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Meine Halte – Folge 19: Solln

Susann Westhoff

Hier kam ich an, von hier werde ich wieder aufbrechen. Anfang und Ende meiner Zeit in München. Erste und letzte Station meines Tages. München Solln. Immer wieder geht es los, Tag für Tag, ohne zu wissen, was mich erwartet. Nur eines ist sicher: Irgendwann, ob früh oder spät, kehre ich zurück und Solln wird mich empfangen. Am besten, ich steige einfach ein. Ist doch so, zentral ist anders und ich ärgere mich auch mal übers tägliche Pendeln, aber freue mich dafür umso mehr über jeden Moment fernab der Hektik, dem Lärm und Mies-Fühlen der Mitte. Es ist etwas Wunderbares. Und ich weiß, wenn mich die Sehnsucht packt, dass mich nur ein paar Minuten Bahnfahrt vom Puls der Stadt trennen.

“…aber halt leider etwas außerhalb…!”

“…so richtig außerhalb ist das nicht…!”

Ich fahre von hier stadteinwärts, vorbei an Industrie- und Wohnanlagen, erst Hacker-, dann Donnersbergerbrücke, Hauptbahnhof. Einmal durchs Herz der Stadt, vorbei an Protz und Prunk im Sekundenrausch, weiter bis zum Ostbahnhof. Alles strömt in die Stadt, vertieft in die flimmernden Bildschirme alter und neuer Smartphones. Sie begleiten mich, die Frühaufsteher wie der fesche Italiener mit Aktentasche oder die kleine Blonde, die eben noch ihren Lippenstift nachzieht, die Nachtschwärmer wie das Madl mit viel zu viel Mascara oder der Student mit müden Augen. Mein Herz hängt an ihnen und schon nach kurzer Zeit kenne ich ihre Gesichter. Man begrüßt sich stumm, aber wissend in der S-Bahn. Wie eine Familie. Ich habe gelernt, die Stadt zu verstehen, ihren ganz eigenen Takt und die Menschen, die in ihr Leben. Irgendwer hat die Abendzeitung liegen lassen – ein Überbleibsel des beständigen Aufbruchs.

Kenna dad i scho, oba meng dua i ned

Solln ist kein Sollen, kein Müssen, kein Zwang und keine Pflicht – im Gegenteil. Solln ist im Herzen ein Freisein. Meine neue Heimat hat mit einem lauschigen Biergarten gleich an der Bahn, alten grünen Alleen und nur wenigen Minuten bis zur Isar mein Herz im Sturm erobert. Meine Halte empfängt mich im Regen, nach einer langen Nacht und selbst, wenn ich den ganzen Tag der Stadt meine Aufmerksamkeit geschenkt habe. Nie nachtragend, immer da. Eben keine Diva und frei von Bussi Bussi.

Was für eine mondäne Adresse

Authentisch, lebendig, nah. Hier kennt man mich beim Namen und der Bäcker am Eck weiß, wie ich meinen Kaffee trinke. Alles, was ich zum Leben brauche, bekomme ich hier. Die Zeit vergeht hier langsamer und ich passe mich gerne diesem Rhythmus an, denn manchmal is a bissl Langeweile nicht verkehrt. Noch völlig fremd und etwas verloren als Landei in München steige ich in Solln aus und fühle mich zuhause. Die Entscheidung fällt leicht, links, Sollner Straße, rechts, Wolfrathshausener. Wäre dies nicht meine Halte, würde ich hier nur aussteigen, um einmal tief durchzuatmen. Hier wird nicht flaniert, hier wird gelebt. Und es ist gar nicht schlecht, dass das so ist.

2 Comments
  • Gabriele Westhoff
    Posted at 06:27h, 10 Juni

    Super! Weiter so!

  • Beatrix Vecchioni
    Posted at 15:29h, 10 Juni

    Das klingt ja richtg nach Wohlfühlen 🙂

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