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Wegen dieser zwei Herren gehen wir am 13. Oktober europaweit auf die Straße

Jan Krattiger

Sehen so Revoluzzer aus? So ganz ohne Schwarzer-Block-mäßige Vermummung, hochgereckte Faust und Bengalos, ohne glühende Wut in den Augen und offen zur Schau getragene Angriffslust?

Nich wirklich. Diese beiden Herren sind wohl das, was man landläufig “Intellektuelle” nennen würde: Der österreichische Philosoph Michael Zichy (zuhause in Salzburg) und der Schweizer Schriftsteller Jonas Lüscher (in München zuhause).

Aktivisten aus Verzweiflung

Vor circa zwei Monaten wurden die beiden Kopfmenschen, die sich regelmäßig am Münchner Ethikinstitut und auch telefonisch über die politische und gesellschaftliche Lage der Welt austauschen, aus zunehmender Verzweiflung zu Aktivisten.

Sie starteten den Aufruf “13-10”: 5 Millionen Menschen sollen an ebendiesem 13.10.2018 auf die Straße gehen: Für ein vereintes, friedliches und demokratisches Europa.

Hier klicken für den Aufruf in voller Länge.

Also: für eine ganz grundsätzliche Haltung und ganz grundsätzliche Werte, die in diesen politisch-gesellschaftlich turbulenten Zeiten zunehmend bedroht sind. Bedroht von rechtsnationalen bis rechtsextremen, populistischen Kräften, die in vielen europäischen Staaten erstarken oder auch schon die Macht übernommen haben.

Prominente Erstunterzeichner

Dem Aufruf folgten erstmal hunderte prominente Erstunterzeichner aus ganz Europa, darunter aus Deutschland zum Beispiel die Autorin und Kolumnistin Carolin Emcke, die Münchner Schauspielerin Rosalie Thomass oder der Publizist Navid Kermani.

Seither sind Lüscher und Zichy tagtäglich damit beschäftigt, für den 13. Oktober, also einen Tag vor der bayrischen Landtagswahl, europaweit möglichst viele Menschen dazu zu motivieren, Demos zu organisieren.

Wir haben bei einer der Orga-Sitzungen in München mit Michael Zichy gesprochen:

MUCBOOK: Michael Zichy, erzählen Sie uns von dem Moment, in dem ihr Reden über die Probleme Europas gewechselt hat zum Handeln und zum Demo-Aufruf. Was ist dann passiert?

Michael Zichy: Interessant ist ja, dass unsere Anfrage auf ein unglaublich positives Echo gestoßen ist. Das heißt, es liegt offenbar eh schon in der Luft und es haben alle nur darauf gewartet, dass es endlich irgendjemand in die Hand nimmt und diesen Schritt macht in die Praxis. Natürlich ist es Ausdruck einer Frustration und einer Dramatik, in der wir jetzt stecken. Mit all den rechten Parteien, die zunehmend an Stärke gewinnen und sich vor allem auch – obwohl das ein Widerspruch ist – europaweit vernetzen.

Es gab viele positive Reaktionen auf ihren Aufruf, aber sie sagen auch dass „man dafür den Kopf herhalten muss“.  Was verlangt das von Personen, die mehr oder weniger in der Öffentlichkeit stehen, sich für so basale Anliegen einzusetzen?

Im wissenschaftlichen Diskurs ist es keine Selbstverständlichkeit. Nicht von allen, aber man wird schon auch schräg angeschaut. Man ist ja dafür da, seriöse Wissenschaft zu  betreiben und das hat mit Politik nichts oder zumindest wenig zu tun – so lautet zumindest das weit verbreitete Vorurteil. Dieses politische Engagement wird von einigen begrüßt, von anderen eher kritisch gesehen, weil man die „Reinheit der Wissenschaft“ irgendwie anpatzt.

Wie würden Sie als politischer Philosoph in aller Kürze die momentane Lage beschreiben?

Es ist ein Symptom der allgemeinen politischen Lage, dass Vernunftargumente oder generell Vernunft keine Rolle mehr spielen. Man hat ja den Eindruck, dass wir in einer Phase der völligen Irrationalität stecken. Und dass auch die Frage keine Rolle mehr spielt, ob Argumente begründet sind oder nicht und ob sie Gewicht haben oder nicht.

Ich hab kürzlich bei Hannah Arendt, die die Entstehung des Totalitarismus untersuchte, gelesen, dass das auch eine Zeit war, in der die breite Masse vollkommen verunsichert war. Da schreibt sie über die zwanziger Jahre. Und daher waren die Leute bereit, alles zu glauben und nichts zu glauben. In einer ähnlichen Situation stecken wir wieder und deshalb kann auch ein Herr Trump oder Orban oder wer auch immer behaupten was sie wollen und es ist vollkommen egal, ob das irgendeine Basis hat.

Gleichzeitig verfängt es offenbar mehr, gegen etwas zu sein. Für etwas zu sein bleibt nicht so haften oder reißt nicht so mit.

Ja, aber das Interessante ist doch, dass sich in der Geschichte feststellen lässt, dass Europa immer dann ein Identifikationspunkt wurde, wenn es darum ging, Europa gegen irgendwelche Feinde von außen zu verteidigen. Das Problem, vor dem wir jetzt stehen, ist, dass wir Europa gegen innere Feinde verteidigen müssen. Und da kann Europa nicht als Identifikationspunkt greifen, oder die Gefahr besteht zumindest. Wenn wir uns gegen Herrn Trump oder Herrn Putin wehren müssten, wäre es wesentlich einfacher, Europa zu einen.

Trotzdem versuchen Sie es mit dem europaweiten Aufruf zu Demonstrationen am 13. Oktober, dem bereits über 30 Städte gefolgt sind. Das ist viel Arbeit, nicht?

Vor allem schreibt man wahnsinnig viele Emails. Und es ist unglaublich: wenn man hunderte Emails verschickt, bekommt man pro Hundert vielleicht drei, vier Antworten. Das interessante ist aber, dass diese 30 Städte nicht dadurch zustande gekommen sind, dass wir irgendwelche Leute angerufen haben und die gebeten haben, etwas zu machen. Sondern das ist von selbst entstanden und zwar nicht einmal über die Leute, die wir angemailt haben. Da wird auch spürbar, wie das Gefühl der Ohnmacht abfällt, das man ja so oft hat. Weil man merkt, dass man doch etwas bewegen kann. Wenn man zumindest ein paar Leute begeistert. Das ist mehr, als wenn man einfach nur einen Text schreibt und im besten Fall einige gehässige Kommentare kriegt.

Wenn wir uns jetzt den 13.10. vorstellen, wie muss der aussehen damit Sie sagen, die tausenden Emails, Telefonate und die Diskussionen haben sich gelohnt?

Ehrlich gesagt, wenn ich nachher eine Email bekommen würde von irgendjemandem, der irgendwo eine Demo gemacht hat oder auf deiner Demo war und jetzt sagt, das darf jetzt nicht enden, sondern das muss weitergehen. Dann war es ein Erfolg. Ob wir die fünf Millionen zusammenkriegen oder nicht. Das ist ein schöner Wunsch, aber das ist nicht entscheidend. Sondern dass man diese Ohnmacht überwindet. Es ist ein Prozess der Selbstermächtigung.

Michael Zichy, vielen Dank für das Gespräch!

Und München?

Ein Überblick zu allen Städten, in denen demonstriert wird, findest du hier. Dabei wirst du feststellen, dass München in der Liste noch nicht mit dabei ist. Das darf nicht sein, oder?


In aller Kürze:

Was? Demo “13-10” für ein vereintes Europa und gegen Nationalismus

Wann? Samstag, 13. Oktober

Wo? europaweit(aber nicht auf die EU beschränkt) in bisher 30 Städten

Mehr Infos hier


Beitragsbild: © Jan Krattiger

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