Anzeige, tagebook der Villa Stuck
GEORG M. OSWALD ÜBER MARTIN FENGEL #21
- Neue Zeiten eröffnen neue Räume: Live-Stream aus dem DIGITAL ART SALON am 30.9. um 17 Uhr - 30. September 2020
- Das war der Isarnetz Blog-Award Abend 2016 - 4. November 2016
- Bei MOO wird’s schön - 19. Juli 2016
Georg M. Oswald ist Schriftsteller und Jurist. Seine Gedanken zur Fengel’schen Fotografie:
Vieles, was wir einmal wussten, war mit der Zeit in Vergessenheit geraten. Unsere Vorfahren achteten sehr auf die Weitergabe und Pflege der Tradition. Und doch, von Generation zu Generation ging etwas verloren. Freilich kam auch viel Neues dazu, doch dies alles schien sehr flüchtig, zu schnell vergangen, als dass es sichtbare Spuren hinterlassen hätte. Das ließ unsere Sehnsucht wachsen nach dem Echten, Unverfälschten, so wie es unsere Mütter und Väter, und wir selbst, als wir klein waren, noch erlebt hatten. Hatten sie und wir es denn erlebt? Nein, eigentlich nicht. Wir hatten eine Erinnerung daran erlebt, die schon fast verblasst ist. Es gibt Epochen des Kulturverlustes, in denen auf rätselhafte Weise plötzlich seit langem sicher geglaubtes Wissen verschwindet. Ein düsterer Zauber liegt über solchen Zeiten. In den Konzertsälen, wo früher Orchester die Werke der Meister spielten, während das Publikum mit dem Schlaf kämpfte, traten nun Faxenmacher auf und die Zuschauer brüllten vor Lachen über ihre derben Späße. Man hatte entdeckt, dass das Leben angenehmer ist, wenn man sich, überall dort, wo es möglich ist, ein bisschen weniger anstrengt. Zugleich wuchs unsere Erschöpfung, denn zumindest einigen von uns wurde immer mehr abverlangt. Deshalb gedieh unser Wunsch nach unkompliziertem, wilden Vergnügen. Nur, wie ging das noch gleich? Die Alten waren zünftig. Sie brauchten nicht viel, um zu feiern. Bier, ja Bier. Wie hatten die Gläser gleich ausgesehen, aus denen sie es tranken? Dazu aßen sie etwas, das sie Leberkäs nannten. Mit der Zeit wurde er immer grobkörniger und fetter und warf zu große Blasen. Niemand erinnerte sich an die genauen Rezepte. Unsere Vorfahren lebten in Fachwerkhäusern. Fachwerkhäuser sind eine schöne, alte, deutsche Tradition, das ist eine weltbekannte Tatsache. Nur, wie ging das noch gleich? Hoffentlich würde es uns irgendwann einmal wieder einfallen. Einstweilen behalfen wir uns mit Klebestreifen. Neulich, auf einem anderen Erdteil, las ich über einem ähnlichen Bild wie diesem den Schriftzug „Oktapit-Fest“. Und ja, da fühlte ich mich wie zuhause.
Ein Begleitblog zum Projekt “Wachs†von Martin Fengel:
Martin Fengel schickt jede Woche einem Künstler, Autor und anderen Menschen, dessen Arbeit oder Werk er besonders schätzt, ein Foto mit der Bitte, dies zu betrachten und ein paar Zeilen über die einströmenden Assoziationen aufzuschreiben. So entsteht zu dem optischen auch ein textliches Kompendium, was sowohl die Möglichkeit der Interpretation oder einfach nur der Beschreibung birgt.
Auf mucbook und im Blog der Villa Stuck zeigen wir jeden Montag – wenn das neue Bild aufgehängt wird – was sich eine Person dazu dachte.