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Alpenglühen

Regina Karl
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Feridun Zaimoglu und Günther Senkel haben mal wieder geklönt. Heraus kam weitab von Kanacksprack und Türko-Pop ihr neues Stück „Alpsegen“, eine Hommage an die Stadt München, die Sebastian Nübling gestern Abend an de Kammerspielen uraufgeführt hat.

Alpsegen 6

Feridun Zaimoglu und Günther Senkel, die schrullig schrägen Stückeschreiber, die einstmals die Kanacksprack zu theatraler Poesie haben aufklingen lassen, haben einen neuen Wurf gelandet. „Alpsegen“ heißt ihr Prosastück und handelt nicht etwa von schwarzen Jungfrauen oder multikulturelle Landflucht gen Berlin, sondern von München, der Stadt, in der Zaimoglu aufgewachsen ist und deren bigotten Katholizismus er offenbar genauso internalisiert hat, wie sein Image als Vorzeige-Türke.

Fernab von Kir Royal oder Monaco Franze präsentieren Zaimoglu und Senkel allerdings die gruseligen Schattenseiten der nördlichsten Stadt Italiens. Alpine Fabelwesen und Sagengestalten, wie die Mondhelle oder der fahle Gimpel, spuken durch den Text und lassen eine Stadt zur Manie werden.

Sebastian Nübling inszeniert daraus einen hysterischen Rebus. Er kratzt solange an Münchens schicker Oberfläche bis noch die dunkelsten Geheimnisse zum Vorschein kommen. Auf Muriel Gerstners Doppelbühne, deren staubig muffige Ästhetik Wirtshaus und Geisterbahn, Hotellobby und Bauertheater miteinander paart, robbt zum Auftakt ein Armee untoter Alpen-Zombies mit Händen zum Himmel und Knien fest am Boden in Richtung Publikum. So besessen sie zum Heiland beten, so leicht gehen ihnen die altbekannten bayrischen Schimpfwörter à la „Du hundselendige Sau, du!“ über die Lippen. Das natürlich immer dann, wenn einer daherkommt, der in diese Bigotterie aus Christmette und sauren Zipfel so gar nicht passen will.

So zum Beispiel Curd (Jochen Noch mit Hornbrille und rosa Anzug als Inbegriff des Perverslings), der statt seiner Wirtin (Gundi Ellert) unter den Rock, lieber dem Eisverkäufer Flavio (fantastisches Schmierentheater von Kristof van Bofen) auf die Eier guckt. Derlei Abartigkeiten werden natürlich sofort geahndet und als allgegenwärtige Stimme aus dem Jenseits hetzt die Wirtin den gemeinsamen Sohn Mäxchen (Benny Claessens) auf Vaters Fährten.

Mäxchen, ein Mischung aus Pierrot und Chucky, der Mörderpuppe, macht lieber die Touri-Tour und geht ins Museum. Da trifft er die leichenblasse Cecilia (Wiebke Puls), auch so eine Untote aus dem Bergischen, die im Rest des Ensembles permanente Wiedergänger findet, die mit ihr gemeinsam im Dreher über die Bühne schweben.

Zotig zünftig inszeniert Nübling diesen Bilderzirkus, wenn Cecilia zum Beispiel mit Rücken zum Publikum ihr strenges schwarzes Kleid hebt, um in einer Mischung aus Intimwaschung und Selbstbefriedigung weiße Tropfen aus ihrer Scham zu melken. Daneben der tatterige Vater (Michael Tregor), der die frisch geronnene Milch in Tetra Paks umfüllt. Immer wieder begegnen wir diesen teuflischen Wolpertingern, die Nübling mit ordentlich Nebelschwaden verrätselt. Ist die stimmungsschwangere Prozession aus Wirtshausstühlen eine Persiflage auf Bayerns verstockten Katholizismus, dem die Kirche so lieb wie das Hofbräuhaus ist, oder steckt da mehr dahinter? Warum knabbert sich Mäxchen die Zähne an einem schwarzen Raben wund? Und wer war noch gleich die Wäscherin an der Furt?

Es mag keine rechte Auflösung geben für Nüblings grausige Vexierbilder. Mäxchen, der am Ende ins Wasser geht, sowie die kitschig schlupfrige Homo-Erotik zwischen Curd und Flavio, das ist ein bisschen Ludwig II. Die dicken Bierkrüge und die dumpfen Klänge der Tuba (Peter Laib), das ist ein bisschen Oktoberfest. Dazwischen steht man wie der Ochs am Berg.

Da sein Schwänzchen nicht mehr so recht weiß, wohin mit sich, hängt Curd statt dessen ein geflochtener Rapunzelzopf vom Hals. Irgendwie muss sich dieses ganze Schauer-Szenario doch beim Schopfe packen lassen, möchte man da meinen. Doch die Geister, die er rief, holen Nübling ein. Seine Inszenierung bleibt am Ende ein faszinierendes Bilderrätsel ohne Lösungswort. Aber keine Sorge, die Münchensaga hält ja – vergelt´s Gott – noch genug Material zur Entschlüsselung bereit.

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Nächste Aufführungen: 19.4, 21.4., 3.5., 5.5.

Alpsegen 1

Alpsegen 2

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