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Rebellieren oder telefonieren?

Jana Edelmann
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Wie verbessert man die Welt?  Johannes Trischler ist Kommunalpolitiker und empfiehlt Überzeugungsarbeit in Hinterzimmern. Fabian Bennewitz glaubt an das Gegenteil: Der Schulstreikaktivist setzt auf die Macht der Massen. Revoluzzertum oder politische Basisarbeit? mucbook hat beiden zugehört:

Fabian: Unsere Ziele sind ganz realpolitisch: Wir wollen, dass Deutschland wirklich eine „Bildungsrepublik“ wird. Ganz konkret fordern wir dafür moderne Technologien in den Schulen, Klassenstärken von höchstens 20 Schülern und die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems. Das Aussortieren von Zehnjährigen ist einfach unmöglich. Jeder sollte so viel Bildung erhalten wie möglich! Darum sehen wir auch das G8 kritisch.

Johannes: Ich kann deine Forderungen leider überhaupt nicht unterstützen. Deine Forderungen sind nichts Neues und dennoch eher unrealistisch. Du sprichst eine bessere Finanzierung an. Wie soll die denn konkret aussehen? Bei den modernen Technologien frage ich mich, ob die überhaupt sinnvoll genutzt werden? Die Münchner Schulen haben zum Beispiel eines der größten zivilen Intranet-Netzwerke der Welt. Nutzt nur leider nichts, weil erstens nur wenige Lehrer gezielt damit umgehen können und zweitens zwar in den Schulen Glasfasern verlegt sind, aber zwischen den Schulen noch alles übers Telefonnetz geht. Das ist rausgeschmissenes Geld.

F: Mit neuen Technologien ist es leider echt so, dass an vielen Schulen einfach noch nichts funktioniert. Bei mir an der Schule muss man erst mal zehn Zimmer durchforsten, bis ein funktionierender Tageslichtprojektor aufgetrieben ist.

J: Ist euch klar, wen ihr auf den Demos ansprechen müsst? Für diese technische Ausstattung sind die Kommunen verantwortlich.
Und für die ganzen Lehrplangeschichten sind`s die Länder.

F: Das wissen wir schon. Trotzdem haben wir eine Doppelstrategie: Wir wollen die Leute aufrütteln und auf die Straßen holen, andererseits richten wir Petitionen an diverse Ausschüsse. Aber im Kontakt mit Politikern kommt kaum was raus. Darum müssen wir Druck von unten aufbauen!

J: Im Kontakt mit Behörden muss man Geduld haben und dranbleiben. Dieses Verwaltungsgeflecht ist wirklich spannend, wenn man sich mal einarbeitet! Wer die Entscheidungsprozesse versteht, kann sich an der richtigen Stelle einschalten. Aber wenn man mit der unrealistischen Forderung ankommt, das dreigliedrige Schulsystem abzuschaffen – dabei kann nichts rauskommen. Gerade ältere Entscheidungsträger sind sehr heikel bei radikalen Vorschlägen. Wenn man was verändern will, muss man schon sehr feinfühlig sein und mit kleinen Forderungen reingehen.

F: Wir haben eine komplett gegensätzliche Auffassung von Engagement! Wir wollen nämlich gerade nicht innerhalb des Systems arbeiten, sondern von außen was bewegen. Und: Wir wollen radikale Veränderungen! Mit „Klein-klein“-Änderungen geben wir uns nicht zufrieden. Leider haben wir das Gefühl, dass kein Politiker wirklich was Großes ändern will.

J: Wieso sollte das nicht möglich sein? Wenn die StadtschülerInnenvertretung (SSV) da ist, hören ihr die Politiker schon zu!

F: Die SSV ist ja echt eine tolle Sache, keine Frage. Aber genau da fängt das Problem an: Die haben einfach keine wirklich weitreichenden Kompetenzen!

J: Es ist ja gar nicht das Ziel der SSV, in der Landespolitik mitzumischen! Die SSV ist eine kommunale Institution und hat darum auch nur kommunale Kompetenzen und Ziele. Und die SSV hat ein enormes politisches Potenzial. Sie muss von den städtischen Behörden gehört werden.

F: Die SSV wird zwar angehört, aber nie an irgendwelchen Prozessen beteiligt.

J: Die SSV ist sehr wohl am Entscheidungsprozess beteiligt. Das wichtige ist aber, dass sie über ihr Anhörungsrecht im Schulausschuss alle aktuellen Unterlagen haben. Das eröffnet die Möglichkeit, mit den verantwortlichen Verwaltungsbeauftragten und Stadträten zu sprechen.

F: Unser Ziel ist es, demokratisch an den Entscheidungen beteiligt zu sein. Wir
wollen nicht ständig den Bittsteller spielen!

J: Die Idee einer demokratischen Schule ist im Prinzip nicht schlecht. Dass Schüler tatsächlich beteiligt werden an den innerschulischen Entscheidungen und auch längerfristig an der Lehrplangestaltung mitwirken. Es stellt sich nur die Frage, ob die Umstände im Moment geeignet sind. Man kann Dinge nur erreichen, wenn die Zeit dafür reif ist.

F: Probieren kann man‘s immer.

J: Klar, ob es aber auch zu was führt, ist die Frage. Auf eurer Demo im letzten Jahr waren 2000 Leute. Das ist nicht schlecht, aber in München gibt es über 80.000 Schüler! Ich glaube, dass eure Forderungen oft gar nicht der Mehrheitsmeinung entsprechen. Nehmen wir mal G8 – das jetzt noch mal rückgängig machen zu wollen, das ist völlig utopisch. Vielleicht sollte man den Lehrplan kürzen, aber dass man das Ding jetzt wieder abschafft – unmöglich!

F: Darüber haben wir lange diskutiert. Wir sind letztlich zu dem Ergebnis gekommen, dass wir das G8 nicht abschaffen wollen, sondern es reformieren wollen. Das deckt sich mit der Position der SSV. Da frage ich mich schon, warum die sich unserem Streik nicht anschließen!

J: Eine Demonstration ist nicht zielführend, wenn keine Hintergrundarbeit geleistet ist. Außerdem ist die SSV ein Testmodell, das erst seit Oktober 2008 läuft. Da ist es doch klar, dass die da noch nicht mitmachen: Wenn die als Revoluzzer gelten, wird ihr Projekt ganz schnell wieder eingestellt.

F:Wenn man schon nach so kurzer Zeit abhängig ist von oben, ist das einfach die falsche Herangehensweise.

J: Die Leute von der SSV sind 18 junge Leute und müssen ihre Thesen und politischen Standpunkte erst entwickeln. Die müssen sich erst mal zurechtfinden, was ist eigentlich eine Kommune, wer sind die Ansprechpartner in der Politik.

F: Wenn man zu Tausenden auf die Straße geht, dann entfaltet die Masse mehr Macht, als jede Institution jemals haben kann!

J: Der Druck der Straße und die wirkliche Veränderung sind zwei Dinge. Wer Einfluss haben will, muss nicht unbedingt auf die Straße gehen. Der hat sein Telefonbuch. Kontakte sind die eigentliche Macht. Und die kann man sich erarbeiten. Man muss sich einfach entscheiden: Will ich etwas verändern oder nicht? Wenn ja, kostet mich das Lebenszeit für die Kontaktpflege mit Entscheidungsträgern. Oder will ich nichts verändern, dann schimpf ich nur und mach weiter wie gehabt.

F: Das ist eine Grundsatzfrage: Will man etwas von unten mit der eigenen Kraft durchsetzen – auch gegen Interessen und Druck von oben – oder möchte man sich anpassen und machen, was die da oben wollen.

J: Was heißt denn „die da oben“? „Die da oben“ kann dein Nachbar sein, der halt auch im Bundestag sitzt. Mit den meisten Leuten „da oben“ kannst du sehr gut reden.

F: Von „denen da oben“ kann man durchaus sprechen! Dieses ganze politische Zeug ist so abgehoben. Du hast halt viel Zeit investiert und kennst dich darum aus. Aber der Otto Normalverbraucher tut das nicht. Für den sind Politiker „die da oben“. Diese ganzen Schüleraktionskomitees und Streitkomitees haben sich ja deshalb gebildet, weil man gemerkt hat, wie wenig man bei diesen Institutionen „da oben“ erreichen kann.

J: Dann mach doch mit bei der SSV! Das ist genau so eine Institution!

F: Gerade in München planen wir auch, uns mit der SSV inhaltlich auseinanderzusetzen und vielleicht ein paar Aktionen zusammenzumachen.

J: Der Unterschied zwischen der SSV und euch wird sich vor allem langfristig zeigen: Die SSV hat feste Interessen und auch Verpflichtungen. Deshalb hat sie ein anderes politisches Bewusstsein und ist langsamer in ihren Entscheidungen. Ihr könnt zwar unabhängig von allem anderen operieren. Aber wenn ihr aus der Schule raus seid, habt ihr auf einem Schülerstreik nichts mehr verloren. Die SSV wird langfristig überleben, aber ihr werdet euch wieder auflösen.

F: Das glaube ich überhaupt nicht! Wir haben alle zwei Wochen Telefonkonferenzen, wir sind gut vernetzt. Wir haben zum Beispiel in vielen Schulen Politik-Arbeitskreise eingerichtet.

J: Alle, die ich kenne, organisieren sich in Institutionen, weil sie einfach erkannt haben, dass sie für große, längerfristige Ziele eine feste Organisationsform brauchen. Mein Vorschlag wäre: Gründet doch einen Verein. Das wäre schon eine ausreichende rechtliche Hülle. Wenn ihr irgendwas erreichen wollt, müsst ihr euch organisieren.

F: Es gibt die Überlegung, einen Verein zu gründen.


Johannes Trischler, 22 Jahre, gehört zu den
Gründervätern der Münchner StadtschülerInnenvertretung.
In jahrelanger Lobbyarbeit für
den Münchner Jugendrat hat der heutige Jura-
Student gelernt, geduldig zu sein. Seit 2009
sitzt er für die SPD im Schwabinger Bezirksausschuss
– einem Gremium, in dem auch Kultusminister
Ludwig Spaenle vertreten ist.

Fabian Bennewitz, 19 Jahre, machte
heuer sein Abi und gehört zu den Aktivisten
des Bildungsstreiks. Die Schülerinitiative
hält sich fern von Parteipolitik
und setzt auf den Druck der Straße und
Vernetzung durch das Internet. In München
folgten im Juni 5000 Jugendliche
dem Streikaufruf.



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