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München wird wieder

Jan Rauschning-Vits
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Es ist die größte Geschichte der Bundesrepublik. Es ist ein Streit, ein Krieg der Lebensweisen. Es ist der Minderwertigkeitskomplex des Landes. Es ist die Berlin/München Diskussion.

Ich schwöre, es gibt nicht einen Münchner, der sich nicht schon einmal für die angebliche Spießigkeit seiner Stadt rechtfertigen musste. Es gibt nicht einen Berliner, der nach München zog und dafür in der Hauptstadt nicht schräg angesehen wurde.

Immer und überall wird darüber gesprochen

Es vergeht keine WG-Party, ohne dass nicht mindestens ein Gesprächs-Duo in der Thematik versinkt. Ganz schlimm wird es, wenn Gäste aus anderen deutschen Städten anwesend sind. Denn dann wird auch noch der Coolnessfaktor dieser Städte mit aufgenommen.

Im Grunde läuft es so:

Der Berlin-Fan wirft München Spießigkeit vor und belegt seine These wahlweise mit konservativen Ladenöffnungszeiten, mangelnder Club- und Subkultur oder hart durchgreifenden Polizisten. Der München-Fan verteidigt sich, indem er auf die Feierbanane hinweist und außerdem vorrechnet, wie viel kleiner München im Vergleich zu Berlin ist.

Von diesen Standpunkten aus diskutiert man dann entweder die Zukunft der Städte oder die Vergangenheit. Hart wird es für den Münchner vor allem dann, wenn es tief in die Kulturgeschichte Münchens geht.

Internationale Stars wohnten und feierten in München. Heute bleiben uns Schweighöfer und Mehmet Scholl. Die Szene im größtenteils noch abgeranzten Glockenbachviertel war schwul, eckig und subkulturell bis ins Mark. In den 70ern waren wir angeblich mal sowas wie eine Filmstadt. Es kommt selten vor, dass in einer klassischen Berlin/München- Diskussion der Sparringpartner solche Fakten weiß, weil er oft seinen Kopf so tief in seinem eigenen Berlin stecken hat, dass ihn sowas überhaupt nicht erreicht. Sollte es jedoch einmal so weit kommen, dann bleibt dem Münchner wenig Chancen. Denn an diesem harten Fakt kommen wir nicht vorbei:

Früher war München cooler.

Sicher ist da ein ganz großes Stück Nostalgie dabei, aber es scheint trotzdem so, als sei München mit dem Ende der 70er Jahre rapide erwachsen und spießig geworden. Die großen Zeiten der Schickeria sind vorbei. Tempel der Münchner Nachtszene sind in Vergessenheit geraten. Wer weiß denn heute noch, dass der Alte Simpl in der Türkenstraße früher so berühmt wie das P1 war?

Manche erzählen sogar von einer dreckigen Stadt, die um den Hauptbahnhof sogar nachts gefährlich gewesen sein soll. Giesing soll tatsächlich ein Arbeiterviertel gewesen sein und Schwabing einmal cool und nicht nur die Brutmaschine für neue Pelzkragenträger.

In den 80ern hat Berlin uns in wenigen Jahren den Rang endgültig abgelaufen. Das geteilte und ausgebombte Loch zwischen den Weltmächten nahm die Punkmusik und zeigte damit einer ganzen Generation, wie man richtig rebelliert.

Während Berlin eine Mauer einriss und und zur Hauptstadt aufstieg, wurden wir jedes Jahr Fussballmeister und perfektionierten das Ausbeutungssystem namens Oktoberfest.

Berlin wurde cool, wir wurden reich.

Heute wird der Ruf nach mehr Kultur, mehr Ausgehmöglichkeiten und mehr Coolness in München lauter. Die Stadt hat keinen Bock mehr das „größte Dorf der Welt“ zu sein. Und man täuscht sich, wenn man meint, dass dieser Ruf nicht gehört wird. In der Diskussion erwähnt kaum jemand unser Kulturreferat. Eine Behörde, die sich stark für Kulturschaffende einsetzt, Musikanlagen und sonstige Technik verleiht und bei der Suche nach freien Flächen unter die Arme greift. Städtisch organisierte Subkultur ist vielleicht ein echtes „München-Ding“, aber immerhin besser als den Konkurrenzkampf um Räume alleine antreten zu müssen.

Gerade erst wurde ein neues Kompetenzteam gegründet, dass zwischen den Kulturschaffenden und den verschiedenen Behörden vermitteln soll – einzigartig in Deutschland!

Dazu kommt, dass Subkultur und kreative junge Wilde mittlerweile voll im Fokus der Politik stehen. Lange wurde die Jugend an den Rand der Stadt gedrängt – Stichwort „Kultfabrik“. Heute ist Subkultur, Off-Locations und elektronische Tanzmusik salonfähig geworden. Nicht nur PR-Firmen feiern gerne in angesagten Clubs oder hippen Übergangslocations – auch BMW und Mini sind auf den Partyzug aufgesprungen und seit mindestens zwei Jahren feiert Bayerns CSU bei der „Lounge in the City“ im P1 zu heißen Clubbeats. Die Nachtgastronomie zieht mit ihrer Urbanität alle in den Bann. Party ist angesagter denn je.

Das Beispiel Daniel Hahn zeigt, wie heiß das Thema ist.

Als er letzte Woche seinen alten Ausflugsdampfer auf eine Brücke in Sendling transportierte, rastete die ganze Stadt aus. Das Medienecho donnerte über alle Kanäle. Sowas hat selbst Berlin nicht. Ein Schiff auf einer Eisenbahnbrücke – verrückt!

Bei der Pressekonferenz vor zwei Wochen kamen Stadträte, Kommunal- und Kulturreferenten und Vertreter der Lokalbaukommission. Die Kommunalpolitik fährt nun im Team Subkultur immer ganz eng am Arsch von Daniel Hahn, um seinen Windschatten auszunutzen. Es ist ein Geben und Nehmen. Die Politik gibt die Unterstützung und nimmt sich dafür ein wenig Öffentlichkeit. Daniel Hahn und sein Wannda e.V. geben Öffentlichkeit und nehmen sich eine stillgelegte Eisenbahnbrücke. Der Deal ist perfekt.

Die Utting auf der Tegernseer Landstraße © Simon Feichtl

Nicht perfekt ist jedoch, dass der Wannda e.V. und die gesamte Subkultur nur für ihre Partys wahrgenommen werden. Am Tag der Landung der ehemaligen MS Utting in Sendling schrieb die SZ in ihrem täglichen Whatsapp-Newsletter: „Münchens neues Party-Boot, die MS Utting, ist in der Nacht angekommen“. Leider ganz falsch.

Zwar wurden Daniel Hahn und seine Entourage, der Wannda e.V., mit Partys und Open Airs bekannt, aber wer die Utting als „Party-Boot“ bezeichnet, der hat nicht aufgepasst. Auch schon der Bahnwärter Thiel, Hahns temporäre Veranstaltungsfläche im Schlachthof, ist kein Club mehr. Natürlich wird Freitag und Samstag hier gefeiert, aber unter der Woche gibt es Theater, Radioshows und Tanzkurse. Das kommt zu kurz.

Subkultur wird ständig nur auf verrückte Partys in außergewöhnlichen Locations reduziert. Feiern und tanzen und Nachtschwärmer sein trifft so extrem den Zeitgeist, dass es Projekte ohne abendliches Getanze schwer haben.

Ähnlich ist es bei dem neuen Club auf der Museumsinsel.

Die Betreiber bemühten sich vergeblich zu unterstreichen, dass hier nicht nur ein großer, fetter, neuer Ravetempel entsteht, sondern auch ein Biergarten und Restaurant. Völlig egal. Diese Woche redet jeder nur noch vom „Blitz“ – so soll der Club heißen, der wohl schon im April seine Tore öffnet.

Kong

Ungefähr hier wird der neue “Blitz” Club eröffnen

München wird wieder. Die großen Dinge passieren wieder. Ein Nachtclub der Superlative wird auf der Museumsinsel entstehen und ein Dampfer steht auf einer Brücke. Zwei wichtige Anschlusstore im ewig währenden Match gegen die Berliner. Dennoch sollte mehr Platz für die anderen Aspekte der Subkultur in unseren Köpfen sein. Theater, Kunst und Essen gehören auch dazu und da müssen wir uns eigentlich nicht vor der großen Hauptstadt verstecken.

Vielleicht ist das ja mal ein gutes Argument in der nächsten Berlin/München-Talkrunde – denn die nächste kommt bestimmt.


Beitragsbild: © Jan Krattiger

1Comment
  • Severin Zeilbeck
    Posted at 18:18h, 21 März

    Hallo lieber Autor,

    Dein Artikel erweckt doch tatsächlich den Eindruck, als müsse ein Veranstalter in Müchen nur einen möglichst verrückten Rave auf die Beine stellen, um das städtische Wohlwollen zu erlangen. Dies und das Wehklagen um die angeblich fehlende Pflege sonstiger kultureller Aktivitäten sind allerdings eine Misinterpretation der Lage. Die Genehmigung oder gar Unterstützung für eine Veranstaltung oder Projekt außerhalb kommerzieller Räume, die keine kulturellen Aspekte wie Theater oder Literatur aufweist, ist eigentlich nicht möglich. Das mag hart klingen, aber diese Aspekte dienen meist als Rechtfertigung vor den städtischen Instanzen. Sie fungieren als notwendiges Beiwerk zum Rave oder anderen, vormals als eher unangenehm aufgefallenen Vorhaben, Dies war zu Beginn auch bei Wannda der Fall, als der Verein und Daniel Hahn aus dem Pathos herausgetreten sind. Auch das Pathos selbst konnte als Veranstaltungsort nur in Anspruch genommen werden, weil dort auch Theater gespielt wird.

    Die ehrliche Intention, Theater oder Literatur zu fördern, kann man Wanda nicht absprechen. Ohne Techno ist ein ähnliches Engagement aber schwer vorstellbar. Trotz deren unbestreitbar nötigen und guten Projekte, sind diese dennoch als Leuchtturmprojekte anzusehen. Drumherum ist die Stadt weiterhin eine Brache, die mit Projekten, die sich abseits etablierter und dem Duktus der Stadt entsprechender Kulturformen bewegen, nicht urbar gemacht werden kann, wie auch viele andere Akteuere bestätigen können. Die in München vorherrschende Mentalität führt sozusagen dazu, dass Schiffe auf Brücken gestellt werden müssen. Nicht nur die Politik fährt aber gerade “ganz eng am Arsch von Daniel Hahn”.

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