Kultur

Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit

Regina Karl
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Beim Radikal-Jung-Festival am Volkstheater erprobt eine Schiller-Inszenierung den Glauben ans Theater, und bei Oscar Wilde wird aus dem Ernst der Wahrheit frivoler Witz. Ein Zwischenbericht.

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Darf man dem Theater Glauben schenken? Antú Romero Nunes, frisch absolvierter Ernst-Busch-Schüler sagt zwar, er habe “keine Ahnung”, was das Theater glaubt, scheint jedoch die Regeln von Ver- und Entzauberung auf der Bühne ziemlich genau zu kennen. Seine “Geisterseher”-Inszenierung, die am Samstagabend beim Radikal-Jung-Festival am Volkstheater zu sehen war, ist dezidiert “gemachtes” Theater. Ein Theater, das seine Mittel austellt, das jede Requisite eben bloß Requisite sein lässt, jedes Versatzstück aus Schillers Romanfragment, auf der die Inszenierung beruht, mit einem “Zitat Schiller” kommentiert. Ein Theater aus dem und für das Theater.

Dass sich das Theater selbst zum Thema machen kann, das wusste schon Shakespeare. Nunes gelingt es jedoch auf eine überraschende wie beklemmende Art und Weise sein Metier so in Szene zu setzen, dass am Ende völlige Verwirrung darüber entsteht, was denn nun einstudiert, spontan improvisiert oder einfach nur aus langen Jahren Theatergeschichte abgeschrieben ist. Die Präzsision, die dieser schön spärliche Abend bietet, ist verblüffend: Nunes hat Schiller nicht nur gelesen, er scheint ihn studiert zu haben. So fragmentarisch das Schillersche Original zwischen Aufklärung und Spiritismus schwankt (der Autor selbst hat sein Werk kurz nach seiner Veröffentlichung als “Schmiererei” abgetan), so gewitzt schnibbelt Nunes im Handlungsgeflecht um einen jungen Prinzen herum und verklebt das Ganze mit Theatermetaphorik und Popkultur-Trash. Einem  jungen Prinzen auf der Suche nach sich selbst passiert in Venedig allerlei Ãœbersinnliches und Unvernünftiges. Geisterbeschwörungen und Todes-Prophezeihungen sind zuviel für das schlichte und melancholische Prinzen-Gemüt, so dass er im Zweifel über seine Vernunft erst dem Wahnsinn und dann einer katholischen Geheimgesellschaft verfällt. Das ganze Gestade aus Magiern, Schattengestalten und Gauklern der Schiller-Schauer-Story hat Nunes auf zwei brilliante Schauspieler (Paul Schröder als Prinz und Jirka Zett als alles das, was gerade gebraucht wird) zusammengestampft. Was die beiden darbieten, oszilliert grandios zwischen Klassik und Gegenwart – so kommt  der Prinz in Frack und Stiefeln, ein Handy hat er aber auch und am liebsten isst er Sushi. Mit allerlei markierten Theatertricks liefern die beiden Schau-Spieler ein fingiertes Verwirrspiel à la “Und dann der Magier so… Und dann der Prinz so…”, bei dem man sich bis zum Ende fragt, wer hier nun eigentlich wen vergaukelt. So gibt es statt der Geisterbeschwörung bei Nunes eine knallende Zaubershow, die Jirka Zett zum Magie-Gladiator werden lässt, der seine Lehrer genau zu kennen scheint: “Das sind keine Tricks, das ist alles Illusion, sagt David Copperfield”, bemerkt Zett und doch bleibt an diesem Abend völlig unklar, wo denn nun der Budenzauber aus Theater und Illusion, aus Fiktion und Realität seinen Anfang und sein Ende genommen hat.

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Ernst und/oder auch nicht Ernst-gemeintes Theater? Auch der gestrige Abend des Festivals wurde für diese Frage passend gemacht. So konsequent Nunes den Schiller kürzt, so unbedingt schreibt Anna Bergmann in ihrer Inszenierung von “Ernst ist das Leben (Bunbury)” Oscar Wilde zu Ende. Der Wortwitz um rund um Ernst-Sein (Ernst ist auch der Name der Hauptfigur) und die ein oder andere Schwulität, den Wilde in seinem Stück nur anzudeuten vermochte, hat – wer auch sonst – Elfriede Jelinek in ihrer Bearbeitung des Stoffes auf die Spitze getrieben. Die unverblümte Sprache der Jelinek übersetzt Bergmann entsprechend in eine Travestie-Show aus lauter Männern. Für manche mögen die bis zur Unkenntlichkeit geschminkten, in Pumps und rosa Tüllröckchen gepferchten Schauspieler, die sich an der riesigen Diskokugel in der Mitte der Bühne räkeln, obszön oder schlichtweg plump wirken. Nimmt man Bergmanns Lesart jedoch Ernst, so ist ihre Regie vielmehr eine exzessive Feierei des Wilde’schen Dandytums, wie er ihn sich immer gewünscht hat: ein Dandytum mit schwulem Happy-End. Statt dass nämlich wie bei Wilde die beiden Vorzeige-Flaneure John und Algernon ihre Angebeteten Gwendolen und Cecily bekommen, bekommen die beiden Männer, deren schwuler Wortwitz kaum anzüglicher sein könnte,  am Ende schlicht und einfach nochmal zwei Männer – in Frauenkleidern. Die Irrungen und Wirrungen aus Wahrheit und Lüge, die Wilde vorlegt, verdichtet Bergmann hier auf ein Verwirrspiel aus Mann und Frau. Selten hat man da zum Beispiel die Landschönheit Cecily so unschuldig und lieblich flirten und zugleich nach allen Regeln der Kunst zicken sehen wie bei Jörg Pohl. “Um die Wahrheit und nichts als die Wahrheit” ging es an diesem Abend, meint am Ende John. Was daran Ernst gemeint und was gut gemeinter Theater-Slapstick bleibt, das sei jedem selbst überlassen.

Vom, für und über das Theater scheinen die bisherigen Inszenierungen beim Radikal-Jung-Festival gemacht zu sein. Am heutigen Montag geht es mit Kafkas Amerika und der Erstaufführung von Daniela Dröschers Stück Himmelangst ebenfalls ein wenig verwirrt und orientierungslos weiter.

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