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Grandmaster Flash im P1 erklärt die Nullerjahre der Popmusik

Sebastian Gierke
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Grandmaster Flash kommt ins P1. Könnte man sagen: Tief gefallen, der große Mann des HipHop, wenn er in so einem Schuppen auftreten muss. Wäre aber eher langweilig.Man könnte sagen, dass sie ihn gar nicht verdient haben, den (Mit-)Erfinder des Scratchen, des Cutting,  des  Backspinning, der vor vielen Jahren einfach die Songs anderer verfremdete, veränderte, manipulierte und damit einen Paradigmenwechsel in der Popmusik einleitet, eine Revolution. Es galt nicht mehr: Einer macht etwas, ein anderer hört es. Mit Grandmaster Flash konnte jeder das Material des anderen nutzen (von urheberechlichten Problemen abgesehen), konnte etwas anderes daraus machen.

grandmaster

Man könnte also sagen, den heute 51-Jährigen haben die, die im P1 rumlaufen, oder die, die der Türsteher dort herumlaufen lässt, gar nicht verdient. Führt aber auch zu nichts (zumal das P1 seit dem Umzug tatsächlich verstärkt  mit guten DJ-Bookings aufwartet).

Viel interessanter  ist, dass man diesen Auftritt als Zusammenfassung, als Resumée, als Handbuch der Musik der Nullerjahre begreifen kann.

Einerseits gingen sie quälend langsam, ohne musikalischen Quantensprung vorüber. Zitieren, modulieren, collagieren: Mit diesen verfeinerten Grandmaster Flash-Methoden wird immer noch der avancierteste, der beste  Pop gemacht, muss er gemacht werden, es gibt keine andere Möglichkeit.

Doch auch wenn es nichts offensichtlich, nichts grell Neues zu entdecken gab: der Klagegesang vom Ende der Popgeschichte kling brutal falsch. Denn die Popmusik hat sich in den letzten Jahren gewaltig verändert. Das lag zum einen an den radikal erneuerten Distributionsmöglichkeiten über das Internet. Zum anderen daran, dass die Grenzen weggefallen sind. Die Grenzen zwischen Underground und Overground, zwischen Mainstream und Indie, zwischen Masse und Avantgarde, zwischen Oben und Unten, zwischen dem Kerl, der in der Bronx aufgewachsen ist und dem P1. Es ist nicht mehr ungewöhnlich vom Tocotronic-Konzert zum Rave zu gehen, Antony and the Johnsons zu hören und danach Britney Spears. Es ist auch nicht schimpflich. Es ist nur das Ende der linearen Popgeschichtsschreibung.

„Popmusik entwickelt sich nicht nur nicht mehr, sie steht auch nicht still und sie wiederholt sich auch nicht einfach: Sie optimiert ihre Modelle. Es geht nicht einmal mehr um Revivals, sondern um die Arbeit an den längst nicht mehr  als historisch verstandenen, ewigen Einheiten der Emotionsgestaltung.“ So hat das Dietrich Diederichsen in diesem Jahr irgenwo einmal beschrieben.

Das führt einerseits dazu, dass Popmusik heute nicht mehr die Kraft hat, die Erfahrungen der Gegenwart zusammenzufassen, es gibt nicht mehr die eine richtige Popmusik, die einem das Gefühl geben kann: Jep, genau so ist das, so lebt man im Jetzt.

Trotzdem kann gute Popmusik die verschiedenen Aspekte des sozialen Lebens, der Sinnlichkeit, auch der Politik, in rasender Geschwindigkeit und außergewöhnlicher Dichte miteinander verknüpfen. Und plötzlich kommen das Anspruchsvolle, das Differenzierte, das Eigenwillige, das Fanatische, das Radikale und der Mainstream, die hektische Kulturindustrie und der Populismus einander nahe – und lassen das Gefühl der Nullerjahre entstehen.

Noch einmal in Vollendung zu erfühlen  im P1 mit Grandmaster Flash, Freitag, 11. Dezember, 22 Uhr, im Theatersaal des Hauses der Kunst, erster Stock.

Ach ja, der Zündfunk kürt gerade die besten Alben der Nullerjahre: hier die zwar noch nicht vollständige, aber aufschlussreiche Liste.

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