Kultur

Der wilde Schlag der Herzen im Krieg

Regina Karl
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Er ist wieder da. Kurz vor der Wende noch Regieassistent an den Kammerspielen, kommt Armin Petras mit Teilen seines Berliner Gorki-Ensembles und vor allem mit seiner ganz eigenen stimm- wie körperbetonten Mono-Ästhetik zurück nach München. Am Samstag feierte sein Dramenschauplatz „Krieg“ Premiere.

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„Jetzt erkenn ich erst die Macht der Liebe“ – so lautet die Sollbruchstelle in Armin Petras Kriegszinober an den Münchner Kammerspielen, der am vergangenen Samstag Premiere hatte. Sein Querschnitt durch alles, was der Krieg eben so mit sich bringen kann, gelingt durch die Aneinanderreihung zweier ungewöhnlicher wie unbekannter dramatischer Beackerungen des Themas: da ist zuerst Goldonis „Guerra“, ein komödiantisches Satyrspiel über die nicht enden wollende Belagerung einer Festung und das alltägliche Kriegsgeflüster um Liebe, Macht und Gewinnsucht. Und zum anderen „Robert Guiskard“, aus dem Kleist in gewohnter Manier einen hochtrabende Tragödie gemacht hat, die vom Verdruss und der Manie des Guiskardschen Heeres erzählt. Guiskard steht mit seinem Trupp vor den Toren Konstantinopels, doch der Krieg scheint längst verloren, wütet doch die Pest, die wohl auch schon den Heerführer erwischt hat. Eine Art „Bonjour Tristesse“ der Dramenlandschaft, die leider nur Fragment blieb. Und so wirkt auch Petras Abend. Wo ist er denn eigentlich geblieben, der Krieg, und wie lässt sich Goldoni mit Kleist verdauen oder umgekehrt? Stimmig ist der Abend nicht, was aber vielleicht auch gar nicht möglich ist. Den Zusammenhang gibt´s trotzdem, denn was die beiden Dramolette eint ist eben gerade dieses Auslassen des Krieges.

Goldonis „Guerra“ beschreibt einen korrupten Sex-und-Drogen-Moloch à la Mutter Courage. So schlecht ist er ja gar nicht, der Krieg, wenn man erstmal gelernt hat, sich zu arrangieren, seinen Schnitt zu machen. Das gelingt der halsabschneiderischen Kleinwarenhändlerin Orsolina, gespielt von Regine Zimmermann, ebenso gut wie Peter Jordans durchtriebenem Kriegskommissar Don Polidoro (zu Recht hat Petras hier übrigens das Münchner Ensemble mit seinen Favoriten aus Berlin und Leipzig aufgepeppt). Da darf´s schon auch klamaukig werden, wenn Jordan den Italo-Lover gibt, der mit O-Ton-Machosprüchen („Sono un huomo!“) seinen mit Mafiosi-Tattoos übersäten Adonis-Körper im Schweinwerferlicht räkelt. Und auch für die Sentenz über Lisetta, das bestohlene und betrogene Bauernmädchen, findet Petras den nötigen Slapstick: Ein Schaf, ein Huhn, viel pompöser Kostümfirlefanz und dick eingepuderte Perücken. Zusammen mit Wiebke Puls Engelsstimme und den rauen Klängen des lüsternen Hauptmanns Don Ferdinando (Steven Scharf) gelingt eine entzückende Operetten-Persiflage.

Da tut einem der schwer verliebte Don Faustino (richtig schön linkisch: Lasse Myhr) fast leid. Donna Florida (herzzereißend: Tabea Bettin) heißt die Angebetete, allerdings ist sie die Tochter des feindliches Generals. Jaja, nicht nur der Krieg, auch die Liebe ist mächtig, nur ist für die Liebe kein Platz, wenn es gilt, gegen Papa in den Kampf zu ziehen. So rutscht Faustino in seiner Not noch kurz unter Floridas Rock. Eher eine Verlegenheitsgeste als wahre Liebe, bevor ein ohrenbetäubendes Trommeln und Hämmern hinter der Holzmauer anhebt, die bisher die Hinterbühne verdeckt gehalten hatte. Die Mauer fällt – einziges Motiv das an Petras sonst so zynische DDR-Kritik erinnert – und schwupps sind wir auch schon in Teil 2.

Als durchaus unvermitteltem, aber der Diskrepanz aus beiden Stücken geschuldetem Nicht-Übergang sehen wir uns einem Leichenhaufen gegenüber, der auf einem nach hinten hin ansteigenden Bühnenboden verstreut liegt. Kein Ausweg aus der Kriegsmisere also! Und kein Wunder, dass nach müde verschossenenem Leichenberg um Leichenberg langsam der Ruf nach dem Heeresführer aufkommt. Hier weht nämlich im Gegensatz zum heiteren Kriegsringelreien des ersten Teils ein weitaus eisigerer Wind: atmosphärisch erhebt sich der Leichenberg und rennt. Immer und immer im Kreis, bis er sich schließlich zum Choral formiert. Einer nach dem anderen wird aus der chorischen Masse herausgeschubst und darf wild und verzweifelt nach Guiskard schreien, bevor sich der Chor wieder zusammenrottet und Bachs „Warum betrübst du dich, mein Herz“ in das imaginäre Schlachtfeld aus Bühnenbrettern haucht. Dabei bleibt die große Frage, ob denn am Ende auch Guiskard „vom Pesthauch angeweht sei“. Weder seine herrische Tochter, noch sein Sohn und Neffe, die schon auf die Nachfolge spechten, können das Heer beruhigen. Guiskard muss selbst auf die Rampe. Thomas Lawinky gibt den gut beleibten Herzog, der vor Gesundheit strotzend in Schiesser-Höschen und mit Bandagen ein letztes Mal in den Ring steigt. „An diesen Knochen nagt sie selbst sich krank!“, die Pest, brüllt Guiskard in die Menge, bevor er sich bedrohlich hämmernd auf eine überdimensionale Trommel hockt und schließlich völlig verstummt. Zäh und schwerfällig, dumpf und undurchdringlich wirkt der zweite Teil des Abends. Auch den Schauspielern scheint man diese Verunsicherung nzumerken, wenn beispielsweise Thomas Schmauser – obgleich er einen genialisch verschrobenen Greis gibt – hin und wieder etwas unbeholfen in die Runde glotzt.

Krieg ist eine Pest: hat er sich einmal festgesetzt, bekommt man ihn nicht so leicht los. Und vielleicht ist es gerade dieses ausweglose und selbstzerstörerische Im-Kreis-Drehen, was uns Petras mit an die Hand gibt. Das dumpfe Hämmern eines nicht greifbaren aber doch immer schon gegeben Krieges, – ob nun bei Goldoni und Kleist oder in Afghanistan, Berlin und München. ,„Zurück ins Vaterland!“, so die letzten Worte von Guiskard und dem Volkschor. Doch wo noch hingehen, wenn er überall und nirgendwo ist, der Krieg.

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Fotos: Andreas Pohlmann

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