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“Den Leuten das Flüchtlings-Label abnehmen”: Flüchtlingsprojekt Bellevue di Monaco für Förderpreis nominiert

Zehn Projekte sind nominiert. Vier davon sollen mit je 50.000 Euro von einer neugegründeten Initiative zur Förderung von Integration und kultureller Teilhabe gefördert werden: “The Power of the Arts”. Die eingereichten Konzepte beinhalten Kreativwerkstätten, Theater- und Musikproduktionen, Medienplattformen und Hochschulvorhaben. Auch ein Projekt aus München zählt zu den Nominierten.

Das Alien im Glockenbachviertel

Als “Alien im ansonsten radikal durchgentrifizierten Glockenbachviertel” wird das Bellevue di Monaco von Initiator Matthias Weinzierl bezeichnet. Und tatsächlich: zwischen Green Smoothie-Läden, falsch parkenden SUVs und Luxus-Immobilien würde wahrscheinlich niemand eine Flüchtlingsunterkunft erwarten.

Beinahe hätte die drei baufälligen Wohnhäuser unweit des Gärtnerplatzes auch ein ganz anderes Schicksal getroffen: Abriss und Neubau. Ein weiteres Luxusquartier in der wahrscheinlich meist begehrtesten Lage. Eine Bürgerinitiative jedoch konnte den Erhalt der Häuser sichern und im April 2016 verpachtete die Landeshauptstadt München die Häuser für die nächsten 40 Jahre an die Sozialgenossenschaft. Seitdem sind die vielen freiwilligen Helfer fleißig am renovieren. Entstehen sollen zwei Wohnhäuser sowie mehrere Räume für Beratung, Schulungen, Begegnungen und Kulturveranstaltungen.

Das Bellevue di Monaco ist also weit mehr als nur eine Unterkunft. Die Wohnhäuser Müllerstraße 4 und 6 bieten mit ihren 16 Wohnungen Raum für junge Geflüchtete und Geflüchtete mit besonderem Bedarf, insbesondere Familien. In der Müllerstraße 2 entstehen Kulturräume.

„Wir möchten hier unterschiedliche Menschen zusammenbringen und einen Ort schaffen, an dem jeder, unabhängig von seiner Geschichte und Vergangenheit, das machen kann, worauf er Lust hat“, so Moritz Schleissing. Er ist für das Kulturprogramm verantwortlich.

Wo heute noch renoviert und gestrichen wird, sollen schon bald Foto-, Tanz- und Sprachkurse stattfinden, sowie Lesungen und Podiumsdiskussionen. Im oberen Stockwerk wird eine eigene Bühne für Theater- und Musikveranstaltungen gebaut.

Hinter der großen Fensterfront an der Ecke Müllerstraße/Corneliusstraße eröffnet außerdem bald ein Café – als “Schaufenster” in die Stadt. Die Bauarbeiten sind so gut wie abgeschlossen: elegante Möbel aus Holz und Kupfer stehen neben der Bar, einzelne Glühbirnen hängen an filigranen, mattschwarzen Seilen von den hohen Decken. Ein Glockenbach-Café, wie es im Buche steht. Dass das Café, das gemeinsam mit den Geflüchteten betrieben wird, im Viertel gut angenommen wird, dem ist man sicher. „Das ist ein sehr tolerantes Stadtviertel.“ Wie bei allen Projekten steht auch hier das Zusammenkommen verschiedenster Menschen, Kulturen und Geschichten im Mittelpunkt. Auf der Galerie über der Theke soll zukünftig die Asylberatung stattfinden.

Eine eigene Stimme durch BELLEVUE NETWORKS

Bis Dezember 2018 soll außerdem die Medienplattform BELLEVUE NETWORKS entstehen: Bei Bellevue TV oder dem Munich International Radio erhalten Münchnerinnen und Münchner mit und ohne Fluchterfahrung die Möglichkeit und das Know-How, sich durch Film- oder Audiobeiträge mit einer eigenen Stimme am gesellschaftlichen Dialog zu beteiligen. Gemeinsam sollen regelmäßige Formate entwickelt und produziert werden.

„Radio und Podcasts sind niederschwellig. Niemand muss sein Gesicht zeigen, und auch sprachliche Schwierigkeiten sind erstmal nicht so wichtig. Bei uns muss niemand perfekt Deutsch sprechen.“, erklärt Christian Ganzer, ebenfalls Mitglied des Kernteams. Viel wichtiger ist, wie das Projekt kommuniziert wird: nämlich nicht als Flüchtlingsprojekt oder Radio von Flüchtlingen. Den Flüchtlingsstatus in den Hintergrund rücken und den Leuten das “Flüchtlings-Label” abzunehmen, das ist der Kern der Arbeit im Bellevue di Monaco. Das Munich International Radio wird, wie der Name schon sagt, eben ein Radiosender aus München.

Der Tabakkonzern und der Glaube an die Kraft der Kunst

Und Bellevue di Monaco ist nur eins von zehn tollen Projekten, die für ihr Engagement in Sachen Kultur und Integration belohnt werden sollen. Viermal wird von der Initiative “The Power of Arts” ein Fördergeld von jeweils 50.000 Euro vergeben.

Dahinter steckt übrigens die Philip Morris GmbH – richtig, Philip Morris wie in Marlboro, L&M, Chesterfield und IQOS. Philip Morris vergibt seit über 40 Jahren Gelder an gemeinnützige Organisationen und ist als Förderer großer Sammlungen, Aussteller und Künstler bekannt. Der Glaube an die integrative Kraft der Kunst, die Unterschiede – entstanden durch Sprache, Ethnie und Religion – überwinden kann, war namengebend für die Initiative.

Die nominierten Projekte werden dabei von David Jena und dem Fotografen Robert Rieger in Reportagen eigens porträtiert. Eine siebenköpfige Jury entscheidet über die Vergabe des Fördergeldpreises. Die Jury ist eine bunte Mischung aus Stiftungsvorständen (Dr, Hans-Jörg Clement, Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Ralf Fücks, Heinrich-Böll-Stiftung e.V.), Kulturschaffenden (Chris Dercon, Volksbühne Berlin, Erika Hoffmann, Sammlung Hoffmann) und bekannten Aktivisten (Kübra Gümüşay, Publizistin, Lamya Kaddor, Autorin und Islamwissenschaftlerin und Nikeata Thompson, Choreografin und Sängerin).

Mitte September wird der Gewinner bekannt gegeben. Wir drücken die Daumen für Bellevue di Monaco!


Bildmaterial: The Power of the Arts, Fotos von: Robert Rieger, Bellevue di Monaco, Fotos von: Patrick Wild, Gila Sonderwald, Ziska Thalhammer, Samir Sakkal u.a.

Giulia Gangl
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