Aufkleber -Kein Schlussstrich- auf einem Zigarettenautomaten in Muenchen.
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Kein Schlussstrich! – Mehr Fragen als Antworten bei der Urteilsverkündung im NSU-Prozess

Benjamin Brown

Als der Prozess gegen Beate Zschäpe am 6. Mai 2013 am Oberlandesgericht München begann, hofften die Angehörigen der zehn Opfer des NSU auf Aufklärung. Endlich standen die Morde, die die Polizei lange Zeit als Morde im Mafia-Milieu und zahlreiche Zeitungen abscheulicherweise als “Döner-Morde” bezeichneten, vor Gericht. Endlich sollten offene Fragen geklärt werden.

Fünf Jahre später

Nach fünf Jahren findet am 11. Juli die Urteilsverkündung im Prozess gegen Beate Zschäpe statt. Fünf Jahre sind eine lange Zeit, in fünf Jahren kann, muss, es möglich sein, wichtige Fragen zu klären. Wenn fünf Jahre nicht reichen, muss die Aufklärung weitergehen.

Die ersten NSU-Untersuchungsausschüsse im Bundestag und in den Landtagen Bayerns, Thüringens und Sachsens hatten schon Vorarbeit geleistet. Später kamen weitere Landtagsauschüsse dazu und arbeiteten parallel zum Prozess. Die Hoffnung bestand, dass die Angehörigen endlich Antworten bekommen würden: Wer ihre Familienmitglieder ermordet hatte und wie die Verbindungen zwischen dem NSU und dem Verfassungsschutz aussahen.

Aufklärung?

Dabei gab es bereits vor Prozessbeginn Anzeichen dafür, dass eine tatsächliche Aufklärung unwahrscheinlich werden würde. Da gibt es die Vernichtung wichtiger Akten zum NSU (unter dem Namen “Aktion Konfetti”) durch den Verfassungsschutz oder das “reihenweise Sterben” wichtiger Zeugen, extrem kurz vor bzw. nach ihren Aussagen.

So zum Beispiel ein Aussteiger aus der rechtsextremen Szene, der behauptete zu wissen, wer die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn erschossen habe. Er verbrannte am Tag vor seiner Vernehmung in seinem Auto. Außerdem: Ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und V-Mann-Führer, der während eines NSU-Mordes in einem Internet-Café in Kassel am Tatort saß und scheinbar nicht mitbekommen hat, wie neben ihm ein weiteres Opfer des NSU erschossen wurde – von Kollegen wurde der Verfassungsschützer “Klein Adolf” genannt, weil seine Beziehungen in die rechtsextreme Szene wohl nicht rein beruflicher Natur waren. Zahlreiche weitere Ungereimtheiten kommen dazu. Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um die vielen Zufälle zumindest interessant zu finden.

Statt Antworten liefert der Prozess nur weitere Fragen

Fest steht nach über 400 Verhandlungstagen NSU-Prozess in München: Die Aufarbeitung der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrundes ist kläglich gescheitert. Statt Antworten auf die drängenden Fragen, stellen sich nur neue. Anstatt den Angehörigen der Opfer Klarheit und eine Möglichkeit, mit dem Geschehenen ein stückweit abschließen zu können, zu geben, hat man eine Hydra der Unklarheit erschaffen.

Wer jetzt nichtsdestotrotz mit der Urteilsverkündung einen Schlussstrich zieht und den Fall der sieben Jahre andauernden Mordserie endgültig zu den Akten legt, hat kein Interesse Licht in das braune Dunkel zu bringen. Wer jetzt einen Schlussstrich zieht, macht es des Schlussstrichziehens wegen. Wer jetzt einen Schlussstrich zieht, möchte den Fall nie aufklären.


Am Tag der Urteilsverkündung, dem 11. Juli, findet ab 8 Uhr morgens vor dem Oberlandesgericht ganztägig eine Kundgebung der Kampagne “Kein Schlussstrich” statt, bei der Überlebende und Angehörige der Opfer des NSU-Terrors anwesend sein werden. Ab 18 Uhr zieht eine Demonstration im Gedenken an die Opfer durch München.


Beitragsbild: © Jan Krattiger

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