Kultur, Live

“Wer hat heutzutage schon noch einen Walkman?” | Gengahr im Interview

Gloria Grünwald

Nachdem die Jungs von Gengahr mit ihrem Konzert in der Milla am vergangenen Sonntag einen Tour-Abschluss wie aus dem Bilderbuch der Indie-Clubkonzerte ablieferten, bleibt für uns jetzt erstmal das Warten auf Album Nr. 2. Oder die nächste Überraschungs-EP. Ihr wollt euch die Wartezeit ein bisschen verkürzen oder aber das letzte Wochenende mit Gengahr noch einmal Revue passieren lassen? Ihr habt keine Ahnung, wer Gengahr überhaupt ist? Dann bitte hier entlang.Vor ihrem Konzert haben wir mit Sänger Felix Bushe und Bassist Hugh Schulte gesprochen und wollten unter anderem wissen, wie man sich als junge Band im Haifischbecken London behaupten kann, wer Gengahrs Vorbilder sind und ob die Kassette wirklich ein Comeback feiert.

Während die Vorband noch mit dem Soundcheck beschäftigt ist, quetschen wir uns zu dritt auf die Sessel im Vorraum. Felix und Hugh sehen zwar müde, dafür aber gut gelaunt aus.

gengahr5MUCBOOK: Diese Frage musstet ihr in letzter Zeit wahrscheinlich ziemlich häufig beantworten, aber trotzdem: Wie würdet ihr euren Sound jemandem beschreiben, der noch nie etwas von Gengahr gehört hat?

Felix: Zu spezielle Beschreibungen haben wir mittlerweile aufgegeben. Wir nennen unsere Musik einfach “Psych Pop”.

Hugh: Oder noch allgemeiner “Alternative Pop”.

MUCBOOK: Wann habt ihr eigentlich mit der Musik angefangen? Das ist schon eine ganze Weile her, oder?

Felix: Ja, das war ziemlich früh. Ich weiß, das sagt jeder. Aber wir haben in Bands gespielt und eigene Songs geschrieben, da waren wir so elf oder zwölf.

Hugh: Danny (Schlagzeug) und ich haben uns in der Grundschule kennen gelernt, wir haben uns also sogar noch früher musikalisch ausprobiert, vielleicht mit neun oder zehn. Mit elf haben wir dann Felix kennen gelernt und das waren dann die ersten Versuche als Trio. (Anmerkung der Redaktion: Gitarrist John kam erst einige Jahre später dazu)

Felix: Dass wir früh angefangen haben, heißt aber nicht, dass wir sowas wie musikalische Wunderkinder waren. Am Anfang klang die Musik, die wir gemacht haben, wahrscheinlich noch ganz furchtbar. Aber wie bei allem gilt auch für die Musik: Übung macht den Meister!

MUCBOOK: Wenn ihr an diese Anfänge zurückdenkt – Hattet ihr denn damals schon Pläne, später mal zusammen in einer Band zu spielen oder war das am Anfang eher vorsichtiges Herumexperimentieren?

Felix: Nein, ich glaube der Ehrgeiz war schon damals da. Wir wollten immer schon Musik machen, mehr als alles andere. Ich glaube, diese Entscheidung haben wir relativ früh getroffen. Natürlich gab es da eine Zeit, so mit Anfang zwanzig – das war kurz bevor wir bei unserem Label unter Vertrag genommen wurden – in der wir gezweifelt haben und dachten, dass wir vielleicht doch etwas anderes machen müssen. Aber davor waren wir eigentlich immer sehr überzeugt von unserem Plan. Ich bin froh, dass er funktioniert hat.

Mehrere Leute zwängen sich an unserem Stuhlgrüppchen vorbei.

Hugh: Nach einer kurzen Werbepause geht es weiter!

MUCBOOK: In London aufzuwachsen bedeutet, von einer Unmenge kreativer Menschen umgeben zu sein. Nicht nur für Musik, sondern auch für alle anderen Künste ist London ein regelrechter Knotenpunkt in England. Was könnt ihr aus eigener Erfahrung sagen: Macht die Stadt es härter oder einfacher für junge Bands, bekannt zu werden?

Hugh: Ich glaube, uns hat die Atmosphäre in London sehr geholfen. Die Konkurrenz ist groß und deswegen strengt man sich besonders an. Wenn man sich des ständigen Wettbewerbs nicht bewusst wäre, dann würde man, glaube ich, sehr schnell selbstgefällig und holt nicht das Beste aus sich heraus. Für uns war London gut!

Felix: Ja, da stimme ich dir zu. Klar, das Leben als junger Musiker in London hat seine Tücken. Du bekommst weniger Zeit, um dich zu entwickeln, als du es woanders könntest. Ich meine damit, wenn du auch nur annähern gut bist, ist es sehr wahrscheinlich, dass es irgendjemand herausfindet und die Londoner dich spielen sehen wollen. Das ist für junge Bands manchmal sehr hart, gerade wenn sie eigentlich noch nicht bereit sind, ihre Musik noch nicht ganz ausgereift ist. Uns ist das in unseren frühen Jahren als Band auch passiert. Auf einmal ist da dieser Riesendruck, der alles kaputt machen kann. In der Hinsicht ist es schon ein bisschen schwierig. Aber London, das ist für mich der ‘place to be’ für junge Musiker! Alle guten Labels sitzen hier. Und es ist toll, dass London so eine riesige Musiklandschaft hat mit so vielen fantastischen Bands, denen man nacheifern kann oder die man eben übertrumpfen will.

gengahr2MUCBOOK: Ihr habt in den letzten Jahren viel Zeit damit verbracht, verschiedene Richtungen auszuprobieren und euren eigenen Sound zu finden. Gab es einen bestimmten Punkt, an dem ihr euch sicher wart, dass es jetzt wirklich klappt und ihr den Durchbruch schaffen könnt?

Felix: Wir hatten anfangs mit Gengahr ziemlich bescheidene Ambitionen. Es ging uns nicht um Erfolg, sondern mehr darum, als funktionierende Band unseren Platz in der Welt zu finden. Als wir unsere ersten Gengahr-Demos rausbrachten, gab es anerkennendes Feedback von Blogs und auf Soundcloud. Das hat sich wirklich gut angefühlt, kam aber zu dem Zeitpunkt auch total unerwartet. Wir hätten niemals mit dem gerechnet, was dann passiert ist und vor allem in was für einem Tempo.

Hugh: Wenn ich an vor ein paar Jahren denke, würde ich sagen, je älter wir wurden, desto weniger ehrgeizig und realistischer haben wir die Dinge gesehen. Der Erfolg kam dann, als wir es am wenigsten erwartet haben.

Felix: So hat sich alles sehr gut entwickelt für uns. Ich glaube, wenn wir schon früher große Aufmerksamkeit bekommen hätten, dann wären wir heute eine schreckliche Band oder schreckliche Menschen.

MUCBOOK: Felix, du lässt dich beim Songwriting laut eigener Aussage auch von den Arbeiten des Filmemachers David Lynch inspirieren. Deine Texte und eure Musikvideos spiegeln das wider. Die düstere Stimmung ist typisch für Gengahr. Wie wichtig ist es dir, in deinen Songs Geschichten zu erzählen?

Felix: Natürlich muss man jeden Song für sich betrachten, aber Geschichten zu erzählen war mir immer wichtig. Ich glaube, bedeutungsloses Zeug zu schreiben ist einfach, es kann beim Schreiben aber auch schnell passieren, dass der Song zu persönlich wird. Man muss also einen Mittelweg finden und etwas schreiben, mit dem sich andere gut identifizieren können. Das hat immer Priorität. Dass ich auf dem ersten Album viele Erzählungen in den Songtexten verpackt habe, heißt aber nicht, dass das auch in Zukunft der Fall sein wird. Zumindest nicht ausschließlich. Aber es stimmt schon, dass mir beim Schreiben oft ganz automatisch wieder eine neue Geschichte einfällt.

MUCBOOK: Wie haben euch andere Bands bis heute beeinflusst? Damit meine ich nicht nur die Musik, sondern auch die Menschen in einer Band oder bestimmte Konzerte, die ihr gesehen habt?

Felix: Ich glaube, wir haben viel gelernt von den Maccabees und Alt-J (Anm. d. Red.: Gengahr durften beide schon als Support begleiten). Alt-J zum Beispiel sind total professionell und routiniert. Die machen ihr Ding, und zwar nicht um anderen zu gefallen oder kommerziell erfolgreich zu sein. Sie haben einfach einen sehr starken Glauben in die Musik, die sie machen, und deswegen funktioniert es so gut. Auch die Jungs von den Maccabees sind so nette Menschen, das habe ich in dem Business echt selten erlebt. Auf Tour kam Orlando (Anm. d. Red.: Sänger der Maccabees) vor dem Konzert zu uns, um uns Glück zu wünschen. Du triffst selten Leute, die trotz ihres Erfolgs so am Boden geblieben sind. Die Erlebnisse mit Alt-J und den Maccabees haben uns echt eine Lektion erteilt, kann man sagen. Da könnten sich viele Bands noch eine Scheibe abschneiden. Wirklich bewundernswert!

MUCBOOK: Ihr habt erst letztens eine limitierte Version eures Debütalbums „A Dream Outside“ auf Kassette rausgebracht. Glaubt ihr, nach der Schallplatte feiert die Kassette ihr Comeback?

Felix: Ich bezweifle es (lacht). Aber die Leute scheinen einen Sammelwahn zu haben…

Hugh: Ich glaube, das ist mehr Merchandise als alles andere. Aber eine Kassette ist schon ein schönes Teil.

Felix: Viele Leute kaufen die Tapes und hören sie dann aber nie an. Wie viele Leute haben heutzutage schon einen Walkman? Ich erinnere mich, wie ich als Kind ständig den Walkman von meinem Dad geklaut habe. Später bekam ich dann einen Discman und fand das ziemlich scheiße, weil der unterwegs nie so gut funktioniert hat.

gengahr4MUCBOOK: Ihr habt eine eigene Kunstaustellung auf die Beine gestellt mit Cover-Artworks von euren Singles und eurem Album. Hugh, die Bilder stammen von dir. Wie war es, den Leuten auch eine andere künstlerische Seite an dir zu zeigen?

Hugh: Das war cool. Ich habe damals an ein paar Sachen gearbeitet, die gut mit unseren Songs funktioniert haben, außerdem mussten wir dann keinen Grafikdesigner oder so bezahlen. Als wir uns entschieden hatten, meine Bilder als Cover für die Singles zu verwenden, haben wir mehr durch Zufall auch andere Bands getroffen, die etwas Ähnliches machten. Wir haben dann gemeinsam die Ausstellung bestückt. Es war ein lustiger Abend.

Felix: Es schien uns ein guter Weg zu sein, um zu zeigen, was einige von uns neben der Musik noch alles so machen. Es war schön, diesen Abend mit anderen Musikern auszurichten. Bands können nämlich noch mehr als nur touren und Musik machen.

MUCBOOK: Ihr seid im Moment auf eurer ersten Europa-Headliner-Tour. München war der letzte Tourstopp. Wie fühlt es sich an, so viele Menschen bei euren Konzerten zu sehen?

Felix: Es war Hammer! Die Tour war ziemlich lang. Angefangen hat sie im UK und dann waren wir insgesamt sieben Wochen unterwegs. Heißt, wir sind alle ein bisschen fertig, aber gleichzeitig auch total glücklich. Es war unglaublich, auch weit weg von zu Hause so viele Menschen bei unseren Konzerten zu sehen und es ist ein tolles Gefühl, endlich unsere eignen Shows in vielen verschiedenen Städten zu spielen.

MUCBOOK: Ihr habt schon beim Glastonbury gespielt, das könnt ihr also schon mal von eurer Wunschliste streichen. Was steht noch auf der Liste?

Felix: Ich glaube, wir wollen hauptsächlich gute Musik machen. Wir haben nicht den Wir-wollen-ein-Konzert-auf-dem-Mond-spielen-Ehrgeiz.

Hugh: Ein Konzert auf dem Mond würde mir aber gefallen.

Felix: Ja, stimmt. Das wäre wohl schon ziemlich cool. Aber wir wollen einfach weiter gute Alben schreiben. In naher Zukunft haben wir es jedenfalls nicht auf große Arena-Konzerte abgesehen. Aber ich wünsche mir, dass wir ein zweites Album rausbringen können, das genauso gut ist wie das erste. Oder vielleicht sogar noch besser!

Hugh: Das ist unser Plan A.

Felix: Genau, Plan A. Und einen Plan B haben wir nicht.

gengahr3MUCBOOK: Das wäre jetzt meine nächste Frage gewesen…

Felix: Schauen wir mal, was aus Plan A wird und wenn es nicht funktioniert, dann müssen wir uns schnell was überlegen. Wenn das zweite Album nicht so gut ausfällt, wie geplant, meine ich…

Hugh: Vielleicht wird es dann das dritte.

Felix: Das dritte Album wird dann noch besser als das erste und das zweite Album zusammen. Hier haben wir unseren Plan B!

MUCBOOK: Klingt wie ein Masterplan.

Felix: Das tut es.

Hugh: Ja, danke für die Hilfe!

Felix: Ich bin froh, dass wir darüber gesprochen haben.

Beide: (lachen) Cheers!

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