Kultur

Amerika, über den Wolken

Regina Karl
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Zwei Reiseberichte: Beim Radikal-Jung-Festival am Volkstheater gelingt ein uninszenierbarer Kafka, die Uraufführung “Himmelangst” gerät zur überladenen Polit-Farce. Ein zweiter Zwischenbericht.

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Kafka: einer von denen, der nach wie vor als praktisch nicht inszenierbar gilt. Kafka, der für und in das Innen des Menschen hineinschreibt, aber doch sicher nicht für eine Bühne. Und doch: Am Montagabend Kafkas Romanfragment „Amerika“ beim Radikal-Jung-Festival am Münchner Volkstheater. Einen recht sperriger Kafka hat sich Regisseur Bastian Kraft, Absolvent des Gießener Studiengangs „Angewandte Theaterwissenschaft“ unter Heiner Goebbels (dort studierten auch Rimini Protokoll oder René Pollesch), ausgesucht. Veröffentlicht wurde Kafkas Roman erst posthum durch Max Brod, erzählt wird die Geschichte des 16-jährigen Karl Roßmann, der erst sein Dienstmädchen schwängert und dann von seinen indignierten Eltern über den Teich nach Amerika verschickt wird. Ein Ankommender, der sich im Dschungel der Großstadt nicht ganz zurecht finden will. Das Ende hat Kafka nie geschrieben und auch Kraft schließt seinen Abend lediglich mit gleißend rotem, vielleicht verheißungsvollen Licht.

Was er bis dahin präsentiert, vielmehr was sein Schauspieler Philipp Hochmair, erste und einzige Figur des Abends, zeigt, ist purer Kafka. Hochmair steckt den ganzen Abend über in einer Plexiglas-Box, in der er gerade so viel Platz hat, sich um seine eigene Achse zu drehen. In der Box nur Spiegel, die Hochmair zugleich zum Beobachter und Beobachteten seiner Hauptfigur Roßmann machen. Wer ist dieser Kerl, der in Amerika ankommt? Wo will er hin? Was wird aus ihm? Diese Fragen erscheinen auf eindrückliche wie vielfältige Weise in der Mimik Hochmairs, die von den Spiegeln immer wieder karikiert, zurückgeworfen und gebrochen wird. Das Innen eines Menschen, das Innen eines Verzweifelten, das Innen ohne Außen. Diese Beklemmung hat Kafka aufgeschrieben. Kraft hat dafür (eben doch) ein Bild gefunden.

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Auf der Reise ins Selbst sind auch die Hauptfiguren des neuen Stücks von Daniela Dröscher „Himmelangst“. In der Inszenierung von Lilli-Hannah Hoepner hatte das Stück im letzten Jahr in Bochum Premiere und gastiert gerade ebenfalls in München. Was Dröscher versucht hat, ist große Literatur- mit großer Polit-Geschichte zu verflechten und das in möglichst poetische Phrasen zu verpacken. Was das Stück vermittelt, ist jedoch ein plattes, teils verfälschend wenn nicht gar verlächerlichendes Unterhaltungs-Intermezzo zum Thema Iran und Amerika. Barry, der eine Art Blaupause von Othello sein soll, eigentlich aber aus Afrika kommt und Präsident der Vereinigten Staaten werden will, trifft auf seinem Flug nach Teheran die drei iranischen Schwestern und Flugbegleiterinnen Rukaya, Leyla und Shirin. Autsch! Doch die drei sind nicht einfach nur iranische Stewardessen mit Burka, sie haben auch einen Charakter: Leyla entpuppt sich als männermordende Lulu, Rukaya zur dissidenten Johanna von Orléans  und last but not least erinnert uns Shirin, die Gedichte schreibt und sich prompt in den unbekannten Prinzen aus Zamunda verliebt, an Gretchen.

Damit hätten wir einige der ganz, ganz großen Brocken auf der Bühne schon mal untergebracht, dann also an die Politik: Die Schwestern werden zu poetischen Touristen-Guides, die den Unbekannten mit Basketball durch Teheran führen. Erzählen tun sie von Freud und Leid, von Religion und Fanatismus, von Bomben und Kamelen, von Honig und Wüste. Und der Afro-Ami, der erzählt davon, dass auch er es nicht leicht hat, so als Schwarzer in Amerika, der Präsident werden will. In ihrer Inszenierung versucht Hoepner diese ungemein platte Bühnenvorlage zu retten: Auf Plastikstühlen sitzt man, die um 360 Grad drehbar sind. Rundherum die einzelnen Stationen des Stücks: Ein Hotelzimmer, ein Fahrrad auf einem Basar, ein Cockpit. Auf den drehbaren Plastiksitzen für jeden eine Kotztüte und ein Bord-Plan. Doch Hoepners Orient-Express über den Wolken rettet wenig an diesem Nicht-Plot, der so anmaßend aktuell und politisch relevant daher kommt. Die Schauspieler finden allesamt keine Verbindung zwischen der viel zu dick aufgetragenen lyrischen (lyrisch ja, gehaltvoll nein) Sprache des Stücks und dem Polit-Terror rund um Minderheiten- und Religionsproblematiken. Vielleicht ist der Dreh- und Angelpunkt des Stücks nicht mit Plastikstühlen sondern mit der Tatsache festzumachen, dass dieses Stück und leider auch die Inszenierung nichts problematisiert, noch nicht einmal etwas erzählt.

Gehobenes, doch diesmal mitunter durchaus gehaltvolles Sprachniveau bestimmt auch die szenischen Adaption des Helmut Krausser Romans „Eros“, die am Donnerstag und Freitag Abend beim Festival zu sehen ist. Die Inszenierung von Christine Eder ist der Volkstheater-eigene Kandidat für den Publikumspreis.

Alexander von Brücken (ziemlich glaubhaft: Friedrich Mücke) ist Eros: sein Leben lang ist er bedingungslos verliebt in Sophie und zieht ebenso bedingungslos sämtliche Konsequenzen aus seinem ewigen Phantasma. Um Kraussers Generationentableau vom 2. Weltkrieg bis zum Mauerfall zu erzählen, stellt Christine Eder lediglich ein paar Schauspieler und eine cognacbraune Leder-Couch auf die Bühne. Nicht unbedingt erotisch, aber doch eingängig.

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