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Meine Halte – Folge 22: Donnersbergerstraße

Katrin Schultze-Naumburg

Ich stehe an der Ampel und trete ungeduldig von einem Bein aufs andere. Der Verkehr rauscht an mir vorbei, PKWs, ein Motorrad, ein Flixbus. Und die Tram. War ja klar. Wie jedes mal stehe ich an der fünfspurigen Arnulfstraße und wie jedes mal schaue ich der Straßenbahn von der falschen Seite aus dabei zu, wie sie an der Haltestelle stehen bleibt und sich die Türen öffnen. Und wieder schließen. Resigniert schaue ich auf die Uhr. Das wird knapp mit meiner Verabredung.

Meine Halte und ich – eine Hassliebe

Meine Halte und ich haben ein ambivalentes Verhältnis. Eigentlich liebe ich sie. Weil sie so herrlich zentral liegt und weil ich wegen ihr nie S-Bahn fahren muss. Weil ich aus der Straßenbahn heraus fast in meine Haustüre hineinfalle. Und weil an ihr die 17er Tram hält – meine Direktverbindung an die Isar.

Manchmal hasse ich sie aber auch. Wenn die Ampel mal wieder nicht grün wird und sie wie eine unerreichbare Insel in der Mitte der Arnulfstraße schwimmt. Oder wenn ich nachts nicht bei geöffnetem Fenster schlafen kann, weil sich der Schall zwischen den Häusern fängt und ich alle vierzig Minuten von der vorbeifahrenden Straßenbahn geweckt werde. Am wenigsten mag ich sie aber, wenn ich an ihr warten muss.

 Liebe Halte, du nimmst mir die Ruhe…

Grundsätzlich warte ich ganz gerne. Ich bin ein Mensch, der beinahe jede Minute seines Tages verplant hat, von morgens bis abends ständig auf Achse. Das ist oft anstrengend, ich kann aber irgendwie auch nicht anders. Momente des Wartens sind für mich kleine Zwangspausen, eingestreut in den Alltag. Das Anstehen an der Supermarktkasse oder das Sitzen an der Bushaltestelle, bringen mich dazu in der Hektik einmal stehen zu bleiben und nichts zu tun. Keine andere Aufgabe zu haben als einfach nur zu warten, lässt mich Gedanken hinterher hängen, Leute beobachten, ein kurzes Gespräch führen.

An meiner Halte wartet es sich aber nicht angenehm. Sie nimmt mir die Ruhe, die ich sonst im Warten finden kann. Das beginnt schon mit dem Stehen an der Ampel, den unsicheren Minuten des Ausharrens, die darüber entscheiden, ob der Rest meines Weges entspannt oder stressig wird. Und es setzt sich fort im Stehen auf dem schmalen Bahnsteig, im Suchen nach einem Platz für mich. Viele Möglichkeiten gibt es nicht. Das Wartehäuschen ist beinahe genauso breit wie der Gehsteig und schnell überfüllt. Steht man dort, steht man immer im Weg.

Im Zentrum des Treibens

Ein paar Schritte weiter den Bahnsteig entlang habe ich zwar mehr Platz, stehe dafür aber mittendrin im Treiben. Sieben Spuren starker Verkehr toben rundherum. Wind, Regen, Lärm, Blicke, alles trifft mich gleichermaßen. Ich stehe dort und warte und komme mir komisch vor. Die Untätigkeit des Wartens erscheint hier auf einmal so unpassend. Manchmal fühle ich mich dann wie ein Fremdkörper zwischen all den beschleunigten Maschinen, als hätte ich hier nichts verloren. Es macht mich nervös, die Geschwindigkeit um mich herum zu spüren und gefangen zu sein in ihrer Mitte.

Hinter den Fensterscheiben der Autos starren mich immer wieder gelangweilte Gesichter an, die ihrerseits warten müssen, an der Ampel oder im Stau vom Feierabendverkehr. Getrieben von dem Gefühl unter Beobachtung zu stehen, suche ich dann nach einer Beschäftigung. Nach etwas, das mich weniger untätig erscheinen lässt. Ich hole mein Smartphone aus der Tasche, obwohl ich nichts damit zu tun habe. Schreibe Nachrichten, lese News, suche Musik. Und zerstöre damit den Moment des Nichtstuns. Und immer wieder spähe ich die Gleise hinunter, in der Hoffnung die Tram an ihrem Ende zu entdecken.

Erst wenn die Straßenbahn endlich da ist und ich mich an einen der Plätze am Fenster setzen kann, kehrt die Ruhe zurück. Ich kann durch die Scheibe auf die vorbeiziehenden Häuser und Straßenzüge schauen und merke, wie schließlich die Gedanken kommen, die sich vorhin nicht an die Oberfläche getraut haben. Nach der ganzen Hektik erscheinen das gleichmäßige Surren der Tram und die leisen Gesprächsfetzen der Fahrgäste beruhigend. Dann, wenn ich auf die Uhr schaue, bin ich wieder versöhnt mit ihr, meiner Halte. Weil sie so herrlich zentral liegt. Und weil ich die S-Bahn noch mehr hasse als das Warten im Chaos. Und weil mich die Tram jetzt direkt an die Isar bringt.


Beitragsbild: © Katrin Schultze-Naumburg

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