tagebook des Münchner Forums

Jeder will Nachhaltigkeit, aber nur wenige wissen, was das ist.

nachhaltigkeit

Neunzig Prozent der Deutschen finden Nachhaltigkeit gut. Aber fragt man sie, was das bedeute, können nur zehn Prozent sagen, was Nachhaltigkeit heißt. Ein Stadtviertel wie das künftige Kreativquartier an der Dachauer Straße nachhaltig zu planen, sichert deshalb einerseits allgemeinen Beifall, macht aber außerhalb enger Fachzirkel keineswegs klar, was das konkret bedeutet. In einer Podiumsrunde, professionell moderiert von Ursula Ammermann, der Geschäftsführerin des Münchner Forums, diskutierten deshalb die Kreativquartier-Planer am 13. Juni, worum es ihnen geht.

Der Darmstädter Architekt Matthias Fuchs hatte für den Kreativquartier-Wettbewerb die Entwurfsgrundlagen für eine nachhaltige Planung verfasst. Er verwies auf den Spagat zwischen Beifall für Nachhaltigkeit und allgemeiner Unsicherheit in Deutschland darüber, was dies meint. In München sieht Fuchs das Bewusstsein für Nachhaltigkeit besonders weit entwickelt; die Stadt sei mit diesem Projekt Vorreiter im Herunterbrechen von Visionen der Nachhaltigkeit auf die konkrete Ebene. Der Münchner Architekt Andreas Krauth, Mitglied im Berliner Gewinner-Team TELEINTERNETCAFÉ, erläuterte nochmals, warum sein Büro anders als die meisten anderen Einreicher das Wettbewerbsgebiet Kreativquartier nicht mehr oder weniger komplett neu gestalten will, sondern vorschlug, möglichst viele der vorhandenen Hallen zu erhalten: Vorhandenes weiterhin nutzbar zu halten, sei eine Form von Nachhaltigkeit.

Der Verzicht auf den Vorrang uniformer Neubauten in diesem Quartier sichere die Vielfalt an Möglichkeiten. Auch aus sozialen Gründen sollen bestehende Strukturen nicht beseitigt, sondern durch behutsame, sparsame Verbesserungen auch für Künstler mit kleinerem Geldbeutel geeignet bleiben. Die Durchmischung von alt und neu, von einfacher und gehobener Qualität sei Programm, im nördlichen Bereich des Künstlerquartiers ebenso wie im südlichen, wo Einrichtungen der Hochschule Münchenuntergebracht sind: Kein geschlossener Campus für Studenten und Dozenten, kein Ghetto für Kreative! Alle sollen überall im Quartier leben und arbeiten können. So sollen in den beiden großen Hallen in der Mitte des Viertels Schüler der neu zu erbauenden Schule ebenso wie Studenten der Design-Fakultät, die in vier Jahren in das frühere, jetzt noch von der TU München genutzte ehemalige Zeughaus einziehen soll, und Künstler aus dem „Labor“-Viertel direkt am Leonrodplatz wechselweise ausstellen können. Die möglichst bunte Mischung vielfältiger Arbeitsformen und Lebensstile soll das Leitmotiv der Quartiersplanung sein.

Die Geschäftsführerin der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewofag, Gordona Sommer, erwartet das mit Freude, aber gemischt mit Sorge vor den zu überwindenden Hürden. Sie bat, die Schwierigkeiten einer solchen Mischung nicht zu unterschätzen. Zwar seien die Berührungsängste unterschiedlicher sozialer Bevölkerungsgruppen gar nicht so stark. Ärmere und reichere Menschen könnten durchaus miteinander gut leben; viele Künstler, auch bei Wohlhabenden willkommen, hätten ja nicht besonders viel Geld. Schwieriger zu verwirklichen sieht Sommer das Miteinander von Wohnen und Gewerbe, wobei zu letzterem auch Künstlerateliers zählen, in denen sicherlich nicht immer nur tagsüber gearbeitet werde – womöglich keineswegs ohne Lärm. Für gewerbliche Räume des Handels, für Dienstleistungen und für Künstler sei Bedarf durchaus vorhanden. Kleingewerbe, das sich in Erdgeschossen von Wohnhäusern zu realistischen Kosten einmieten könne, sei allerdings kaum zu finden; diese Gewerbemieten müssten wohl subventioniert werden. Das wäre ein wichtiger Schritt zur geplanten Lebendigkeit neuer Viertel.

Als Wohnungen seien diese Basisetagen in einem urbanen Quartier aber ohnehin nicht geeignet. „Wenn man die allseits erwünschte urbane Mischung hier nicht ausprobiert – wo denn dann?“ Nachhaltig wird diese Mischung nach Sommers Ansicht, wenn ökonomische, ökologische und soziale Komponenten gleichrangig berücksichtigt werden, wenn also energetisch hochwertigausgerüstete und trotzdem preiswerte Wohnungen und Ateliers einer ausgewogenen Mieterstruktur übergeben würden. Stabile Hausgemeinschaften seien ein Schlüssel für Nachhaltigkeit, auch weil sie unterdurchschnittliche Erhaltungskosten der genutzten Gebäude erzeugten. Im übrigen wolle die Gewofag im Kreativquartier wegkommen vom traditionellen
Stellplatzschlüssel (0,8 bis 1,0 Autoabstellplätze pro Haushalt). Hier würde 0,3 bis 0,5 genügen. „Wir können und brauchen es uns nicht zu leisten, alles mit Stellplätzen vollzubauen.“

Peter Kadereit kennt als Leiter des Immobilienmanagements der Stadtwerke München die Sorgen Gordona Sommers vor den zu bewältigenden Hürden einer grundsätzlich erwünschten Mischung sehr gut. Sein Rezept ist relativ einfach. Eine zu bunte Durchmischung von Bewohnern ganz unterschiedlicher Lebensstile in ein und demselben Haus funktioniert nach Kadereits Ansicht nur selten, aufgeteilt auf Nachbargebäude aber in aller Regel recht gut. Kadereit plädierte deshalb für möglichst kleine Parzellen, damit Vielfalt zwar nicht von Stockwerk zu Stockwerk, aber von Haustür zu Haustür gewährleistet werde.

Peter Naumann, Design-Professor an der Hochschule München, freut sich sehr darauf, mit seinen 500 Studenten (von 16.000 dieser Hochschule) in vier Jahren das historische Zeughaus am Südrand des Kreativquartiers zu übernehmen und damit in der Stadt mit den Leistungen seiner Fakultät erstmals angemessen sichtbar zu werden, zumal die Hochschule angrenzend an diesen Altbau auch noch Neubauten bekommt. Die kreativ orientierte Nachbarschaft des Quartiers bezeichnete Naumann für Design-Studenten als schlichtweg ideal. Er hofft, dass ein Teil seiner Studenten und Dozenten in diesem Quartier dann auch wohnen kann, so dass sich kürzeste Wege zwischen Studien- und Wohnort ergäben – angesichts der Verkehrsvermeidung ein weiterer Baustein von Nachhaltigkeit.

Hans-Georg Küppers, als Münchner Kulturreferent gemeinsam mit Stadtbaurätin Elisabeth Merk städtischer Promotor des Kreativquartiers, verwies auf die „selbstverständliche Symbiose“ der künftigen Nutzer im entstehenden Viertel. Bestand zu erhalten und weiter zu entwickeln sei bereits eine Trumpfkarte der Nachhaltigkeit. Küppers wäre sehr zufrieden, wenn es gelänge, bezahlbare Räume für Künstler nicht nur wie sonst oft befristet, sondern auf Dauer zu erhalten und neue zu schaffen. Besonders wichtig nimmt Küppers den laufenden Diskussionsprozess über die Struktur dieses Quartiers; er bilde die Basis für eine Veränderung der Handlungsmuster. Es gelte nicht nur, sondern es gelinge auch, angebliche Sachzwänge aufzubrechen. Küppers erwartete und erlebe nun Gelassenheit gegenüber offenen Prozessen und freue sich darüber. Das solle in den Köpfen nachhaltig weiterwirken, und zwar weit über das Kreativquartier hinaus, zunächst in die Debatte über die Zukunft der früheren Bayernkaserne hinein, aber auch in den weiteren Realisierungsprozess an der Dachauer Straße. Der Wettbewerb über die Nutzung der Jutierund der Tonnenhalle läuft nämlich noch. Ende Juni/
Anfang Juli werden fünf Einreicher ausjuriert, die bis in den Herbst hinein ihre Vorstellungen entwickeln sollen. Ende November soll dann der Stadtrat entscheiden

Auch ein Sprecher der im Kreativquartier bereits ansässigen Künstler, der Choreograf Micha Purucker, hält den Ansatz, den TELEINTERNETCAFÉ für das Quartier gewählt hat, für völlig richtig: Man bekomme Entwicklungsparameter, aber keine Festlegung aller Details. Man könne also prozessoffen arbeiten. Das sei die Basis auch der Kunst. Das städtebauliche Konzept und das der Nutzer seien deshalb im Gleichklang.

Stadtbaurätin Elisabeth Merk verwies darauf, dass das Kreativquartiers als Modellprojekt des Städtebaus vom Bundesbauministerium im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik gefördert wird – gerade weil hier die Beteiligung der Betroffenen nicht auf das nach dem Baugesetzbuch Erforderliche eingeschränkt, sondern bewusst herausgefordert und gefördert wird. Diskutiert werde „nicht nur in abstrakten Internetplattformen à la Second Life“. Merk nannte das Kreativquartier eine „Probe in Echtzeit“. Der intensive Dialog werde in weiteren Workshops fortgesetzt; Prozess, Bewertung und Rückkopplung seien als Regelkreis zu organisieren.

Drei Wünsche äußerte Merk für diesen Realisierungsprozess: Erstens brauche er die nötige Zeit. Die nehme man sich. Zweitens verlange er Offenheit und die Bereitschaft, Grenzen zu verschieben. Bislang zeige sich diese Bereitschaft. Und drittens heiße mitzudiskutieren auch, sich mitverantwortlich zu fühlen, Mitträger zu werden, also nicht nur zu reden, sondern auch zu tun, und zwar in Bezug auf die Bauqualität ebenso wie auf die Qualität des sozialen Gefüges. Das sei eine weitere Form von Nachhaltigkeit. Die Zusammenführung der einzelnen Prozessbausteine bleibt nach Merks Worten eine Aufgabe der Stadt. Sie werde die Diskussion daher weiter vorantreiben. So werde auch die Identität der zu realisierenden Orte weiterentwickelt. Impulse aus diesem Prozess sollten die Gesamtstadt erreichen. Ein Modellprojekt ist das Kreativquartier nach Merks Überzeugung vor allem, weil München sich hier vorgenommen hat, städtebauliche Entwicklungen nicht nur nach gesetzlichen Vorgaben verwaltungstechnisch durchzuziehen, sondern, wie sie sagte, für alle Beteiligten „sichtbar und erlebbar zu machen“.

Fotos: Werner Schmitz

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons