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Großstadt-Allüren: Münchens Obsession mit Rooftop-Parties

München – Stadt der Glückseligen. So schön, so sauber, so sicher. Wo sonst kann man morgens aus dem Bett rollen, sein „Mia san mia T-Shirt“ überstreifen, sich zum nächsten Biergarten begeben und unter leuchtend grünen Kastanienbäumen die erste Maß des Tages genießen.

Überhaupt: die Isar, die Alpen, das Bier! „Bayern ist das beste Bundesland“, sagt Ministerpräsident Markus Söder. Und München ist die Hauptstadt. Da verkraftet man es auch, wenn der Rest des Landes einen ob dieser Selbstherrlichkeit öfter mal belächelt. Nur eines mag man hier nicht: als provinziell bezeichnet werden. 

Hast du mich gerade Dorf genannt?

Spätestens beim zweiten „Hamburg ist halt eine richtige Großstadt“ haut es beim Münchner die Sicherungen raus. Dann gilt es, unter allen Umständen zu beweisen, dass München mindestens so großstädtisch ist.

Dann wird vom FC Bayern schwadroniert, von exotischen Restaurants und Exzellenzuniversitäten. Statt lässig mit den Schultern zu zucken und sich darüber zu freuen, dass es hier immerhin nicht 364 Tage im Jahr regnet, setzt der Münchner zu einer Rechtfertigungstirade an.

Zu erklären ist dieses Verhalten damit, dass der Münchner sich ertappt fühlt. Denn es ist durchaus richtig, München als provinziell zu bezeichnen. Die Wege sind nach wie vor kurz, die Vielfalt oft klein und auch mit der Anonymität hält es sich in Grenzen. Ein Außenstehender, der München zum größten Dorf der Welt erklärt, legt seinen Finger also zielgenau in jene Wunde, die da mangelndes Selbstbewusstsein einer Stadt lautet.

Um dem eigenen Geltungsbedürfnis dennoch gerecht zu werden, hat der Münchner einige Kompensationsmechanismen entwickelt. Ein besonders seltsamer ist in den letzten Jahren dazugekommen: Man rennt auf jede Veranstaltung, die auch nur im Entferntesten etwas mit einem „Rooftop“ zu tun hat. 

Was früher mal die Dachterrasse war, ist heute eine Rooftop-Bar

Rooftop – das ist Weite, das ist Welt, das ist Englisch. Kein anderer Begriff bringt die Münchner Sehnsucht nach Großstadt deutlicher zum Ausdruck als dieser Anglizismus. Taucht auf Facebook eine Veranstaltung auf, die das Wort „Rooftop“ im Namen trägt, klicken die Münchner in pawlowscher Manier auf „Teilnehmen“ oder „Interessiert“. 

Im letzten Jahr zählte die Eröffnung einer besonders beliebten Dachterrasse laut Facebook rund 9.000 Gäste. Auch alle weiteren Veranstaltungen hatten tausende Zusagen. Und in diesem Jahr scheint es genauso weiterzugehen. Eine kleine Dachterrassen-Party mit Platz für ca. 60 Leute, irgendwo in Mittersendling? 5.000 Menschen gefällt die Vorstellung, da auf einen „Sundowner“ vorbeizuschauen und das herrliche Alpenpanorama zu loben. Eine Freundin, die ihren Geburtstag traditionell bei sich zu Hause auf der Dachterrasse feiert, hat dieses Jahr kurzerhand „Rooftop-Party“ auf die Einladungen geschrieben. „So viele Zusagen hatte ich noch nie“, sagt sie.

Was man fairerweise sagen muss: Eine Rooftop-Party hat was

Doch die Münchner Obsession mit Rooftop-Parties als reinen Kompensationsmechanismus abzutun, wäre ungerecht. Schließlich hat es ja auch was, so eine Party über den Dächern der Stadt. München muss sich mit seinem Panorama nicht verstecken. Der Blick über den Horizont ist erhaben. Wenn man dann noch ein Getränk in der Hand hält und vernünftige Musik zu hören ist, steht einem grandiosen Sommerabend wirklich nichts im Wege. Das unbändige Interesse an Dachterrassen hat also durchaus seine Berechtigung. Schade nur, dass es so wenige davon gibt. 

Es gibt einfach zu wenig öffentliche Dachterrassen

Die Zusagen, die in die Tausende gehen, haben nämlich eine weitere Ursache: hohe Nachfrage bei kleinem Angebot. Lässt man die Dachterrassen der Nobelhotels weg, kommt man gerade mal auf eine Handvoll Orte, an denen sich ein Sundowner mit Panorama kombinieren lässt. Für eine Stadt von 1,5 Millionen Einwohnern ist das überschaubar.

Die kleine Zahl von Rooftops ist wiederum Stadtpolitik. Veranstalter berichten von kaum zu erfüllenden Lärm- und Brandschutzvorgaben. Eine Dachterrassen-Party, die hinter geschlossenen Fenstern stattfinden muss, lässt kaum etwas von dem Gefühl übrig, dem Himmel ein Stück näher zu sein.

Eine Anfrage beim Planungsreferat zu den städtebaulichen Vorgaben blieb bisher unbeantwortet. Es scheint jedenfalls so, als wäre es dem KVR einfacher zu vermitteln, dass man eine Herde Schafe auf die Dächer Münchens bugsieren möchte als eine Herde Feierwütiger.

Da kann man nur sagen: Willkommen in der Sch(l)afstadt.


Beitragsbild: © Jonas Haesner

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