Kultur

Grenzübergänge

Regina Karl
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Das Radikal Jung-Festival am Volkstheater lässt Grenzen verschwimmen: Während es Antú Romero Nunes mit seinem „Peer Gynt“ um die klassische Frage nach Theater und Wirklichkeit geht, setzen die Produktionen „Arab Queen“ aus Berlin und „God is a DJ“ aus Belgrad auf knallharten Sozialrealismus zwischen Ost und West.

Mit „Peer Gynt“ vom Schauspielhaus Frankfurt startete am Samstag Abend das Radikal Jung-Festival am Volkstheater. Ein Peer Gynt, der bei Antú Romero Nunes auf einer nur sporadisch mit Lichtröhren und Technikkisten ausgestatteten Bühne umher springt und Lügengeschichten spinnt. Die Grenze zwischen Wahnsinn und Genie, das sagt uns zumindest dieser Peer (Nils Kahnwald) in langen Unterhosen, ist eine, die mitten durch den Theatersaal läuft. Immer wieder fällt Kahnwald aus der Rolle, hat keinen Bock mehr auf die „Pathosscheiße“ oder beschimpft die Kostümbildnerin als „dumme Sau“, wenn plötzlich Peers Anzug fehlt.

Ist das nun der megalomanische Peer, der uns anbrüllt oder einfach nur ein überforderter Schauspieler, der auch mal gerne Regiefeder führen würde? Nunes verrät nicht, wo er die Grenze zwischen Theater und Wirklichkeit, zwischen Schein und Sein gezogen hat. Allerdings rüttelt er hier an einer Grenze, die man recht leicht verschwimmen lassen kann und das auch ohne seinen Hauptdarsteller splitterfasernackt in einer überlangen Videosequenz durch die bedrohliche Skyscraper-Landschaft der Frankfurter Innenstadt rennen zu lassen.

Irritierend ist es da eher, zu sehen, wie gut der Illusionszauber am Ende doch funktioniert:  Peer weiß weder ein noch aus, weiß nicht mehr, wer er ist noch wohin er soll, da springt plötzlich aus der Mitte des Publikums Solveig auf. „Glauben, lieben, hoffen“ ist das Zauberwort. Solange wir „glauben, lieben, hoffen“, wird schon alles gut. Immer wieder spricht sie ihre Formel und fordert das Publikum auf mit einzustimmen. Man hätte gut daran getan, in diesem Chor aus Glaube, Liebe und Hoffnung besser den Mund zu halten.

PeerGynt4

Ganz anders hält die Realität in „ArabQueen“ ihren Einzug. Wo das Theater anfängt und wo es aufhört, wirkt in der Inszenierung von Nicole Oder, die Teil der Neukölln-Trilogie des Berliner Heimathafen ist, eher nebensächlich. Die Regisseurin nimmt sich auf der Bühne der wahren Geschichte von Mariam an. Tochter eines streng muslimischen Vaters, der wenn es um Mariams Freiheiten geht, lieber die Faust sprechen lässt, wird Mariam zum Auffanglager allerlei Klischees über die arabische Welt.

Oders Inszenierung basiert auf einem dokumentarischen Roman der Journalistin Güner Balci, die Mariams Schicksal rund um Kopftuch, erste Liebe und Zwangsheirat eine Adressliste mit Notfallnummern für muslimische Frauen beigefügt hat. Da ist sie dann doch wieder, die Grenze: Nicht an Berlin, auch nicht an München richtet sich diese Geschichte, sondern eben an all jene Frauen, die sich in Mariams Schicksal wiederfinden und den Kulturclash mit dem unsicheren Blick aus der Fremde und nicht etwa der Schaulust in die Fremde erleben. Oders Sozialrealismus auf der Bühne hat seine Berechtigung und das nicht zuletzt durch die brillante Leistung der drei Schauspielerinnen, die ihre Rollenwechsel schneller hinbekommen, als wir „Identität“ sagen.

Trotzdem bleibt der bittere Nachgeschmack westlichen Gutmenschentums bestehen, wenn man zwar über eineinhalb Stunden hinweg an dem Unverständnis, das Mariam entgegengebracht wird, Anstoß nimmt, sie am Ende aber doch der Zwangsheirat überlassen muss. „Allah, gib das meine Sünden genau die gleiche Distanz zu mir nehmen wie der Westen zum Osten“, ruft Mariam am Ende ins Publikum und wird Recht behalten damit, dass der Fremde uns immer nur so fremd ist, weil wir ihn gerne so hätten.

God is a DJ, photo by Djordje Tomic 8

Von einem anderen Osten und einem anderen Westen erzählt Miloš Lolić in seiner Version von Falk Richters „God is a DJ“, die als eine der ausländischen Produktionen aus Belgrad zu Gast beim Radikal Jung ist. Erstmals haben die Juroren damit begonnen, radikale und junge Regieeinfälle auch über Deutschland hinaus zu suchen und haben in Lolić jemanden gefunden, der uns unsere Westler-Storys gerade so verkauft, als seien es schon immer seine gewesen.

Richter erzählt in seinem Stück eine neoliberale Web 2.0-Phantasie. „Er“ und „Sie“, beide Künstler und beide kreativ-authentisch, lassen ihren Alltag von zwei Webcams live ins Internet übertragen. „Er“ ist ein DJ, „Sie“ eine VJane, deren Glauben an das Big-Brother-Potential des Internets uns geradewegs in die 90er zurückversetzt. Dass diesem vielleicht überholten Techno-Trash noch eine ganz andere politische Brisanz als die des gläsernen Menschen innewohnt, beweist Lolić, wenn er seine Schauspieler in billigsten Synthetik-Klamotten allein auf der Vorderbühne an einer alten Schulbank ihre Gespräche führen lässt. Immer wieder wird ihr Zank und Zauder um den virtuellen Ich-Entwurf durch ranzige Techno-Beats von Snap oder Scooter unterbrochen.

Für uns längst vergessen, markieren diese Brüche für den Regisseur einen Trip, der bis heute anhält. Die Unruhen am Balkan sind längst nicht vergessen, ein Thema, das den Serben langsam aber sicher in den westlichen Theaterzirkus treibt. Komisch nur, dass er dabei weniger von uns lernt, als wir von ihm: „Sie“ dreht in ihrer Freizeit gerne Splatterfilme, die in Richters Fassung in Jugoslawien gedreht werden. Bei Lolić wird daraus Bosnien. Ein Bosnien, das die meisten Zuschauer in den Untertiteln jedoch überlesen. Während man noch mit der Frage beschäftigt ist, ob Raver-Hymnen für eine Theaterbühne nicht viel zu „90er“ sind, ist Lolić wahrscheinlich längst wieder über die Grenze und zurück in Belgrad. Seine Produktion war leider nur einmal während des Festivals zu sehen.

ArabqueenPressebild

Für einen weiteren Grenzgänger, die Vorstellung von „Verrücktes Blut“ am Dienstag Abend, gibt es zwar leider keine Karten mehr. Wer möchte, kann sich aber am heutigen Montag den „Dorian Gray“ des letzjährigen Festivalgewinners Bastian Kraft ansehen. Als zusätzlichen Spielort nutzt das Volkstheater dieses Jahr außerdem die Reithalle, wo ebenfalls heute Abend „Stiller“ nach Max Frisch unter der Regie der Schweizerin Heike M. Goetze gezeigt wird.

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