Kultur, Nach(t)kritik

Hashtag Flashback – Angriffe auf Anne im Theater Drehleier

Sebastian Huber

Letztes Wochenende habe ich eine Inszenierung der Abschlussklasse der Neuen Münchner Schauspielschule im Theater Drehleier besucht. Ehrlich gesagt bin ich die Rosenheimer Straße noch nie so weit hinuntergelaufen und war ziemlich überrascht. Man hat fast das Gefühl einer Zeitreise ins schmuddelige München der 80er Jahre, wenn mit Neonschrift die einfallslosen Namen von Casinos an den Fassaden heruntergekommener Altbau-Häuser prangen. Hier, zwischen Rosenheimer Platz und Ostfriedhof, ist das Theater Drehleier zuhause. Der Vorstellungsraum wirkt sehr opulent eingerichtet und man merkt, dass das Theater schon einige Jahre auf dem Buckel hat. Die Inneneinrichtung bewegt sich dabei irgendwo zwischen Edelbordell und Zirkuszelt, und hat vielleicht gerade deswegen ihren Charme.

Und in diesem Ambiente wird uns Anne vorgestellt, eine Frau, die während des Stücks von erzählenden Stimmen entworfen wird. Da gibt es die glückliche Reiseleiterin-Anne, die Bombenleger-Anne, die Nazi-Anny, die verwirrte Autofahrerin mit ihrem Kind, Anuschka „in den Tüten“ – es gibt multiple Identitäten, die sich in ihrem Namen überschneiden und es fraglich werden lassen, ob es überhaupt eine Person Anne an sich gibt. Was meine Einschätzung der Vorstellung betrifft, muss ich dazusagen, dass ich das Stück vor zwei Jahren selbst gespielt habe und daher sehr gut kenne, gleichzeitig aber natürlich auch durch meine Inszenierung geprägt bin.

Anne 4

Die erste Szene des Stücks spielte vor der Bühne und verlor sich so leider etwas im großen Zuschauerraum, den man mit einem beeindruckenderen Anfang wohl mehr hätte fesseln können. Teilweise wirkten die Bewegungen und Sätze der Schauspieler noch unmotiviert oder schlecht gesprochen, was sich aber im Laufe des Stückes etwas besserte.

Überrascht haben mich vor allem die zwei Popsong-Einlagen, eine super Show. Sie gaben dem Stück eine für mich ganz neue Dimension, waren aber gleichzeitig auch ein Symptom dafür, dass die Inszenierenden und die Regie ‚Angriffe auf Anne‘ etwas zu sehr zu ihrem eigenen Stück machten.

Szenen in denen jedem zweiten Wort ein „hashtag“ vorgesetzt wird, sind 2015 nicht mehr innovativ, sondern nur noch albern und können dem neoliberalen Funktionssprech eines Martin Crimp auch nicht das Wasser reichen. Daneben etablierte sich in der zweiten Hälfte der Vorstellung eine Art Slapstick-Humor, der zwar (wie immer) funktionierte, aber dem Stück meiner Meinung nach sehr zuwider lief. Klar sollte man viel ausprobieren und eine Inszenierung eben auch in der Gruppe erarbeiten, aber man muss nicht jeden Kalauer mitmachen. Besonders schade fand ich daran, dass es in der Inszenierung am Ende nichts gegeben hat, das für mich die verschiedenen Geschichten von Anne, die paradoxen Aussagen des Textes zusammengehalten hätte. Ich hätte mir ein stärkeres Leitelement gewünscht, welches den Text aus dieser Fragmentierung gerettet hätte.

Großartig: vor allem Felix Lehmann in seinem Monolog, bei dem er eine emotionale Tiefe zeigte, die es sonst an keiner einzigen Stelle der Vorstellung gab. Auch das Spiel von Anna Fleck war beeindruckend und wirkte sehr unverkrampft. Max Beier war in seinen Rollen souverän und unterhaltsam, ich hätte mir aber gewünscht, mehr von ihm zu sehen als nur den Spaßvogel. Linda Hempel und Ann-Sophie Ludwig lieferten eine solide Leistung ab, nur Lisa Oertel stach teilweise als etwas unauthentisch heraus, was aber möglicherweise an ihrer Rolle als ‚naives nerviges Girl‘ liegen könnte.

Alles in allem war der Besuch an sich sehr unterhaltsam, aber eben nur das, und ich denke, man hätte vor allem von Seiten der Regie wesentlich mehr aus dem Text herausholen können.

NMS Anne by Marie Navarre


 Mit der Abschlussklasse der Neuen Münchner Schauspielschule:

Max Beier, Anna K. Fleck, Linda Hempel, Felix Lehmann, Ann-Sophie Ludwig, Lisa Oertel
Regie: Vincent Kraupner
Ausstattung: Monika Staykova
Songs: Max Beier
Musikalische Einstudierung: Marie Brandis
Regieassistenz: Franziska Reng

Alle Fotos von Peter Nitzsche.

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