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Home Stories aus München: Besuch beim Künstler Benjamin Bergmann

Anna-Elena Knerich

Ein Basketballkorb in 25 Metern Höhe, Golfen auf dem See des Botanischen Gartens, ein Turm aus vielen Lautsprechern, aus denen ein tiefer Basston ertönt – der Künstler Benjamin Bergmann ist bekannt für seine spektakulären Werke in der Öffentlichkeit.

Kunst im öffentlichen und privaten Raum

Doch wie die privaten Räume des Künstlers aussehen, weiß man nicht so genau und ich freue mich, es herausfinden zu dürfen. In einem typisch Schwabinger Treppenaufgang steige ich ins zweite Stockwerk, wo Benjamin mich schon erwartet. Im Flur seiner Altbauwohnung stehe ich drei Gipsbüsten gegenüber – ein erster Vorgeschmack auf die vielen Kunstobjekte in den hohen, stuckverzierten Räumen.

Kreativität – Klarheit

Benjamin und seine Frau Susanne kennen sich – natürlich – aus der Münchner Kunstszene. Seit zehn Jahren leben sie gemeinsam in dieser Wohnung, die sie renoviert und (mit Kunst) eingerichtet haben: Als Kuratorin der Sammlung Munich Re ist auch Susanne im künstlerischen Metier tätig und die beiden tauschen sich viel über Kunst aus, was Benjamin sehr schätzt: “Das ist wie laut denken”, sagt er.

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In seinem Atelier arbeitet Benjamin alleine, oft an mehreren Projekten gleichzeitig: “Dort schöpfe ich aus einem gewissen kreativen Chaos, aus dem dann Werke entstehen.” Für ihn ist sein “Beruf” aber eigentlich keiner, vielmehr beschäftigt er sich mit der Kunst – und das hört nie auf. Bei Susanne sei das ähnlich, dennoch ist ihr Zuhause der Ort, an dem sie beide zur Ruhe kommen.

“Wir lieben Kunst so, wie man auch einen Menschen liebt”

Dass der Geschmack des Paars gut harmoniert, ist in der ganzen Wohnung zu spüren. “Manche Künstler brauchen zuhause eine neutrale, kunstfreie Zone. Aber wir trennen die Kunst und unser Leben nicht”. In jedem Raum gibt es viele Kunstobjekte, darunter How to work better des Künstlerduos Fischli/Weiss sowie ein Werk des Schweizer Konzeptkünstlers Rémy Zaugg, der auf einen Münchner Stadtplan schrieb: Aber ich,/ die Welt,/ ich sehe/ Dich.

Künstlerischer Austausch

Vor allem aber haben sie Werke von Benjamin selbst oder von befreundeten Künstlern, mit denen das Paar viel Zeit verbringt. “Andere wechseln die Farbe der Bettwäsche – wir tauschen die Kunstwerke mit unseren Freunden aus”, erzählen sie: Der auf eine Zeitung gemalte Adler im Wohnzimmer beispielsweise stammt von Andy Hope 1930, den man auch aus dem Baader Café kennt, die großformatige Pflanzenfotografie im Flur ist von ihrem Freund Frank Stürmer.

Benjamin Bergmann über Vergänglichkeit…

Weder Kunstwerke noch Einrichtungsgegenstände müssen für die Ewigkeit sein, findet Benjamin. So zum Beispiel sein Storchennest-Modell, ein Entwurf für einen Wettbewerb, das momentan neben dem Fernseher steht: “Manchmal bringe ich eine Arbeit für eine gewisse Zeit aus meinem Atelier mit nach Hause, damit sie hier atmen und wirken kann.”

…Lieblingsstücke…

An bestimmten Werken hängen beide aber so sehr, dass sie in der Wohnung bleiben müssen – etwa Benjamins Offerta aus Aluminium und Sand, in dem Kerzen stecken, oder sein ältestes Kunstwerk: Ein Bild, das er als Kind mit Fingerfarbe gemalt hat und das heute im Bad steht. Besonders hängt Susanne an seiner Lichtinstallation Muhammad Ali, zu der er von dem kurzen Gedicht “Me We” des Boxers inspiriert wurde. “Jedes Mal, wenn das Werk für eine Ausstellung angefragt wird, muss ich meine größten Überredungskünste anwenden”, verrät er.

…und Grenzüberschreitung

Benjamin haderte anfangs etwas mit dem Beruf “Künstler”, da dieser nicht unbedingt eine sichere Perspektive auf Geldverdienst und Überleben bietet. Er entschied sich darum für eine Ausbildung zum Holzbildhauer, die ihm aber zu handwerklich und zu wenig kreativ war; also wechselte er dann doch in die Münchner Akademie der Bildenden Künste.

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Für seine Diplomarbeit Heaven sang er den Jazz-Standard „Cheek to cheek“ zu den Geräuschen eines Flugzeugmotors – ein Kunstwerk, das „für den Moment ist; das man riechen, hören und fühlen kann“, wie er erklärt. Oft spielen seine Werke mit dem Absurden, vor allem aber seien sie immer eine Grenzüberschreitung.

“Die Gesellschaft gibt klare Regeln und Grenzen vor, die ich als Künstler auslote, überschreite und somit ein Umdenken fordere. Kunst ist keine Antwort, sondern eine Fragestellung – sie bearbeitet die Fragen des Künstlers.”

Eine Erfolgsgeschichte

Während seiner Ausbildung hat Benjamin immer in der Gastro gearbeitet, um Geld zu verdienen – zumal er mit 23 Jahren Vater wurde. Er suchte oft nach günstigem Material für seine Werke, sammelte Holz in der Natur. Doch schon bald nach seinem Diplom lebte er nur von seiner Kunst, bekam viele Aufträge. Ich möchte wissen, ob dies nicht gegen seine Auffassung sei, dass ein Künstler seine eigenen Fragen aufarbeite.

“Ich nehme niemals Aufträge an, die mich nicht interessieren”, erklärt Benjamin, er könne sich aber gut auf den jeweiligen Ort einlassen, an dem ein Kunstwerk “bestellt” werde: Für seine Installation Beben, einen überdimensionalen Trichterlautsprecher am Königsplatz, habe er sich intensiv mit der jüngeren Geschichte des Platzes auseinandergesetzt – und die Arbeit darauf reagieren lassen. “Ich schätze das Privileg, an einem bedeutenden Ort ein Werk zu realisieren”, sagt er.

Viel unterwegs…

Geboren ist Benjamin in Würzburg, aufgewachsen aber in sämtlichen Stadtteilen von München: Er lebte in Garching, in Harthof, ging auf’s Lion-Feuchtwanger-Gymnasium („Das war eines der coolsten und sozialsten!“, beteuert er), wohnte im Westend, dann in Ramersdorf, zuletzt in Haidhausen. Auch beruflich kommt er viel herum, was immer inspirierend sei, wie er sagt.

Ob es ihn als Künstler nie langfristig woandershin gezogen habe, zum Beispiel nach Berlin?, frage ich ihn. “Ich hatte öfter Angebote aus anderen Städten und habe vor circa 15 Jahren auch mal darüber nachgedacht – aber mein Sohn Leon war ja hier”, antwortet der Künstler. Außerdem sei er froh, seine Homebase in München zu haben – in Berlin käme er einfach nicht zur Ruhe.

… und angekommen.

Letztes Jahr hat er mehrere Monate in Venedig und im Ruhrpott (wo es eine alte Brauerei mit seinem Namen gibt) verbracht, weil er einen venezianischen Kiosk nach Dortmund versetzt hat. “Für die Dortmunder ist der grüne Chiosco ein nostalgischer Sehnsuchtsort. Sie kaufen dort Postkarten, kleine Gondeln, Masken, Caps oder Fußballtrikots”, berichtet er schmunzelnd.

Auch danach habe er wieder gemerkt: Wenn er “nach Hause” komme, dann am liebsten nach München. “Ich fühle mich hier angekommen, auch bei meiner Frau.”

Zwischen Natur und Kultur

Die beiden genießen die Lebensqualität in München, vor allem die Nähe zur Natur: “Früher haben wir jedes Wochenende in Museen verbracht, heute fahren wir in unsere Wohnung auf dem Land. Dort gehen wir langlaufen, hacken Holz und tanken Kraft”, erzählt Susanne und zeigt mir Bilder von einem idyllischen Bauernhof. Wo der sich befindet, verraten die beiden aber nicht.

Benjamin zufolge erzählt Kunst immer von der Existenz, vom Leben. “Das spürt man in der Natur viel mehr, wo man die Jahreszeiten, die Geburt eines Kälbchens oder ein Gewitter miterlebt”, findet er. Der Ausgleich auf dem Land sei für das Künstlerpaar essenziell, denn noch immer sind die beiden unter der Woche viel unterwegs, auf Vernissagen und Veranstaltungen.

Kunst = politisch

2014 hat Benjamin bei einem Atelierbesuch gesagt: „Bereits die Entscheidung, Künstler zu werden, ist eine politische Haltung.“ Doch die Zeiten, in der sogar Demonstrationen schon als Kunst gegolten hätten, seien schon wieder überholt.

Sieht er das heute, angesichts der gesellschaftspolitischen Entwicklung weltweit, anders? Muss Kunst wieder politischer werden?

“Eine ebenso interessante wie schwierige Frage”, meint Benjamin. “Ich habe darauf nicht wirklich eine Antwort. In den sozialen Medien wird derzeit ja alles kommentiert. Wir befinden uns in einer Zeit, in der wir alle eine politische Haltung einnehmen müssen. Aber ich glaube nicht, dass Kunst politische Geschehnisse automatisch bebildern muss.”

.“Ich brauche die Bühne, um mein fragendes Bild zu transportieren”

Jahrelang hat er nur großräumige, radikale Kunstwerke gemacht, von denen er selbst ein Teil ist – das sei seine Sprache, sagt Benjamin. Er habe nie etwas “zum Verkaufen” gemacht, vor allem früher sei ihm Geld nicht so wichtig gewesen. “Heute spare ich schon, aber niemals an Material für meine Arbeiten”, erzählt der Künstler. Gleichzeitig sei es ein stetiger Prozess, seine Fragen auch in kleineren Werken zu vermitteln.

“Die kleinen Bronze-Püppies habe ich aus alten Porzellanstücken gefertigt.”

Harmonisches Idyll in West-Schwabing

Nachdenklich schaut der Künstler aus dem Fenster und erzählt von der netten Hausgemeinschaft: “Man weiß immer, wie es den Nachbarn geht.” Er wisse dieses harmonische Leben und ihre großzügige Wohnung in privilegierter Lage sehr zu schätzen.

Für mich war es sehr bereichernd und interessant, einen Einblick in das – ganz der Kunst gewidmete – Leben von Benjamin und Susanne zu erhalten. Vielen lieben Dank an die beiden, dass ich sie in ihren privaten Räumen besuchen durfte.


Photocredits: © Sebastian Gabriel

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