Kultur, Live, Nach(t)kritik

Die Wirklichkeit des lausigen Publikums

Katrin Schuster
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Am Montag liest Brigitte Kronauer aus ihrem neuen Künstlerroman “Zwei schwarze Jäger”. Eine Rezension.

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Zu den rührigsten Legenden des Literaturbetriebs gehört gerade heutzutage jene vom Schriftsteller, der ausschließlich für sich schreibe und dem sein Publikum folglich eher zufällig zufalle. Das mag auf einige wenige Autoren zwar zutreffen, stellt jedoch meist nur eine unzeitgemäße Koketterie mit dem Genialischen dar. Ohnehin lässt sich mit der Theatralität des Schriftstellerns eine viel herrlichere Travestie treiben als mit der Einsamkeit des Schaffenden. Was zweifelsfrei und äußerst vergnügt wieder einmal feststellen darf, wer Brigitte Kronauers neuen Roman „Zwei schwarze Jäger“ – „mein einziger Künstlerroman bisher“, sagt Kronauer – zur Hand nimmt.

Der beginnt denn auch nicht im stillen Kämmerlein, sondern auf einer, wenn auch nicht allzu großen Bühne. Eine Lesung wird geboten, im Schlösschen „des Städtchens W., in der angeblich verträumten Mittelgebirgslandschaft E. des verschlafenen Bundeslandes I.“; die Lesung der Schriftstellerin Rita Palka nämlich. Dass dieser Abend dramatisch endenoder sich immerhin dramatisch fortsetzen könnte, bedeutet bereits das dem Roman voran gestellte Personenverzeichnis. „Personal der Schriftstellerin Rita Palka“ lautet die Überschrift.

Die drei Kinder des Veranstalters Herrn Schüssel sind darin allerdings nicht verzeichnet. „Unser Bastian hat Fieber!“ ruft Frau Schüssel zur Begrüßung, „Gabriel hat sich eine dicke Beule am Kopf geholt!“ setzt sie fort, um mit „Trudchen hat Durchfall.“ zu enden. Weil sich Bastian mit hochrotem Kopf und verquollenen Augen trotzdem unter den Zuhörern findet und deren Reihen kaum mehr spärlich zu  nennen sind, ist für Rita Palka schnell klar: Es handelt sich mehrheitlich um „Camouflagezuhörer“, um ein „Haus- und Verlegenheitspublikum, Publikum aus Bordmitteln sozusagen“. Wofür sich die Schriftstellerin mit einer „Scheinlesung“ rächt, einer Erzählung aus Bordmitteln sozusagen: Sie liest nicht, sondern improvisiert ihren Text, mit unerhörten Ausgriffen auf die Wirklichkeit des lausigen Publikums vor ihren Augen, Gastgeber-Gattinnen-Beleidigung inklusive.

Wer nun denkt, das sei mal wieder typisch Kronauer, der hat natürlich Recht: In diesen Szenen einer Lesung zeigt sich die Autorin von ihrer unterhaltsamsten Seite, derart spitzzüngig, präzise und ironisch beschwingt kennt man sie. Auch wenn man sich nie und nimmer daran gewöhnen möchte, um ja nicht zu vergessen, wie rar und kostbar ihr bis in den einzelnen Buchstaben durchdachter Ton ist. Auch Kronauers Lust an der Binnenerzählung, an der Geschichte in der Geschichte, ist bekannt; genau wie ihr Drang, solche selbst gewählten Rahmen zu sprengen. Allerdings knallt es diesmal richtig: So rüde wie peinlich platzt Frau Schüssel in den folgenden nächtlichen Dialog zwischen ihrem betrübten Gatten und der Künstlerin, der intimer aussieht als es ist. Porzellan wird zerschmissen, und die Rita-Palka-Episode ist vorbei, so schnell wie sie kaum 70 Seiten vorher begonnen hatte.

Nicht dass das unterbrochene Gespräch – es handelte von Utopien – damit ebenfalls zuende wäre. Es wird tatsächlich fortgesetzt, wenn auch nicht zwischen Rita Palka und Herrn Schüssel. Sondern als Unterhaltung zwischen Fiktionen, als Ansammlung fragmentarischer, nicht selten zur Parabel neigender Geschichten, die sich mehr und mehr vernetzen, gegenseitig kommentieren und interpretieren. Das sieht dem Scherbenhaufen, den Frau Schüssel hinterließ und Palka mit den Schüssels zu sortieren suchte, doch recht ähnlich: Es geht um die Mörderin Wally Mülleis, den schüttelreimenden Kunstmaler Fritz Grosse, den vom Mont Blanc erschütterten Lektor Heiner Krapp, die auf Prostitution umsattelnde Kassiererin Hilde Tisch (fortan Uschi) und noch ein paar andere eigenwillige Gestalten. Statt zu Herrn Schüssel spricht Rita Palka nun eben zum Leser: „Sehen Sie den Mann in der Dunkelheit …“, heißt es da, oder „Vorher sollten Sie noch wissen …“ oder „Tatsächlich, haben Sie das gehört? “ (zur Sicherheit wiederholt sie es noch einmal). Brigitte Kronauer überschreitet in „Zwei schwarze Jäger“ also nicht nur formale Grenzen, sondern auch diejenige zwischen Autor und Leser. Und ein Ich taucht schließlich auch noch auf.

Bliebe nurmehr der Titel des Romans zu klären. Er geht auf die gleichnamige Erzählung von Rita Palka zurück, auf deren Vortrag Herr Schüssel so heftigst drängte. Die wiederum nach einem in Rom befindlichen Standbild benannt ist. „Der Löwe und der Jäger waren wechselseitig aneinandergeschmiedet, keiner konnte einen Schritt ohne den anderen tun, geschweige denn fliehen“, heiße es bei Rita Palka. Welch treffende Beschreibung für die heillose Erotik zwischen Autor und Leser! Und wie recht Kronauer damit hat: Ohne diesen Roman im Kopf wird man fortan wirklich keinen Schritt mehr tun.

Am Montag, den 18. Januar, liest Brigitte Kronauer um 20 Uhr im Literaturhaus (Salvatorplatz 1). Moderiert wird die Lesung von Patrick Bahners.

(Diese Rezension von Katrin Schuster, der Macherin des Literaturkalenders literatur-muenchen.de, erschien in der Januarausgabe des Münchner Literaturmagazins KLAPPENTEXT. Ein KLAPPENTEXT-Abonnement ist kostenlos.)

Fotos: http://blog.klett-cotta.de

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