Kultur, Live

Dizzy Errol – “Ich kann nichts mehr auslassen!”

Sebastian Gierke
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dizzy

Dizzy Errol war ein Teil von Kamerakino, jetzt ist er solo unterwegs. Am Samstag kommt er ins Atomic Café und hat vorher mit mucbook ein wenig über seine Musik, Lady Gaga und das System gesprochen.

Ãœber einen funktionierenden Song:
Ein guter Song baut auf Harmonien auf, die eine Logik implizieren. Diese Logik paart sich mit einem Gegensatz in der Lyrik. Das Ganze darf nicht eindeutig sein. Das ist mein Konzept. Ich will nichts Eindeutiges schaffen. Man soll nicht sagen können: Der macht total dramatische Musik, der macht total pathetische Musik, der macht nur noch zynische Musik.

Ãœber Zynismus:
Purer Zynismus geht mir auf die Nerven. Da fühle ich mich nicht ernst genommen. Die Geburt eines Menschen ist doch nicht zynisch, die ist pathetisch. Außer bei Monty Python. Auch der Tot eines Menschen ist pathetisch. Und dazwischen gibt es Dinge und Beiläufigkeiten, die sind lustig, humorvoll oder denen kann man eben mit Zynismus begegnen. Aber es gibt auch große Dinge und Momente. Die Beiläufigkeiten sind die Gewürze des Lebens. Das muss man wie ein Koch zusammenmischen als Künstler. Man muss das Chaos des Daseins, das Chaos, die Gegensätze, Komik und Trauer, Pathos und Ironie vermischen.

Ãœber Schubladendenken:
Ich will nicht nach einem Schema arbeiten, zum Beispiel nur traurige Musik machen, das ist einfältig, weil ich dadurch kategorisierbar werde, Kategorien verkaufen sich leichter, klar, aber das will ich nicht. In einer so quantitativen Welt, in der jeder Mensch überfordert ist mit den ganzen Einflüssen und Aufgaben, denen er ausgesetzt ist, da glaubt man dann ganz einfache Kategorisierungen zu benötigen. Die Menschen wollen sich nicht mit Differenzierungen beschäftigen. Ich will das. Weil ich sonst gefangen bin – im Gefängnis meiner eigenen Kategorie.

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Ãœber Songtrukturen:
Damit ein Zugang stattfinden kann zu meiner Musik, will ich ein einfaches, sauberes Konzept haben, einfache Songstrukturen. Ich mache keine Klangexperimente. Mich interessiert der Inhalt und der Geist, mich interessiert die Literatur in der Musik, nicht nur auf den Text bezogen.

Ãœber seine ehemalige Band Fehlfunktionskontrolle:

Ich habe 18 Jahre lang mit Tommy bei Fehlfunktionskontrolle Musik gemacht. Dem ging es immer um Weltverbesserung. Der hat das Alleinkämpferische gehabt: wir allein gegen den Kapitalismus und gegen die Probleme dieser Welt. Ganz unironisch. Tommy hat mich stark beeinflusst künstlerisch. Der hatte auch so eine unglaubliche Verzweiflung. Tommy hat gesagt: Du kannst mit Zynismus niemandem etwas klar machen, du musst eindeutig sein. Er wollte direkt sein, wie bei einer Nachricht die Probleme der Welt aufzählen.

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Ich war ihm zu doppeldeutig zu metaphorisch. Aber mit so einer Verbitterung kann man niemanden und nichts verändern, die schreckt nur ab. Und deshalb musste ich ganz viele Facetten in meine Texte rein bringen: Ein kleines bisschen Tommy-Ideologie, ein wenig Indie-Zynismus, Spaß, Oberflächlichkeit und dann Ernsthaftigkeit. Weil natürlich alles aufs Ernsthafte hinausläuft. Ich konnte nichts mehr auslassen.

Ãœber das System und den Kapitalismus:

Man kann nicht in aller Konsequenz gegen das System sein, sich total verweigern und dann hoffen, dass man von der Musik leben kann. Man kann sich nicht weigern, irgendwas nebenbei zu arbeiten. Ich kann das nicht, ich kann nicht vom Staat leben, schmarotzen. Deshalb gab es auch oft Streit bei Fehlfunktionkontrolle. Da hat es dann, wenn ich von der Arbeit zu spät zur Probe gekommen bin geheißen: Bis du Musiker oder Arbeiter? Ich bin für die Post geradelt, war Spüler, war obdachlos, hab auf dem Bau gejobbt. Aber das war ok.

Der Kapitalismus funktioniert nicht. Aber ich finde interessant zu wissen, nach welchen Regeln die anderen spielen. Dann kann ich auch subtil anstecken, dann kann ich von unten anstecken. Da erreiche ich viel mehr, als wenn ich direkt auf Frontalangriff bin. Ich glaube an das subversive Potential von Pop. Ich mag auch Knalltüten-Pop. Aber ich habe ein Problem damit, wenn die Musik zu standardisiert ist, wenn sie nach bestimmten Regeln komponiert sein muss, damit die Radios das spielen.

Ãœber Lady Gaga:
Lady Gaga ist clever. Die spielt mit der Marktwirtschaft. Die macht sich bewusst zum Plastikprodukt. Die ist deshalb unsterblich. Die bewaffnet sich damit. Die hat viel von Andy Warhol gelernt. Ich würde das auch gerne so machen. Ich hab das mal mit Discodoll versucht. Großer Irrtum, passt nicht zu mir. Ich bin viel zu sehr Seele und Wärme. Mit jedem Song außer Discodoll versuche ich Discodoll zu widersprechen.

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Ãœber Erfolg:

Es gibt da zwei verschiedenen Kriterien: Das eine kann der Erfolg sein, in sich etwas zu überwinden, oder Kritik anzunehmen und umzusetzten.

Bezogen auf die Außenwelt heißt Erfolg natürlich auch Geld. Man kann nicht in seinem eigenen Universum leben. Das ist ganz wichtig. Sonst ist es vorbei. Da gibt es dann auch den Karriereerfolg. Der ist aber nur in Kategorien möglich. Das ist das Traurige. Das ist das Problem für mich, weil man mich nur als Chaoskopf kategorisieren kann. Schwierig.

Ãœber Kamerakino:

Bei Kamerakino kam vieles zu sammeln. Und alles was heute Razzle Dazzle ist ist ein Ausufern der Kamerakino-Ursuppe. Pollyester, Das Weiße Pferd, Parasyte Woman, Albert Pöschl eben auch, weil der uns aufgenommen hat. Die Damenkapelle, Tom Wu. Das Problem bei Kamerakino war, dass es nicht lukrativ war. Viel wichtiger aber: Es waren zu viele kreative Köpfe, es war viel zu viel. So hört sich auch die zweite CD an, da ist viel zu viel drin, viel zu überfrachtet. Die hat keine Ruhe, keine Konzentration.

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Ãœber den Auftritt im Atomic:
Ich spiele zusammen mit einem Schlagzeuger, einem Gitarristen und einem Bassisten. Das ist die Band, die das ersetzt, was ich auf den CDs alles alleine eingespielt habe. Live funktioniert das aber nicht so gut. Ich hab das mit einem Loopgerät versucht, aber dann fehlt etwas.

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Dizzy Errol am Samstag, 19. Februar im Atomic Café

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