tagebook des Münchner Forums

Die Fußgängerzone

schuhe  430

In den späten 1960er Jahren galt Deutschlands längste Fußgängerzone als städtebauliche Großtat. Die Ziele der Stadt waren hoch gesteckt: Vollmundig suchte man „mit Leben erfüllte Bereiche zu schaffen, die sich ergänzen und in die Nebenstraßen hineinwirken“, um so eine „optimale Lösung zu finden, die das im Laufe der Jahrhunderte geformte Bild der Straßen- und Platzräume in der Wirkung erhöht und belebt, den Menschen das vertraute Münchner Stadtbild so intensiv wie möglich nahebringt und damit Münchens eigene Lebensart einer Großstadt mit altem Kulturgut erkennen lässt.“ Der Preis dafür war hoch: nicht nur die Kommerzialisierung des so hoch gelobten Straßenzugs Kaufinger-/ Neuhauser Straße und der Verkümmerung von deren Parallelstraßen zu Anlieferzonen, sondern auch die weitgehende Preisgabe der übrigen Straßenzüge und Straßenbilder rund um die Altstadt, die man bedenkenlos dem aus der Altstadt nur weggeschobenen Autoverkehr opfern wollte. München wäre um das Zentrum herum eine Stadt geworden, durch die man ungehindert hätte hindurch fahren können – nur wozu, wenn die Bausubstanz rechts und links weitgehend der Spitzhacke überantwortet worden wäre?

Ein Plan so recht aus dem Giftschrank der „Freie Fahrt für freie Bürger“-Fraktion aus den 1960er Jahren zeigt, wie München zugleich mit der Anlage der hoch gelobten Fußgängerzone umgebaut werden sollte. Mit diesem Plan, der in keiner städtischen
Publikation auftaucht und in keinem Amt einsehbar ist – so sehr scheint sich die Stadt seiner mittlerweile zu schämen –, haben Münchens Stadtplaner damals auf der Grundlage des ersten Stadtentwicklungsplans 1963, dem sog. Jensen-Plan Remedur schaffen wollen: Das Auto, so lautete damals die Devise, müsse überall durch und überall hin. Und nimmt die Stadt den Autofahrern mit der Fußgängerzone die Durchfahrt durch die Innenstadt weg, dann müssten dem Autoverkehr, so die damalige Überzeugung, anderswo breite Schneisen geschlagen werden. Durch Bomben war das Stadtbild ohnehin stark beschädigt – das hatte die geplante Radikalkur sicher begünstigt. Aber München war insgesamt weniger zerstört als viele andere deutsche Großstädte.

Eine heute nicht mehr nachvollziehbare Abrisswut hat sogar ohne angebliche Verkehrsnotwendigkeiten in den 1960er und 1970er Jahren wertvolle Gebäudesubstanz beseitigt. Das, obwohl der Stadtrat den Wiederaufbau Münchens in seiner überkommenen Form Ende 1945 beschlossen hatte. Erwin Schleich hat über diese „zweite Zerstörung Münchens“ 1978 ein noch heute lesenswertes Buch veröffentlicht, das bezeichnenderweise seinerzeit nicht in einem Münchner Verlag erscheinen konnte, sondern in Stuttgart heraus kommen musste. Aber auch die Verkehrsplanung der 1960er Jahre hätte das „Aufräumen“ mit der Historie gründlich besorgt. Das zeigt der hier abgebildete Plan. Alle darin rot markierten Straßenabschnitte sollten Brücken oder Rampen bekommen, alle punktierten Linien bezeichnen Planungen von Unterführungen für den Kfz-Verkehr.

Beispielsweise sollte mitten in Schwabing in den Boulevard Leopold etwa in Höhe der Universitätsmensa eine Rampe in den Untergrund gegraben werden, von der aus ein Tunnel unter dem kompletten östlichen Schwabing hindurch in die schon zu Hitlers Zeiten zu einer breiten Aufmarschallee ausgewalzte Königinstraße hätte führen sollen, von der wiederum in einem Tunnel unter dem heutigen östlichen Altstadtring hindurch bis zu einer Trasse, die man quer durch das Gärtnerplatzviertel hatte schlagen wollen, und dann wieder in einem Tunnel unter der Blumenstraße und dem Sendlinger-Tor-Platz bis in die entsprechend aufzubrechende Pestalozzistraße hinein.

Die Barerstraße wäre zwischen dem Pinakotheken- Viertel und dem Stachus als breite Rollbahn durchgebrochen worden und sollte dann wiederum im Tunnel unter der Sonnenstraße und dem Sendlinger-Tor-Platz hindurch nach Süden führen. Die Trasse durch den Altstadtringtunnel zwischen Prinz-Carl-Palais und Markuskirche schließlich sollte in Verbindung mit Rampen in der westlichen Gabelsbergerstraße auf eine Hochbrücke führen, die über die Schleißheimer Straße hinweg kreuzungsfrei in die Dachauer Straße einmünden sollte. Der enge Abschnitt der Schleißheimer Straße wäre völlig entfallen, die Straße sollte vom Hauptbahnhof an schnurgerade und superbreit nach Norden durchgebrochen werden. Geradezu selbstverständlich hätten die Planer von damals zugunsten solcher Durchfahrtsstraßen die Straßenrandbebauung gleich mit beseitigt. Geplant waren stattdessen einzeln stehende Großbauten, von denen das Gesundheitsamt an der Dachauer Straße/Ecke Gabelsbergerstraße eines der wenigen verwirklichten (und demnächst wohl wieder abzureißenden) Beispiele ist.

Auch außerhalb der damaligen Innenstadt hätten die Bagger das vertraute München-Bild radikal wegräumen sollen. Der Plan zeigt die Isarparallele mit geplanten vierspurigen Tunneln auch unter der Prinzregenten-, der Maximilian-, der Zweibrückenund der Fraunhoferstraße an der Reichenbachbrücke. Um diese Schnellstraße anzulegen, hätte es nur zwei Alternativen gegeben: entweder die Jahrhundertwende- Bebauung am Isarufer ab- oder die Baumalleen neben dem Fluss auszureißen. Vielleicht noch radikaler war die Planung einer weiteren Nord-Süd- Stadtautobahn quer durch Haidhausen. Dazu sollte die Ismaninger Straße unter Opferung zahlreicher Haidhauser Altbauten bis zum Rosenheimer Platz und weiter nach Giesing durchgebrochen werden. Es wäre eine Lust geworden, auf allen diesen Straßen zu fahren, aber ein Frust, rechts und links sehen zu müssen, wie gründlich dabei die Stadt zerstört worden wäre.

Diese Zerstörung folgte jedoch einer damaligen Ideologie. Innenstädte – das kannte man von Metropolen wie Hamburg oder Hannover – sollten keine Wohnorte mehr sein, sondern nur noch Büros und Geschäfte aufnehmen. Kerngebietsnutzung hieß das. Wohngebäude im Zentrum würden also ohnehin bald verschwinden, glaubte und plante man. Da das Lehel als Teil des Zentrums aufgefasst wurde, ließ man dessen Altbausubstanz allmählich verkommen. Wo erneuert wurde, am Standort der Versicherungskammer zum Beispiel, wurden Verwaltungskästen errichtet und, wie man heute noch kopfschüttelnd sieht, schon mal um die halbe Gebäudetiefe von der Fahrbahn zurückgenommen, damit diese hätte entsprechend verbreitert werden können. Als das Europäische Patentamt nach München vergeben wurde, opferte man dieser Kerngebietsnutzung ziemlich bedenkenlos einen ganzen Straßenzug gut erhaltener Gründerzeitarchitektur am Isarufer, um das neue Amt neben dem Deutschen Patentamt bauen zu können. Dieses war nach dem Krieg zwar auch am Isarufer, aber auf einem früheren Kasernenareal errichtet worden. Wie kurzsichtig die Standortentscheidung für das Europäische Patentamt war, sieht man daran, dass die mittlerweile notwendigen Erweiterungen durchaus an anderer Stelle, nämlich als drei Dependancen im südlichen Umfeld der Hackerbrücke, also außerhalb der Altstadt ohne Nähe zum Stammgebäude und dem Deutschen Patentamt am Isarufer errichtet werden konnten.

Es war nicht zuletzt das damals entstandene Münchner Forum, das gegen diesev Umformung Münchens zur „autogerechten Stadt“ Front gemacht hatte. Der Altstadtringtunnel unter dem Prinz-Carl- Palais war der offensichtlichste Stein des Anstoßes, die geplante und begonnene Umwandlung des Lehels ein weiterer Affront gegen die dortigen Bürger. Erst die Aufgabe dieser damaligen Planung des ersten Stadtentwicklungsplanes von 1964 (Jensen-Plan), einer ausschließlichen Kerngebietsnutzung im Zentrum, Wohnen am Stadtrand, mit dem „Rosa-Zonen- Plan“ läutete den Wandel ein. Von der einzigen hergestellten Unterführung der so genannten Isarparallele in der Iffland-/ Widenmayerstraße auf Höhe des Tivoliparks wurde die jeweils zweite Fahrbahn für den fließenden Verkehr gesperrt und die restliche Ausbauplanung verworfen, ebenso wie die übrigen monströsen Umbauphantasien der damaligen Planer. U- und S-Bahnen haben die Prioritäten des Verkehrs im Münchner Zentrum seither völlig neu definiert. Mit ihnen wurde der Nachweis erbracht, dass die Europäische Stadt auch ohne gravierende Zerstörung den modernen Mobilisierungsbedürfnissen angepasst werden kann, ja hierfür wegen ihrer Dichte geradezu ideal geeignet ist. Und die Stadt verteidigt nun das Wohnen in der Stadt und verlangt sogar bei Neubauten in der Altstadt als Standard wieder einen Wohnanteil von mindestens 30 Prozent auch gerade dort, wo diese schon verdrängt waren. Dass bei den dortigen Immobilienpreisen auf diese Weise nur teure Luxuswohnungen herstellbar sind, steht auf einem anderen Blatt.

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