Kultur

Der Tod kommt mit der Zigarette

Regina Karl
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Auch das Münchner Volkstheater greift mittlerweile aufFilmadaptionen zurück: Am vergangenen Freitag feierte Aki Kaurismäkis „I hired a contract killer“ in der Regie von Bettina Bruinier Premiere. Eine etwas langatmige Zigarettenpause.

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Wer kennt ihn nicht, den „Jedermann“ von Hofmannsthal? Der Tod sitzt ihm im Nacken und all seine Mühen, sich am Leben zu halten bleiben vergeblich. In unserem Fall heißt der Jedermann Henri Boulanger, ein Standardfranzose mitten im Vereinten Königreich. Auch ihm ist der Tod auf den Fersen, allerdings auf den ausdrücklichen Wunsch des französischen Jedermanns hin. Warum? Henri arbeitet in einer staubigen Registratur. „Privatisierung“ heißt das Stichwort, das ihn seinen Job kostet, denn bei den Ausländern fängt man ja gewöhnlich an, wenn es an´s  Stellen Streichen geht. Das sitzt Henri plötzlich, ganz alleine, ohne Arbeit, Freunde und Perspektive im kalten England. Und könnte die Lage kaum bitterer sein, mag ihm nicht einmal mehr der Selbstmord gelingen: der Haken für den Strick bricht aus der Wand und die Gasarbeiter gehen just in dem Moment, in dem Henri den Kopf in den Herd steckt, zum Streiken auf die Straße. Einziger Ausweg: Henri engagiert sich einen Killer, seinen Killer. Dumm nur, dass er jetzt, wo soundso alles egal ist, endlich auf die wahren Freuden des Lebens trifft. Henri probiert seinen ersten Whisky, fängt mit dem Rauchen an und verliebt sich in die schöne Blumenverkäuferin Margaret. Sex, Drugs und Rock´n´Roll machen sich so gut in Henris Leben, dass er eigentlich gar nicht mehr sterben will.

Eine grandiose Groteske die uns Aki Kaurismäki in seinem Film aus den frühen Neunzigern präsentiert. Obwohl Henri überleben darf bricht der bitterböse Zynismus des Films bis zum Ende nicht ab. Ungeschlagen bleibt der große Showdown zwischen Killer und Opfer auf dem Friedhof, der Moment, in dem die Rollen schließlich verschwimmen. Dem Profikiller steht der Tod nämlich selbst ins Gesicht geschrieben. Er leidet an Krebs, hat nur noch 2 Monate zu leben und spuckt schon ununterbrochen Blut. „Jedem, was er kriegen kann“, sagt er noch lakonisch zu seinem Arzt, nachdem dieser ihm die Todesbotschaft übermittelt hat und zieht los, um gleiches bei Henri zu tun. Aber nein: Dieser Killer ist wahrhaft ein Profi und erschießt statt des armseligen Franzosen, der plötzlich so am Leben hängt,  am Ende doch lieber sich selbst. Ein konsequenter und vor allem kruder Existentialismus spricht aus Kaurismäkis Film, denn selbst wenn wir uns hier einem vermeintlichen happy end gegenüber sehen, bleibt vieles ungeklärt: Was macht er denn jetzt, der Franzose? Wird er denn nun glücklich so ganz ohne Job aber immerhin mit Frau? Reicht denn ein wenig Luft und Liebe zum Glücklichsein?

Aber wie gesagt: Die rabenschwarze Tragikomödie des Finnen bleibt in ihrer Erzählweise wie in ihren Bildern unvergleichlich und braucht damit auch keine Übersetzung auf die Theaterbühne. Schon seit längerem geht ein Gespenst um in der Theaterlandschaft, das Filmgespenst. Überall schleicht es sich ein und lässt auf immer neue und möglichst innovative Weise die beiden großen Kontrahenten der bebilderten Erzählkunst, das Kino und das Theater, miteinander konkurrieren. Nur warum? Denn so sehr sich die junge Regisseurin auch bemüht, die Inszenierung Bettina Bruiniers schafft es nicht, der gedämpfte Stimmung des Films in harten Schnitten und abrupten Szenenwechseln gerecht zu werden oder diese gar zu übertrumpfen. Doch genau das scheint sie krampfhaft zu versuchen, wenn sie ständig genau die Register zieht, die man im Theater und nur dort findet: Fahrstuhlmusik, live (!) eingespielt von Oliver Urbanski, und dazu viel Pantomimenspiel. Auch bei Kaurismäki spricht Henri wenig, fast gar nichts. Bei Pascal Fligg verkommt diese Rolle jedoch zu einer Partie Scharade, der man recht schnell überdrüssig wird und die unseren französischen Jedermann nicht etwa verschroben wirken lässt, sondern lediglich von gut einstudierter Akrobatik zeugt. Auch den anderen Schauspielern bleibt nicht viel außer großem Mimenspiel. Barbara Romaner hüpft bemüht leichtfüßig mit ihrem Rosenstrauß durch die Gegend, grinst debil und verliebt sich nebenbei noch schnell in den feschen Franzosen im Trenchcoat. Und der Killer? Natürlich fiel diese Glanz-und-Gloria-Rolle an Jean-Luc Bubert, kann doch keiner außer ihm so gut röcheln, krächzen und auch noch mit Riesenbrille fies in die Runde schauen. Der Todesbote im langen schwarzen Mantel mit silbern glänzender Knarre in der Hand, gelingt ihm gut. Den Killer, dem sein Handwerk selbst zum Verhängnis wird, hat Bubert dabei leider vergessen mitzuspielen. Witzig, weil gekonnt virtuos kommen jedoch Xenia Tilling und Robin Sondermann, mal als kauziger Registraturvorstand plus Sekretärin, mal als verruchter Pubbesitzer plus Bardame weg.

Allerdings bleiben das alles Standardrollen mit den passen Standardgesichtern. Mit wenig Mitteln viel erreichen, könnte dann wohl eine der goldenen Regeln für das Theater lauten, denn natürlich sind die Mittel auf der Bühne im Vergleich zum Filmset beschränkt. Dass Bettina Bruinier diese Regel beherrscht, hat sie schon ganz am Anfang ihrer Volkstheater-Karriere mit „Schilf“ bewiesen. Wenn´s sein muss, lässt sich auch in ihrem neuesten Wurf problemlos aus einer kleinen Holzkiste ein Zimmer mit Herd machen. Man braucht sie nur aufklappen und eine Teekanne draufstellen. Mehrere große und kleine Quader ergeben nebeneinandergestellt und mit Fototapete beklebt einmal die marmornen Grabsteine des Friedhofs, ein anderes Mal die triste Fassade einer Wohnlandschaft. Doch solche Kulissen kennt man nun leider doch wieder viel zu gut aus dem … Film: die künstliche Plattenbaufassade gibt es auch bei Tatis „Playtime“; das Pantomimenspiel ebenso. Hier hat nun also mal der Film ein bisschen vom Theater geklaut, mit dem einzigen Unterschied dass es Tati mit diesem Zug gelungen ist, sein Revier zu markieren, statt es um jeden Preis vergrößern zu wollen.

Es wurde viel geraucht am Freitagabend. Denn wenn man auf der Bühne keine Sprache mehr zu Verfügung hat, um seiner Rolle Gewicht zu verleihen, was macht man dann als Schauspieler? Man greift zum Glimmstengel und versucht dabei möglichst gelassen zu wirken. Ihre Raucherpause hätte sich das Ensemble von „I hired a contract killer“  jedoch besser mal für die Premierenparty danach aufsparen sollen.

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Fotos: Arno Declair

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