Aktuell, Kultur, Nach(t)kritik

Zeig mir, wie ein Shitstorm geht

Juliane Becker

Mit Wut hat sich die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek den Anschlägen auf Charlie Hebdo vom Januar 2015 gewidmet – in einer Orgie aus Sprechdurchfall, Shitstorm und Kunstkacke hat Nicholas Stemann nun die Uraufführung in den Münchner Kammerspielen inszeniert.


Jesus hat zur Homeparty geblasen. Auf seiner Couch tummeln sich Buddha, Zeus und Ganesha, außerdem noch der Weihnachtmann und das Fliegende Spaghettimonster. Die Stimmung ist großartig. Jesus schießt ein paar Selfies und das Fliegende Spaghettimonster erklärt Nummer fünf seiner acht “Mir wär’s wirklich lieber, du würdest nicht”-Gebote: “Mir wär’s wirklich lieber, du würdest dir die verklemmten, frauenfeindlichen Vorstellungen anderer nicht auf nüchternen Magen anhören.” Die Anwesenden, auf und vor der Bühne, gröhlen. Dann taucht eine goldberockte Gestalt auf: “Mo” betritt die Szene. Beschämtes Schweigen. “Das kannst du doch nicht machen!”, ruft der Weihnachtsmann. “Witzig ist das nicht.” “Was habt ihr denn alle?”, schreit der goldberockte Franz Rogowski. “Ich bin NICHT Mohammed! Ich bin eine Karikatur von Jan Böhmermann!”

(c) Thomas Aurin

(c) Thomas Aurin

Aktueller wird’s nicht, so viel steht fest. Gerade noch prangte der dünne blasse Junge aus dem ZDF-Spartenkanal auf dem SPIEGEL-Cover, schon wird er auch im Theater verewigt. Passt gut, denn Satire oder eben die Diskussion um Satire und deren Freiheiten ist einer der Hauptbestandteile dieses sehr verrückten Abends, den Jelinek-Ultrafan Stemann da auf die Bühne bringt. Wut handelt laut Programmheft von den Anschlägen auf das Magazin Charlie Hebdo, aber das ist doch etwas kurz gegriffen – Jelinek verstrickt in ihrem neuesten Textmonster zahllose diffuse Charaktere vom AfD-Anhänger bis hin zur betrogenen Ehefrau. Wirklich unterscheiden kann man die auf Anhieb nicht, die figurlosen Protagonisten sind bewusst verschwommen dargestellt. Das ist die Elfi, wie sie leibt und lebt: “Als ich angefangen habe, Jelinek zu inszenieren, gab es noch Figuren in den Texten”, plaudert Stemann aus dem Nähkästchen. Er lässt es sich auch nicht nehmen, selbst ein wenig auf der Bühne herumzuhampeln – das passt stellenweise ganz gut, etwa, wenn zur Pseudo-Pause die Saaltüren geöffnet werden (“Wir machen keine wirkliche Pause, aber gehen Sie ruhig raus und holen Sie sich was zu Trinken”) und er mit den Musikern ein talkshowartiges Stelldichein inszeniert, wird aber zu einer narzisstischen Selbstdarstellungsnummer, sobald er die Klampfe hinter dem Sofa hervorholt.

wut

(c) Thomas Aurin

Wirkliche Höhepunkte gibt es nur selten – Jesus’ Homeparty ist aber immerhin einer davon. Die Inszenierung plätschert chaotisch vor sich hin und vermag nur selten wirklich zu begeistern. Dafür ist das Setting zu konfus und die Kulisse zu unübersichtlich, trotz ständiger Live-Videoübertragung und dutzendfachem Kostümwechsel kommt nicht wirklich Dynamik in das Spiel. Das können auch die sieben ausgezeichneten Darsteller nicht überdecken, die sich am Ende einen wortwörtlichen Shitstorm liefern müssen: komplett mit squatten, pressen und Scheiße werfen. Eine Hommage an Lilienthal oder doch nur lahme Provokation? Egal, Kunstkacke trifft’s eigentlich ganz gut.

Das nächste Mal am 08. und 26. Mai 2016, Karten ab 8 Euro


Bildquellen: (c) Thomas Aurin

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