Kultur, Nach(t)kritik

Die andere Sprache – Kurt Drawert liest im Gasteig

Katrin Schuster
Letzte Artikel von Katrin Schuster (Alle anzeigen)

Kurt Drawert liest am Samstag im Gasteig aus seinem Roman „Ich hielt meinen Schatten für einen anderen und grüßte“ (C.H. Beck Verlag).

drawert

Hinter das Wort „Menschen“ setzt Kurt Drawert in seinem neuen Roman ein Fragezeichen. Es gibt auch keine Bürger darin, Drawert schreibt „Bürgen“, in einer Fußnote bittet er, die beiden Begriffe nicht zu verwechseln. Männer und Kinder werden alle „Tutti“ gerufen, manchmal mit einem „Dr.“ davor, manchmal mit einer Nummer dahinter: „Das hängt mit einer Verordnung meiner Regierung zusammen, dass wir alle Brüder und Schwestern sind und uns im Einheitsnamen vollständig finden.“ Ein paar Frauen tragen den Adelstitel „von Hering“, eine andere – die eine wichtige – heißt mal Babsi, mal Bärbel, mal Barbara, mal alles drei. Bei dem Wort „Karma“ setzt der Autor eine weitere Fußnote: „Schönes Wort, aber mir selbst im Moment etwas unklar. Ich schwanke zwischen Kama (oder Cama? – ostdeutsche Margarine und wirtschaftspolitische Antwort auf Rama, die) und Karmen, das, ein Fest- oder Gelegenheitsgedicht.“ Die DDR schließlich, das große Thema dieses Buches, erscheint als „Deutsche D. Republik“ oder auch als „Deutsche Dermatologische Republik“.

Immer wieder diese Bedeutungsunsicherheiten, die nicht selten im Kalauer enden: Dass das, wovon Drawerts Erzähler in einem unaufhaltsamen, kreisend fortschreitenden Monolog berichtet, die Ordnung seiner Sprache durcheinander gebracht hat und bringt, ist nicht zu überlesen. Von der Schizophrenie des sprechenden Subjekts kündet ja bereits der Titel des Romans „Ich hielt meinen Schatten für einen anderen und grüßte“. So sind auch die familiären Strukturen nur als verkehrte oder mangelhafte präsent, das Ich nennt sich eine „Darmgeburt“, die Eltern heißen „Körpervater“ und „Körpermutter“. Die Topografie ist ebenfalls verschoben, besser gesagt gekippt: Die DDR ist kein Land mit einer Mauer drumherum, sondern ein Bergwerk, ein Straflager untertage, „die neun Bezirke der Schuld waren in Form eines Trichters tief nach unten geschlagen“. Im untersten, dem neunten, lebt der Erzähler, „die Heimat war klein, sehr klein, wie eine Briefmarke, der nur noch der Speichel gefehlt hat, um wesentlich zu werden.“

Neben Dantes „Göttlicher Komödie“ hat Drawert noch einen weiteren modernen, von einer historischen Schwelle zeugenden Mythos in diesen Roman hineingewebt, die Erzählung vom weitgehend sprachlosen Findling Kaspar Hauser, die dessen Chronist Anselm von Feuerbach einst als „romantische Sage“ bezeichnete. Ein gewisser Feuerbach erscheint auch als Ansprechpartner des Erzählers, und vom Zur-Sprache-Kommen spricht dieses Buch im Grunde ohne Unterlass. Nicht nur explizit in der Rede vom „Realismus für Irre“ und von den an Kafka geschulten Stasi-Methoden („Das war ihre Nadelmaschine, sagte ich Feuerbach, und ihr Vorteil war, dass sie gar keine Nadeln mehr brauchte, um einen Körper durch Schrift zu enwerten.“). Sondern auch, indem es immer wieder den Sinn der Worte in Frage und die Absurdität der totalen Bürokratisierung in untauglichen Listen und seltsamen Gerätschaften zur Schau stellt, indem es die Nachhaltigkeit dieses Traumas DDR als haltlosen, weil eben nachträglichen Einholungsversuch inszeniert. Der Text kreist oft genug um sich selbst, auch nach der Geburt des Schriftstellers – befruchtet durch das Abschreiben verbotener Texte – übt der Erzähler stellenweise Selbstzensur. Und doch: „Ich musste wohl auch zu dem Gift der Kränkungen ein Gegengift entwickelt haben, das in meiner Sprache entstanden war und von dem ich erst jetzt wusste, wie groß seine Wirkung gewesen war, da es mich ja immerhin überleben ließ.“

Untrennbar sind (Auto-)Biografisches und Fantastisches in diesem Buch vermischt, der Un-Sinn demaskiert den Schein-Sinn des durchherrschten Staates DDR. Und kommt der historischen Wahrheit daher womöglich näher als manche faktische Abhandlung – weil es die rhetorische Dimension der Diktatur begreift und konsequent zu unterminieren sucht. Das mag manchen hermetisch erscheinen oder gar unverständlich, und eben darum geht es auch: um ein anderes Schreiben, jenseits des buchstäblich vorgeschriebenen Sinns. Eines, das eben nicht konsumiert, sondern tatsächlich gelesen werden will.

(Diese ist eine Rezension von Katrin Schuster, der Macherin des Blogs literatur-muenchen.de (www.literatur-muenchen.de/). Sie gibt jeden Monat das des Münchner Literaturmagazins KLAPPENTEXT heraus. Ein KLAPPENTEXT-Abonnement (www.literatur-muenchen.de/blog/mehrklappentext/ja-ich-will/) ist kostenlos.)

1Comment

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons