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Ist auch egal jetzt.

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Der ewige Schelm grüßt seine Gemeinde: Eigentlicher janusköpfiger Hauptdarsteller, weinende Datenkrake namens Google, feuerspuckende Hydra und ihr Bezwinger in einem, war bei „Die nötige Komödie“ im Rationaltheater der Humor selbst – ein wunderlicher, aber allzu vertrauter Genosse, mit dem man doch nie ganz intim wird. Die Münchner Künstlergruppe „fake to pretend“ schickt ihn auf eine Höllenfahrt durch sich selbst und nimmt den Zuschauer mit auf einen wilden Ritt, um ihn schließlich, endlich, und auf wunderbare Weise, zu verlieren.

Der Drache, auf dessen Rücken hier durch die Hölle geritten wird, ist „der Drache (Bülent) Ceylan“, einer der Wächter der Hölle der deutschen Humorlandschaft. Sie teilt sich nach verschiedenen Höllenkreisen auf, in deren Mitte „die Mutter aller Hitlervergleiche“ oder vielleicht auch ein „Keks“ sitzt, man weiß es nicht so ganz genau, und so genau will man es auch nicht nehmen – man kommt ja ohnehin kaum zum Atemholen, denn die produktiv-destruktive Kraft des irrenden Gelächters rollt, sich immer weiter selbst befeuernd, volle Breitsalte über die Bühne, über sie hinaus und alle scheinbaren Fixierungen in ihr hinweg, verwandelt sich ständig und mit ihr alles, wer und was auf ihr geschieht – aber eins nach dem anderen, auch wenn sich das Stück selbst an diese lineare Logik, an Logik im engeren Sinne nicht hält. Mehr noch, es hat ihr etwas entgegenzusetzen, das eine solche engere Logik durchaus „nötig“ hat, wenn nämlich die Welt, die es hier zu bewältigen gilt, sich als so logisch nicht erweist.

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„Observational comedy“ ist hier, ganz wörtlich, die Hölle, während sich die Protagonisten in eine Vorhölle geworfen sehen, die Bühne als doppeldeutiger, undeutlicher Raum zwischen dem Göttlichen und dem Teuflischen, in dem alles etwas Anderes und alles nichts sein kann. Es gibt eine Kommission, die es zum Lachen zu bringen gilt, soviel wissen die zum Spaßmachen angehaltenen Kandidaten auf der Bühne, aber von der ist keine Spur, und so gibt es nach draußen nur den Weg durch das Fegefeuer flacher, gemeiner Unterhaltung, das hinter einer Falltür drohend wartet. Die bestellten und nicht abgeholten Spaßmacher verziehen angewidert die Gesichter, als sie diese Tür schließlich öffnen, zum Ende des ersten Teils. Aber, man staunt: der Weg durch die Hölle führt nicht zurück in die Realität, ebenso wie die ominöse Kommission und ebenso wie etwa der Drache Ceylan nur Allegorien sind, wunderschöne Allegorien gerade dann, wenn sie gar nichts außer sich selbst mehr meinen; gerade dann wird es ein bisschen gruselig, und absurd. Der Humor, so scheint es hier, ist im innersten Kern gar nicht mehr lustig, vor allem aber auch nicht ernst, das Lachen selbst hat keine Pointe, sondern im innersten Höllenkreis wartet wundersam der Himmel, denn auch die Sache mit der Hölle und den Kreisen und so weiter war offenbar nicht ganz so ernst gemeint: nur ein kleiner Scherz.

Aber das ist ja auch völlig egal. Denn dieser Höllenritt macht Spaß – und man lernt und reift und wächst unterwegs, denn das entlarvende Potential des Lachens fällt gnadenlos und zugleich versöhnlich auf das, was sich in Deutschland und überhaupt gemeinhin so unter dem Namen Humor und Witz versammelt, ob freiwillig oder unfreiwillig, sogar das ist letztlich wurscht. Was, wenn dieser Blick auf sich selbst fällt, wenn die Komik über sich selbst lachen soll – denn es muss ja schon ein unfassbar, gewissermaßen unendlich witziger Witz sein, der da die Kommission bezwingen könnte, die übrigens aus, zum Beispiel, Wladimir Putin, Gretchen und einem Plastikeimer besteht. Harte Nüsse sind das. Und ja, das Stück wird mit ihnen fertig – grandios und erhebend schön im Scheitern und im Sich-Verlieren der Bezüge, wenn vor allem im zweiten Teil mit dem Spaß endlich einmal ernst gemacht wird und echter Fleischduft von der symbolischen Bratpfanne in die Zuschauerränge weht.

Die kongeniale Bühne, verantwortet von Edoardo Colaiacomo, wird bestimmt durch eine mechanische Apparatur aus Holz, die irgendwo zwischen Galeerenrudern (der Verdammten!), Windmühle (Don Quichote!) und im Kreis drehbarer Limbostange als Niveaumesslatte pendelt, nein: sich dreht! – und alles dreht sich mit ihr. Die Leuchtkraft dieses funkensprühenden Kreisels wandelt sich mal in satirisch treffende, dann wieder melancholisch komische Lieder, krumme Auftritte und Einlagen aller Art, lang lebe die Kommission: Da treffen wir zum Beispiel „Lonesome George“, die letzte Schildkröte ihrer Art, die sich partout fortzupflanzen weigert; die zum Gedenken an die Nazi-Zeit oberflächlich golden glänzende Drückebergergasse in München, in der es eine Bar gibt, „von der du willst, dass es sie gibt, wenn du sie kennst“; eine ägyptische Scherzfrage als ältesten Witz der Welt; einen sprachartistisch kalauernden Barkeeper; und Beatrice, die eine „Fleischplastik“ baut, als duftende negative Inkarnation des schon fast sprichwörtlich gewordenen Plastikfleischs der Kulturindustrie – und ein Ende, das gibt es auch.

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In einem gemalten Sternenhimmel, mit der himmlisch oder höllisch simplen Bitte, alles möge brennen, und zwar „mit oder ohne Sinn“, so weit ist es schon gekommen. Nämlich über die Pointe hinaus. Die kam schon vorher. „Ist auch egal jetzt“, singt die Namenlose, die hier den Clown gibt, und sie hat Recht: „Die nötige Komödie“ ist großes Theater – verstörend, betörend, anregend und so weiter. Man hat gesehen, gelacht, eine Krokodilsträne herausgedrückt, und wieder gelacht, über den Fall der Träne im bodenlosen metaphorischen Raum, und auch ganz allgemein. Das reicht, ja. Es war nötig. Nur wofür?

Fotocredit: Edoardo Colaiacomo