Kultur, Nach(t)kritik

Eine sehenswerte Zumutung

Natalya Nepomnyashcha
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Das Filmfest zeigt die verstörende Low-Budget-Produktion “Mama” von Nikolay und Yelena Renard. Ein Film ohne Worte. Die Aussage ist trotzdem deutlich zu verstehen.

Die beiden Protagonisten, die Mutter und ihr stark übergewichtiger Sohn, machen ihren Mund nur auf wenn, um zu schnaufen oder zu seufzen. Hört sich schräg an? Ist es auch!

Hinzu kommt, dass die Kamera von Samvel Ganzumian minutenlang in einer Einstellung verharrt. So, als könnte sie selbst nicht glauben, was sie da vor ihre Linse bekommen hat. Kein Wunder, das Geschehen ist tatsächlich alles andere als alltäglich. Nicht nur, dass man beim Anblick der elenden, postsowjetischen Moskauer Wohnung, in der die Mutter mit ihrem 40-jährigen Sohn haust, sofort die Flucht ergreifen möchte. Die halb abgerissenen Tapeten sowie die vor lauter Dreck beinahe blickdichten Fensterscheiben lassen einem auch noch lange nach der Vorstellung keine Ruhe). Die gut sechs Minuten lange Szene, in der die alte Frau den entblößten, vor Fett überquellenden Leib ihre erwachsenen Kindes Zentimeter für Zentimeter wäscht, ist kaum zu ertragen.
Doch es gibt in der Tat Gründe, die für diesen Erstlingsfilm aus dem kalten Russland sprechen. Zum Einen sind da diese zwei Schauspieler, denen man nur mit Mühe abnimmt, dass sie tatsächlich Schauspieler sind. Der mit  8.000 Dollar Produktionskosten ausgekommene Film wirkt wie eine Dokumentation. Jede Bewegung, jedes Zucken – alles erscheint für den Zuschauer vollkommen natürlich und authentisch. Und auch die Abscheu, die die Mutter ihrem Sohn gegenüber empfindet, wird durch ihre Blicke intensiv transportiert.

Bilder, die aus ungewöhnlichsten Perspektiven den äußerst knappen Raum, auf dem sich die beiden bewegen, zeigen, erzeugen das Gefühl der Ausweglosigkeit, mit der die Hauptpersonen konfrontiert sind. Beide können ihrem Schicksal nicht entfliehen.Sie sind dafür bestimmt für immer zu pflegen und gepflegt zu werden.

Die stille Intimität dieser befremdlichen Mutter-Sohn-Beziehung kommt immer dann zum Tragen, wenn die Kamera in der Totalen zeigt, mit welcher Ergebenheit die alte Frau um ihr Kind kümmert, das ihr im Gegenzug bedingungsloses Vertrauen schenkt.

Genauso wie der eine oder andere Zuschauer bei der ersten Vorstellung während des Münchner Filmfests den Kampf (der für einige mit einer Niederlage endete) gegen sich selbst führen musste, um den Saal nicht vorzeitig zu verlassen, müssen auch die Mutter und ihr Sprössling kämpfen, Tag für Tag, damit es den nächsten gibt, der jedoch nichts ändern wird.

Eine Zumutung, jedoch auch unvergessliche 71 Filmminuten.

Der Film läuft nochmal am heutigen Dienstag und am Donnerstag jeweils um 17:30 im Gasteig.

Infos unter: Filmfest München

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