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Sichtbar und einfühlsam: Dmitrij Kapitelman liest am 28.11. in der Milla

Natalie Adel

Dmitrij Kapitelman wollte eine Reise unternehmen. Und zwar nicht irgendeine und auch nicht mit irgendjemanden. Nach Israel sollte es gehen und zwar gemeinsam mit seinem Vater. Er, als halber Jude mit ukrainischem Pass, wohnhaft in Berlin. Der Vater, ohne Glauben und für seinen Sohn nicht zu verstehen. Beide sind auf der Suche nach etwas, das sie in ihrer unbekannten und “Beinah-Heimat” zu finden hoffen.
Was sie dabei gefunden haben, das hat Dmitrij Kapitelman in seinem Buch “Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters” aufgeschrieben. Am 28.11.16 liest er daraus in der Milla.
Wir haben ihm vorab schon einige Fragen stellen dürfen und sind uns sicher: der Abend verspricht etwas ganz Besonderes zu werden.

In deinem Roman erzählst du von der Reise nach Israel, die du gemeinsam mit deinem Vater unternommen hast. Wie wichtig war diese Erfahrung für euch beide? Was hat Israel zu eurem gemeinsamen Sehnsuchtsort gemacht?

Ich denke, dass die Zeit in Israel für uns beide sehr wichtig war. Allerdings aus verschiedenen Gründen. Für meinen Vater bedeutete dieses Land, endlich einmal sicher und offen Jude sein zu dürfen. Er wuchs in einer Familie auf, die die Shoa in den Nerven trug. In einem sowjetischen System, das Juden verachtete und demütigte. Er betrat also mit 59 Jahren zum ersten Mal seine „theoretische Heimat.“
Ich kam nach Israel als jemand, der mit dem Heimatbegriff abgeschlossen hatte. Irgendwo zwischen Autoaggressivität und Foucault habe ich diesen Begriff als Schwachsinn abgetan. Und in Israel plötzlich eine unheimliche Sehnsucht nach eben diesem Schwachsinn gespürt.

Hat sich seitdem etwas in eurer Familie verändert und warum war deine Mutter nicht dabei?

Mein Vater sagt, dass ich viel ruhiger geworden bin, seit dieser Reise und dem Buch. Ich würde ihm vehement widersprechen, wenn ich inzwischen nicht so viel ruhiger geworden wäre. Wir beide wissen nun, dass es „Unser Israel“ gibt. Statt horoscho (‚gut‘ auf Russisch) sagen wir jetzt lieber beseder (‚gut‘ auf Hebräisch). Und wissen, dass es ein Land wie kein zweites für uns gibt. Besonders in Trump-Tagen. Im Februar wollen wir wieder nach Tel Aviv.
Meine Mutter war, glaube ich, ganz froh, uns mal aus den Augen zu haben – und schließlich musste sie auf den Russische-Spezialitäten-Laden aufpassen, während mein Vater unterwegs war. Andererseits erhielten wir unterwegs stets telefonische Direktiven von ihr (sie heißt bei uns nur „die Chefin“). Insofern war sie also durchaus präsent.

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Dmitrij Kapitelman – (C) Nadine Kunath

Wie hat dein Vater reagiert, als du ihm sagtest, dass du dieses Buch veröffentlichen wirst? Durfte er es als erstes lesen?

Ungefähr bei der Hälfte unserer Reise meinte ich: „Papa, der Grund, weshalb ich dich nicht in meinen Aufzeichnungen lesen lasse, ist nicht, weil ich Gemeinheiten über dich sammle. Sondern weil ich Angst habe, dein Verhalten dadurch zu verfälschen.“ Daraufhin meinte mein Vater, dass ich gar nichts tun könne, um sein Verhalten zu verändern. Wahrscheinlich hatte er ohnehin ein sehr tiefes Vertrauen in das, was ich über uns schrieb.
Gelesen hat mein Vater das Buch inzwischen zur Hälfte – wenn überhaupt. Meine Vermutung ist, dass ihm die Nachbarin einen großen Teil nacherzählt hat. Das liegt sicherlich an der Sprachbarriere. Mein Vater liest nicht auf Deutsch und spricht es auch recht brüchig. Das ist eben auch Integration: Die Einwanderereltern verstehen die Bücher ihrer Ankommenskinder nicht.

Hat sich etwas an deiner persönlichen Beziehung zum Judentum verändert? Fühlst du dich religiöser, bzw. kannst die Religion als identitätsstiftend für dich ansehen?

Alles in allem kann ich mich nach einer mehrstufigen Versuchsreihe als gebetsunfähig klassifizieren. Bei einem Gebetsquickie auf dem Wochenmarkt in Tel Aviv, wo uns ein paar orthodox-jüdische Missionare den Glauben nahe bringen wollten, habe ich es versucht, an der Klagemauer ebenso. Nix! Spirituelle Impotenz. Trotzdem werden mein Vater und ich beim nächsten Besuch in Jerusalem ein Gebet brabbeln und die hebräischen Vokabeln falsch betonen. Das ist ebenso paradox wie identitätsstiftend. Oder um es mit den Worten des Leiters der Abteilung für jüdische Stammbaumforschung im Diasporamuseum von Tel Aviv zu sagen (den haben wir auch getroffen, ja): „Welcher Jude glaubt schon an Gott?“

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Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters

Am Ende deiner Reise stellst du fest, dass Zugehörigkeiten austauschbar sind und jeder Einwohner in Deutschland für dieses Land mitverantwortlich ist. Findest du, dass Menschen wie deine Familie, die während der 90er Jahre als sogenannte „Kontingentflüchtlinge“ nach Deutschland kam, ausreichend in politische Entscheidungen mit einbezogen werden? Man könnte ja von ihren Erfahrungen in der jetzigen Zeit profitieren und vieles besser machen.

Na ja, mein Punkt ist ja gerade, dass man nicht auf den feierlichen Einbeziehungsbrief vom Ministerium für Einbeziehung warten soll. Besonders nicht als Minderheit. Jeder ist jeden Tag selbst Politiker. Im Supermarkt, im Internet und in der Kneipe. Was die Kontingentsflüchtlinge anbelangt: Wenn Deutschlands neue Juden sich nicht gegen die derzeitige Islamphobie einsetzen, haben sie nicht verstanden, was Antisemitismus ist. Und mit Einsetzen meine ich nicht unbedingt große Konferenzen und Unterschriftensammlungen. Davon, dass man einem Geflüchteten aus Syrien nicht guten Tag sondern freundlich Selam sagt, werden weder Chanukka noch Weihnachten ausfallen. Ganz im Gegenteil.

Vielen herzlichen Dank an Dmitrij Kapitelman für das spannende Interview vorweg!


Hier gehts zur Veranstaltung. Der Einlass ist um 19.30 Uhr, Beginn um 20.30 Uhr.
Die Karten kosten im VVK 10,00 € zzgl. Gebühren.

Beitragsbild: Nadine Kunath

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