Aktuell, Stadt, Wohnen trotz München

Jetzt die Gentrifizierung stoppen – mit der UNESCO und orangefarbenen Baukästen

„Die Glockenbachmütter! Und wenn‘s dann mitm Yoga fertig dan schiabns ihre Kinderwägen vors vegane Teehaus und jammern über die Anwohnerparksituation im Viertel. Dann wundern sie si wenn i vorbeigeh und an Kinderwagen aufd Straß ausse tret und sag: Dads de Viecher weg!“ – Harry G über Gentrifizierung

Gentrifizierung oder Gentrifikation leitet sich von dem englischen Wort „gentry“ für „niederer Adel“ ab und ist ein leidiges Thema in den Großstädten dieser Welt. Viertel verändern sich. Eins nach dem anderen, immer nach dem selben Muster: niedrige Mietpreise locken Studenten, Künstler, sogenannte Pioniere.

Diese werten das Viertel auf.

Durch Subkultur, kleine Cafés und so weiter. Investoren erkennen die Chancen zur Wertsteigerung durch Sanierung oder moderne Neubauten. Gastronomie wie hippe Bars und Clubs kommen. Die Mieten steigen und die alten, finanziell meist schwächeren Anwohner müssen den neuen, zahlungskräftigen weichen. So gehen ganze Szenen mit ihren einzigartigen, typischen Charakteren verloren.

Aber was kann man gegen diesen scheinbar unaufhaltsamen und sich verselbstständigten Prozess tun?

Yuppies aus der Hood mobben?

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Paradebeispiel München

Suiten_GardeningMünchen ist, als eine der teuersten Städte Deutschlands, das Paradebeispiel für Gentrifizierungsprozesse und war somit die erste Wahl für den Start des “UNESCO”-Pilotprojekts SEI EIN DEGENTRIFIKATOR!

Denn: „Mit explodierenden Miet- und Lebenskosten werden kultureller Reichtum und pulsierende und vielfältig sozial integrierende Nachbarschaften in sterile urbane Wüsten verwandelt, die sich nur noch die gehobene Schicht leisten kann.“ so Cornelia Joseph, Pressesprecherin der Aktion.

Dafür wurden an verschiedenen gentizifierungsgefährdeten Plätzen in München “Degentrifikator”-Baukästen installiert, ähnlich den Defibrillatoren an U-Bahnsteigen. Diese beinhalten Werkzeug und kreative Vorschläge für Bürgerinnen und Bürger der Nachbarschaft, um ihren Kiez eigenhändig zu „degentrifizieren“.

Denn die Aufgabe von SEI EIN DEGENTRIFIKATOR ist es, ein Licht auf diejenigen zu verwerfen, die die Verursacher des Gentrifizierungsprozesses sind. Und das sind nicht nur die bösen Zuagroasten, die Hannoveraner, die Isarpreißn, sondern wir: Menschen, die mit ihren 5-Euro-Green-Smoothies und Avocadobroten (um die beiden ausgelutschtesten Beispiele zu nennen) den Hype um bestimmte Stadtviertel ankurbeln und somit die Mieten in die Höhe treiben.

Allen voran natürlich Künstler, Kreative und Entwickler. Denn wo Ateliers und Galerien sind, sind die Hipster nicht weit.

Sei ein Degentrifikator!

Die Aktion konzentriert sich auf sechs Bereiche: Kultur, Natur, Zusammenleben, Lebensraum, Freizeit und Spirit. Der Kultur-Kasten liefert beispielsweise nützliches Werkzeug (Erkennen wir da etwa eine Schachtel Eier?), um Kunsteröffnungen zu stören.

Der Natur-Degentrifikator beinhaltet Guerilla-Pflanzen, die nicht nur essbar sind, sondern auch durch Beton wachsen und somit alle unnötigen Entwicklungen der Nachbarschaft durchbrechen. Denn simples Urban Gardening würde die Attraktivität des Viertels steigern, und dem ist unbedingt entgegenzuwirken!

Außerdem gibt es Tische und Stühle für eine gemütliche Runde Dame an einem öffentlichen, nicht-privatisierten Raum. Oder wie wäre es mit einer Hängematte für eine kostenlose Übernachtung in den hippsten Vierteln Münchens, ganz jenseits des Airbnb-Wahnsinns?

Anleitungen für traditionelle Volkstänze aus dem nahen Osten, Griechenland und Armenien findet ihr im Freizeit-Degentrifikator, denn wer braucht schon Szene-Clubs? Und was natürlich nicht fehlen darf: Spraydosen, um den sterilen Straßen wieder ein bisschen Leben einzuhauchen.

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Aber wie bereits angesprochen, man muss sich auch an die eigene Nase fassen. Stichwort Avocadobrot. Kenne den Feind. Um Geschäfte, Cafés, Wohnhäuser oder bestimmte Stellen im Stadtgebiet zu markieren, die eurer Meinung nach die Gentrifizierung vorantreiben, gibt es GENTRIFIKATOR-Sticker.

Sticker

Die Sticker sollen zur Selbstreflexion anregen und einen bewussteren Umgang mit dem eigenen Konsumverhalten fördern. Ob bei der Wahl des Mittagessen, des Getränks zwischendurch, der Wahl der Wohnung oder der Durchführung von Sanierungsvorhaben.

Kann das sein Randale sponsored by UNESCO?

Hm. Irgendwas ist da doch faul, denkt man sich. Die UNESCO als Urheberin dieser Aktion? Das kann doch nicht sein. Die Webseite ist zwar professionell aufgemacht, die Urheber der Seite sind aber geschickt verschleiert und im restlichen Internet findet sich nichts zu dem Thema, keine Presseartikel, gar nichts bis auf ein Instagram-Foto (s. oben)

Die Degentrifizierungs-Aktivisten gehen also ganz schön geschickt vor – auch in der Kommunikation mit uns versuchen sie, den offiziellen Schein möglichst zu wahren und geben gestelzte Pressesprecher-Antworten.

Wir kommen nicht drum rum, uns ein Lächeln zu verkneifen und danke zu sagen – für eine witzige Aktion, die zum Nachdenken anregt.

 


Fotos: © Unesco Degentrifikator

 

Giulia Gangl
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