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24 Stunden geöffnet – ein Selbstversuch im Fitnessstudio

Jan Rauschning-Vits
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Fitnessstudios.

Was kann ich darüber sagen? In erster Linie, dass ich sie bisher gemieden habe und immer dachte, sie seien ein Hort der Oberflächlichkeit. Ich dagegen bin ein Schreiber, ein Denker. Wohl eher Dicker und Denker. Sportlich? Das war mal. Natürlich schließt sich sportlich sein, den Körper stählen und gleichzeitig tiefgründig und belesen zu sein nicht aus. Jedoch sind harte körperliche Arbeit und hohe geistige Leistung historisch bedingt Gegenteile. Die geistig agilen mussten nicht körperlich arbeiten, damals im Mittelalter. Heute flüchten sich die weniger sportlichen und attraktiven in die geistigen Ertüchtigungen.

Das sind plumpe Vorurteile und noch dazu Ausreden von mir, um nicht dort hin zu gehen. Und Vorurteile will ich mir nicht leisten.

Darum wage ich ein Experiment.

Es trägt den Namen „24-Stunden im 24-Stunden-Fitnessstudio“. Wer trainiert dort zu jeder Tages- und Nachtzeit? Sind hier nur bis zur Unkenntlichkeit aufgeblasene Bullen zu finden, oder ist das Phänomen der Discount-Studios mit ihren 24-Stunden Angeboten in der Masse angekommen?

Ich wählte für mein Experiment den Inbegriff der gemeinhin als „Assi-Buden“ verschrienen Fitnessketten: McFit. Die Kette betreibt 241 Studios in ganz Europa. Gegründet wurde das Unternehmen vor 20 Jahren in Würzburg und ist mit 3.500 Mitarbeitern, über einer Million Mitgliedern und fast 300 Millionen Euro Jahresumsatz dem Mittelstand bereits entstiegen. McFit ist ein Konzern von internationaler Güte und Größe.

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16:30 Uhr

Mein erster Tag beginnt. Mit dem Bus fahre ich zum Euroindustriepark. Dort ist die mir nächste Filiale von McFit. Vorbei an Baumärkten und Fast-Food Restaurants dringe ich tief in das lieblose Gewerbegebiet ein. Hier ist nichts schön. Das Studio ist neben einem Möbelgeschäft, das sich auf Sofas spezialisiert hat. Ich bin stolz auf mich, als ich die Stufen des McFit hinauf stapfe. Mir kommt eine Gruppe Jugendlicher entgegen.

5 Jungs, 5 Eiweißshakes. Klischee Nr. 1, check.

Ich habe einen Termin mit Evgenia. Sie ist Trainerin und führt mich in die mir unbekannte Welt des Gerätetrainings ein. Zusammen mit einem etwas schüchternen Teenager und einer noch schüchterneren Asiatin gehen wir die verschiedenen Geräte durch. Evgenia zeigt uns die genauen Bewegungsabläufe und wie man die Geräte richtig einstellt. Dann fragt sie uns, was denn unsere Trainingsziele sind. Ich muss schmunzeln, als der Teenager: „Muskelaufbau halt, so breite Schultern und so“, sagt. Klischee Nr. 2, check! Am Ende der Einführung teilt sie Trainingspläne aus. Ich bekomme einen namens „Ganzkörper Basic“. Angefangen wird mit einer Aufwärmrunde auf dem Fahrrad.

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Zwanzig Minuten strample ich mich warm. Ich beobachte die Leute und sehe in erster Linie Normalos. Die Aufmachung des Studios ist aber eher High-End. Überall hängen Poster und Bilder von sagenhaft durchtrainierten Menschen. Durch eine Scheibe kann ich in den Spinning-Raum schauen, in dem sich gerade eine Gruppe auf Fahrrädern schindet. Alles unter der Anleitung eines Videos, in dem eine Dame die Übungen vormacht, die den Darstellungen hellenischer Wettkämpfer entsprungen zu sein scheint. Auf einem Videoscreen über meinem Kopf laufen Extremsport-Videos. Klassischer Red Bull- aka Schau-wie-krass-ich-bin-Content. Die ganze Marke McFit baut auf Fitnessmodels, aber vor mir rackert sich eine in etwa 140 Kilo schwere Dame ab, während die schüchterne, schmale Asiatin aus der Einführung daneben zaghaft das Rudergerät bedient. McFit ist erstaunlicherweise ein Massenstudio für ganz normale Leute. Wie kann das sein, bei all der üblen Nachrede und der Werbung mit Fitnessfreaks? Zwischen den Normalos finden sich freilich auch Profis. Menschen mit Oberarmen wie 20-Kilo-Proteinshake-Pulver-Fässer. Sie sind aber eher nicht die Regel. Ich beobachte ein Pärchen, das zusammen wohl eine Eiche entwurzeln könnte. Sie drückt einen beachtlichen Stapel Gewichte an der Brustpresse weg, während Er Anweisungen gibt und Sie anfeuert. Danach lässt Sie sich von ihm anerkennend ihren Bizeps befühlen. Er ist sichtlich stolz auf sie. Sie küssen sich.

Ich mache mich an die Geräte. Hier leiste ich 3 Sätze à 15 Wiederholungen. Zwischen den Sätzen soll ich eine Minute Pause machen. So sitze ich häufig einfach nur rum und warte darauf, dass die Muskeln wieder Leistung bringen können. Das Ganze gestaltet sich nicht so anstrengend wie gedacht.

Ich stehe alles wacker durch. Bis ich zum Rückenstrecker komme. Bei diesem Gerät macht man quasi umgekehrte Sit-Ups. Dabei hängt man fast kopfüber. Ich mache das Ganze fünf mal und erlebe dann etwas, was ich nur als Bandscheibenkernschmelze beschreiben kann. Ich kämpfe gegen die Tränen an und bastel mich irgendwie aus dem Gerät. Ich schleppe mich in die Dusche, wo ich mich erstmal mit den Händen an der gekachelten Wand abstützen muss und Minuten lang nach Luft ringe.

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Die Atmosphäre in der Umkleide ist gelöst. Manche Männer kommen zu zweit zum Training und unterhalten sich höflich gedämpft, die meisten sind alleine da. Meine anfängliche Horrorvorstellung, dass Fitnessclubs so etwas wie schulischer Sportunterricht für Erwachsene mit starken Gruppendynamiken sei, denen vor allem die Unsportlichen zum Opfer fallen, bestätigt sich nicht. Alle achten sich, Mann benimmt sich. Ich beginne auch an der Daseinsberechtigung für reine Frauenstudios zu zweifeln, da ich auf den ersten Blick keine sexistische oder diskriminierende Stimmung erkennen kann.

14:00 Uhr

Drei Tage später fahre ich ins Westend. Ich will das Studio in der Landsbergerstraße testen. Die zwei Tage nach dem ersten Training waren hart. Die erste Nacht konnte ich nur Dank Voltarensalbe schlafen. Am zweiten Tag war es noch eine echte Herausforderung in den Mantel rein- und wieder rauszukommen.

Das Studio im Westend liegt zwar an der bemerkenswert hässlichen Landsbergerstraße, ist aber wesentlich besser aus der Innenstadt zu erreichen als das McFit in Nord-Schwabing. Hier sind deutlich mehr Menschen als bei meinem ersten Besuch im Euroindustriepark. Das macht sich schon auf dem Hinweg bemerkbar. Ein nicht enden wollender Strom an jungen Männern mit gewaltigen Proteinshakes zieht an mir vorbei in Richtung Trambahn.

Ansonsten unterscheidet sich dieses Studio aber wenig von seinem Zwilling im Euroindustriepark. Zwei Ledersofas im Eingangsbereich, der gleiche Automat mit Energieriegeln und Trainingsbedarf, die gleichen Trainingsgeräte. Alles gleich. Auch die Präsentation von muskulösen Super-Bodys, die mich im Euroindustriepark nachdenklich gemacht haben. Das ganze Konzept wurde bestimmt von Horden von Innenarchitekten und Marketingprofis bis in den hintersten Winkel abgestimmt.

Obwohl mit mir auch ein Mann mit Aktenkoffer und Anzug das Studio betritt, gibt es hier viel mehr durchtrainierte Büffel. Und ich meine so richtig durchtrainiert. Aber auch die scheinen alle lieb und nett zu sein. Als ich mich wieder auf dem Fahrrad aufwärme, beobachte ich einen Mann, der extra auf ein Gerät in der Nähe der Fahrräder wartet, obwohl ein anderes der gleichen Bauart frei wäre. Der Grund erschließt sich sofort: Neben mir radeln zwei schicke Damen. Er lädt sich eine obszöne Ladung an Gewichten auf und beginnt mit angestrengtem Gesicht zu pumpen. Dabei schaut er immer wieder zu den Frauen rüber und hofft, beachtet zu werden. Sie tun so, als sähen sie ihn nicht. Es gibt sie also doch, die sexuelle Spannung im Massenfitnessstudio. Schade.

Nach meinem Training entdecke ich in der Umkleidekabine einen Haufen weißes Pulver. Mein partygeschädigtes Hirn denkt sofort an Drogen. Bei näherem Hinsehen entpuppt es sich aber als zurückgelassenes Proteinpulver.

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Die Tage nach dem zweiten Training sind viel erträglicher als noch nach der ersten Session. Dabei hatte ich bereits die Gewichte erhöht.

1:00 Uhr

Ich komme eine Woche später wieder. Dieses Mal spät in der Nacht. Auch jetzt sind Menschen hier. Manche Fitnesscracks sind darunter. Generell sind die Randzeiten aber eher die der ungewöhnlichen Trainingsgäste. Die Mitglieder mit starkem Übergewicht kommen lieber dann, wenn wenig los ist. Sie scheinen sich ihrer Körper zu schämen. Dennoch kommen auch sie zu McFit. Der 24-Stunden-Aspekt ist dabei weitestgehend eine Promotionsache. Zu den wirklich unchristlichen Zeiten kann man zwar rein, der Rund-um-die-Uhr Service wird aber viel weniger in Anspruch genommen, als man das vielleicht erwarten würde. Ab 22 Uhr ist auch kaum mehr Personal da. Die meisten Kunden brauchen es auch nicht. Sie kommen, ziehen ihr Training durch und gehen wieder.

8:00 Uhr

Ich frühstücke in der Tram. Das hat mit der frühen Uhrzeit zu tun. Sowas bin ich als Student nicht gewohnt. Ich will aber unbedingt wissen, wer denn wirklich so krass ist vor der Arbeit noch ein paar Gewichte zu stemmen. Die Antwort liegt auf der Hand: Es sind die High-Performer. Frauen in Business-Kostümen und Männer im Anzug, die Aktenkoffer tragen.

Sie sehen nach rund 100K Jahreseinkommen aus – und nach Selbstdisziplin. Doch natürlich ist auch das klischeehafte Fitness-Pump-Publikum da. Die Jungs mit den Schlauchboot-Armen, die aus Tanktops ragen.

Bei den Businessmenschen könnte man eigentlich erwarten, dass sie die höherpreisigen Fitnessstudios besuchen. Jedoch scheinen nicht alle aus diesem Milieu die 70 Euro mehr für einen Spa-Bereich zu akzeptieren, oder sie haben die Sauna und den Whirlpool ohnehin zu Hause.

Die einzigen, die deutlich unterrepräsentiert sind bei der billig Fitnessstudio-Kette junge Frauen zwischen 20 und 30. Vielleicht sind sie abgeschreckt vom schlechten Image der Massenbetriebe? Studios die explizit für Frauen sind, wie Ms Sporty, erfreuen sich ja auch immer größerer Beliebtheit.

Ich für meinen Teil versuche auf jeden Fall dran zu bleiben und mehr Sport zu machen. Soll ja immerhin gesund sein.

 

Der Text erschien zuerst im Mucbook #7 – dem etwas anderen Sportheft. Das gibt’s hier im Shop!

Beitragsbild: Photo by Cristian Baron on Unsplash

1Comment
  • Dein Körpercoach
    Posted at 11:12h, 24 April

    Danke für den interessanten Bericht. Damals habe ich im McFit meine ersten Fitnessübungen an den Geräten mithilfe der Trainerin absolviert und der Muskelkater in den nächsten Tagen hat mich nicht davon abgehalten, weiter aktiv zu sein. Ich bin heute nicht mehr dort, aber dankbar für diese wertvolle Erfahrung und die Klischees, die man so von Fitnessstudios vielleicht aufbaut, wurden wieder verworfen.

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