. Leider ist uns aber beim Anschließen unseres Equipments ein Fehler mit der Stromspannung unterlaufen und wir haben einige unserer Geräte kaputt gemacht. Wir mussten an dem Abend mit einem extrem reduzierten Set spielen und es klang einfach grauenvoll! Ich freue mich sehr, nach München zurückzukommen und es diesmal besser zu machen! Damit wir diesmal mehr Musiker als Stand Up Comedians sein können, haha!

Eine englischsprachige Version des Interviews, sowie ein Audio-Feature findet ihr hier.

Weitere Infos zur Band:
www.wearethecity.ca
Facebook

Fotocredit: Kirsten Berlie

Leider wurde der Tourtermin in München nach unserem Interview abgesagt. Über einen Nachholtermin ist bisher nichts bekannt. Wir wollten euch trotzdem dieses überaus interessante Gespräch nicht vorenthalten.

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