Kultur

Du sollst dir kein Bildnis machen

Regina Karl
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Das Radikal Jung-Festival am Volkstheater hat einen Publikumsliebling: Nurkan Erpulat und seine Inszenierung „Verrücktes Blut“.

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Sie wollten gar nicht mehr aufhören mit dem Klatschen, die Münchner Festivalgänger. Nach der Vorstellung von „Verrücktes Blut“ am Dienstagabend ging eine Welle der Begeisterung durch das Volkstheater und viele grüne Karten in den Abstimmungskasten. Beim anschließenden Publikumsgespräch mit Regisseur Nurkan Erpulat hielt man sich mit Prophezeiungen denn auch nicht zurück. „Herr Erpulat, Sie werden hier sicher das Rennen machen.“, so oder ähnlich klangen die Lobeshymnen aus Publikum und Jury.

Diese Vorboten auf den Gewinner des diesjährigen Festival kommen allerdings ein wenig spät: Auch wenn das Volkstheater betont, das Potential der Produktion zum „Stück der Stunde“ (FAZ) lange vor ihrer Nominierung zum Berliner Theatertreffen oder den Mühlheimer Theatertagen erkannt zu haben, ist jedem und allen voran Erpulat selbst klar, dass man ihn nicht entdeckt, sondern im Gegenteil: er ist der Entdecker. Zwar nicht der Entdecker des Migrantentheaters, aber doch sicher dessen, was das Theater mit Migranten alles kann.

In Zusammenarbeit mit Jens Hilije, ehemaliger Chefdramaturg der Berliner Schaubühne und Leiter der Masterclass des Festivals, hat Erpulat ein Stück über Einwanderer über einen Haufen rotziger und aggressiver Jugendlicher geschrieben, die mit ihrem Migrationshintergrund ins Theater einwandern.

Die Idee ist genial: Szenario ist eine Schulklasse, Hauptfigur eine Lehrerin, die an der Gleichgültigkeit für ihren Unterricht und der verbalen Gewaltbereitschaft gegen ihre Person verzweifelt. Plötzlich fällt ihr eine Waffe in die Hände, die aus dem Eastpack ihres Lieblings-Problemschülers Musa fällt. Statt „Muschi“, „Nutte“ und „Wichser“ gibt es Schiller. Mit dem Finger am Abdruck zwingt die Lehrerin ihre Klasse dazu, Schiller zu rezitieren. Von den „Räubern“ bis „Kabale und Liebe“ entspinnt sich ein verwirrendes Spiel aus Schaulust und Emotionsgeladenheit.

Immer wieder verkehrt Erpulat seine Handlungsstränge, bricht ironisch auf, was deutsch ist und was nicht. Identität ist bei ihm mit der Waffe forciert, die Forcierung mit der Waffe wiederum ist gespielt und das Spiel ist bei ihm Realität: „Ich zeige keine Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Ich zeige den Blick auf diese Jugendlichen. Und das ist Realität“. Erpulats ästhetische Erziehung geht auf: ob Türke oder Kurde, Kopftuch oder dicke Eier, seine Schauspieler sind wirklich nur da „ganz Mensch, wo sie spielen“.

Wo dieses Spiel seine Grenzen hat, weiß am Ende keiner mehr so genau. Da ist er dann, der Spieltrieb, der uns antreibt, immer wieder Halt zu machen, vor dem, was wir vielleicht sind. „Ich bin ja kein Migrant, ich bin Ausländer“, sagt Erpulat grinsend und ist uns damit in Sachen Identität genau wie der Spieltrieb schon immer einen Schritt voraus.

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Ähnlich verstellt und natürlich wieder doch ganz anders funktionierten die Bilder in Bastian Krafts „Dorian Gray“. Statt Dorians Porträt ins Turmzimmer zu packen, entwickelte Kraft – mehr Architekt als Regisseur – eine zerstückelte Leinwand, auf deren Monitore er Videoeinspielungen der Romanfiguren packt. Live zuschauen dürfen wir nur dem mit Gold überzogenen Dorian (Markus Meyer), der sich durch seine Videoprojektionen schlängelt.

Immer wieder starrt er ins Publikum, immer wieder gaffen uns in den Filmsequenzen Dorians Maler Basil und sein engster Vertrauter Lord Henry an (konsequenterweise auch gespielt von Markus Meyer). Wem gehören aber die Augen, die uns von der Bühne anblicken? Sind das Menschen, Romanfiguren oder einfach Bilder? Langsam kommt man dahinter, dass diese gestellten und gekünstelten Bildnisse auf der Bühne eigentlich uns spiegeln. Aber keine Angst, es ist alles nur Spiel. Auf dass sich dieser Satz bewahrheitet!

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Das Radikal Jung-Festival zeigt noch bis Samstag Nachwuchsregisseure und ihre aktuellen Arbeiten. Darunter erstmalig auch Produktionen aus dem europäischen Ausland, wie die Brüsseler Produktion „Life:Reset“ am Donnerstag.

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