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„Kultur darf nicht nur das Sahnehäubchen sein!” – Münchens zukünftiger Kulturreferent Florian Roth im Interview

Florian Roth wird ab Juli 2025 Münchens neuer Kulturreferent. Er übernimmt das Amt zu einem undankbaren Zeitpunkt: Die Kassen sind knapp und im Kulturetat der Stadt muss gespart werden. Wie Roth – jahrelang Vorsitzender der Münchner Grünen im Stadtrat – diese Aufgabe angehen will und welche Schwerpunkte ihm wichtig sind, darüber spricht er mit MUCBOOK im Interview.

 

(Anmerkung: Vor dem Interview haben wir vereinbart, uns zu duzen.)

„Ich war immer Kultur- und Finanzpolitiker“ – Florian Roth im Interview

Mucbook: Hallo Florian Roth, wir wollen dich zunächst als Person etwas kennenlernen. Du hast Philosophie mit dem Nebenfach Neuere Deutsche Literatur studiert und in politischer Wissenschaft promoviert. Vermisst du manchmal das Studentenleben?

Das war eine spannende Phase in meinem Leben, in der ich allgemein noch mehr Zeit für Kulturkonsum in der Breite hatte – von Theater bis zu Punk-Konzerten. Momentan bin ich immer noch Philosophie-Dozent an der Volkshochschule und das macht viel Spaß.

Was kann man davon mitnehmen in die Welt der Kulturpolitik?

Aus dem Studium: die Grundlagen ästhetischer Theorie. Dadurch hatte ich immer die Spannbreite zwischen der realen Münchner Kunst- und Kulturszene und dem theoretischen Überbau.

Das letzte Buch, das dich bewegt hat?

Ich sitze in der Jury für den Geschwister-Scholl-Preis, also muss ich im Sommer immer ganz viele Bücher lesen. Oft sind das sehr harte Themen. Dieses Jahr hat „Nimm meinen Schmerz“ von Katerina Gordeeva den Preis gewonnen. Sie ist Russin, hat aber auch ukrainische Wurzeln. Aus dem Exil heraus hat sie Leute interviewt und berichtet hautnah von den Schicksalen aus dem Krieg. Das hat mich sehr bewegt. 

Dein letztes Theaterstück?

Was mir wirklich im Kopf blieb, war „Sie kam aus Mariupol“ in den Kammerspielen, da ging es ebenfalls um die Ukraine-Situation – ein beeindruckendes Stück. Vor ein paar Tagen war ich in einem Tanztheater, Sahra Hubys “Hey Körper?!”, – zwischen Blöcken, die hin und her sausten. Das hat in diesem Jahr den Tanzpreis der Stadt München bekommen.

Eine Songzeile für die Ewigkeit?

„I am the Passenger“ [von Iggy Pop, Anm. d. Red]

Selber schon mal zum Pinsel oder zur Gitarre gegriffen? 

Ja, die Gitarre ist dann schnell kaputt gegangen. Ich habe nach ein paar Wochen aufgegeben. Gemalt habe ich nicht, aber als Schüler Gedichte geschrieben. Schreckliche, sentimental-politische Gedichte – die müssen immer noch bei mir rumliegen.

Eine denkbar knappe Wahl…

Um die Stelle des Kulturreferenten haben sich 35 Personen beworben. Was hat dich motiviert?

Kulturpolitik mache ich schon seit 24 Jahren. Ich war immer Kultur- und Finanzpolitiker. Das empfinden manche als seltsame Mischung. Die Politik setzt im Stadtrat den Rahmen, deshalb reizt es mich, in einem Referat nun an der Umsetzung beteiligt zu sein. Man arbeitet ganz konkret mit den Künstlerinnen und Künstlern – entscheidet über Förderungen und Vergaben. 

Die Wahl verlief denkbar knapp und musste einmal wiederholt werden – ein Vorgang, den es so noch nicht gab im Münchner Stadtrat. Erst im zweiten Wahlgang hast du mit einer Stimme Vorsprung gegen den Gegenkandidaten und Amtsinhaber Anton Biebl (parteilos – Anm. d. Red.) gewonnen. Das heißt, es gab Abweichler aus den eigenen Reihen der grün-roten Stadtregierung. Wurmt dich das?

Das freut mich natürlich nicht. Eine klare Mehrheit ist schöner als eine knappe. Aber so wie im Bund, rumpelt es auch hier manchmal in der Koalition [Das Interview wurde vor dem Ampel-Aus geführt – Anm. d. Red.]. Wir hatten jetzt mehrere Wahlen, wo es Referentinnen und Referenten gab, die weniger Stimmen bekamen, als die Koalition hat. Das ist nicht ganz ungewöhnlich. Dass es zu einer Stichwahl kam, war ungewöhnlich und hat nicht nur für Freude bei den Grünen gesorgt. Aber Ende gut, alles gut.

„Das hat nicht nur für Freude bei den Grünen gesorgt. Aber Ende gut, alles gut.“

Was Roth anders machen will

Im Juli 2025 trittst du den Posten an. Was willst du anders machen als dein Vorgänger Anton Biebl?

Ich definiere mich nicht in Abgrenzung zu ihm. Wir haben bei vielem gut zusammengearbeitet, aber es gibt schon ein paar Punkte, die ich stärker vorantreiben möchte. Das ist zum Beispiel die Förderung von Popkultur, Subkultur und Streetart. Das würde ich gerne mehr akzentuieren, weil München sonst eher der Ruf der großen Institutionen – Oper, Philharmonie, Kammerspiele – vorauseilt. 

Und ich wünsche mir mehr kulturelle Teilhabe: Es gibt Studien, die besagen, dass in Großstädten oft nur ältere, gut situierte Menschen ohne Migrationsgeschichte Kultureinrichtungen besuchen. Wir wollen für alle da sein, die Vielfalt stärken, sowohl beim Publikum als auch bei den Kulturschaffenden.

Wie schafft man das?

Ich glaube, man muss dahin gehen, wo die Leute sind. Nicht jeder fährt mit der U- oder S-Bahn in die Innenstadt. Man muss mit den Leuten reden, die in der Szene sind. Es gibt zum Beispiel ein Kompetenzteam Vielheit, in dem sich Migrantinnen und Migranten als Kulturschaffende selbst organisieren. Man muss in die Stadtteile gehen. Open-Library-Konzepte sind ein Beispiel: Offene Bibliotheken, die auch abends oder am Wochenende geöffnet haben und niedrigschwellig sind.

Wo sparen? – Zum knappen Finanzetat der Stadt

16,8 Millionen sollen im Kulturbereich nächstes Jahr zusammengestrichen werden, um den Haushalt für 2025 hinzubekommen. Amtsinhaber Anton Biebl zeigt sich eher verständnisvoll, ruft zur konstruktiven Zusammenarbeit auf. Stellt er sich zu wenig auf die Hinterbeine für die Kulturszene der Stadt?

Der Kulturetat ist in den letzten Jahren nominell gar nicht gesunken. Nur wurde für neue Projekte und die Inflation nicht der notwendige Ausgleich geschaffen. Wir kämpfen dafür, dass der Ausgleich kommt. Es ist ein Teilerfolg, dass der Stadtkämmerer, der auf der Stadtkasse sitzt, dem Ausgleich für die Tarifsteigerung bei Angestellten im Kulturbereich zugestimmt hat. Da ging es um mehrere Millionen.

Wo würdest du sparen im Kulturbereich?

Ich würde auf mehr Kooperation setzen: Dass die Institutionen überlegen, wo sie Räume und Personal gemeinsam nutzen können. Und die Stadt muss zuerst an sich denken: Sie gibt der Oper zum Beispiel fast fünf Millionen Euro Zuschuss. Die Oper ist wichtig, aber der Freistaat hat ein weniger enges finanzielles Korsett als wir.

„Ich würde auf mehr Kooperation setzen: Dass die Institutionen überlegen, wo sie Räume und Personal gemeinsam nutzen können.“

Das heißt, der Freistaat sollte mehr Kosten übernehmen?

Das große Problem ist, dass bei bayernweiten Förderungen die Münchner Künstlerinnen und Künstler oft außen vor bleiben, weil der Freistaat sagt: Die reiche Stadt kann das ja bezahlen. Das geht so nicht mehr. Wir sehen den Freistaat viel stärker in der Pflicht, auch die Kulturszene in München zu unterstützen, so wie er es auf dem Land tut.

Die Kammerspiele und das Volkstheater haben einen Brandbrief veröffentlicht. Vom möglichen Ende des Betriebs angesichts der geplanten Kürzungen war die Rede – war das zu düster gemalt und was ist deine Position dazu?

Das sind zwei tolle Einrichtungen. Natürlich trommeln sie für sich und verteidigen sich. Manchmal muss man vielleicht ein bisschen laut sein, das ist völlig legitim. Ich werde daran arbeiten, dass die Konsequenzen für so wichtige Einrichtungen verträglich sind. Der Aufruf hat ja schon erste Erfolge erzielt [durch die Zusage der Stadt, die Kosten für die Tariferhöhungen zu übernehmen – Anm. d. Red.].

Die freie Szene liegt dir besonders am Herzen, hast du nach deiner Wahl gesagt. Sie steht wirtschaftlich oft am schwächsten da. Wie kann man sich in diesen Zeiten für sie stark machen?  

Bisher ist es uns gelungen, die freie Szene von den Sparmaßnahmen auszunehmen. Das möchte ich unbedingt fortsetzen. Wir haben uns eher auf die eigenen Institutionen konzentriert, die vielleicht noch etwas besser ausgestattet sind und gewisse Puffer oder Reserven haben. Ein wichtiges Thema ist aber, dass viele in prekären Situationen arbeiten. Wir müssen dafür sorgen, dass man als Künstlerin oder Künstler in München leben kann. 

Das Zweite neben der finanziellen Unterstützung sind bezahlbare Räume. Da müssen wir kreativer werden. Zum Beispiel: Wenn man etwas Neues baut, kann man dann nicht im Keller einen Musikproberaum und im Erdgeschoss ein Atelier unterbringen?

„Bisher ist es uns gelungen, die freie Szene von den Sparmaßnahmen auszunehmen. Das möchte ich unbedingt fortsetzen.“

Aus für die PLATFORM?

Ein Projekt, das vor dem Aus steht, ist die PLATFORM in Obersendling mit über zwanzig Ateliers und Ausstellungsräumen. 

Das wurde bisher vor allem vom Referat Arbeit und Wirtschaft gefördert – die müssen auch sparen. Entweder kann man den Standort retten oder das Kulturreferat muss schauen, inwieweit die Künstlerinnen und Künstler in den von seinem Referat betreuten Räumen untergebracht werden können.

Das heißt, du wirst dich dafür einsetzen, dass die mehr als 40 Künstler*innen, die dort arbeiten, woanders unterkommen?

Das werde ich versuchen. Wenn es eine Möglichkeit gibt, dort am Standort weiterzumachen, wäre es das Beste.

Palästina, Protest und die Gaza-Frage

Der Gaza-Konflikt spaltet die Kunst- und Kulturszene. Welche Leitlinie verfolgst du dazu?

Ich glaube, dass zur Kultur immer auch eine Diskussionskultur gehört. Wir müssen die Freiheit dieser Diskussionskultur erhalten. Aber es gibt natürlich Grenzen. Wir hatten einen Eklat bei der Documenta, wo Bilder gezeigt wurden, die eindeutig antisemitisch sind. Rassismus, Antisemitismus und Neonazismus haben in der Münchner Kulturlandschaft keinen Platz. Aber eine breite, strittige Debatte über diesen Konflikt, über internationale Konflikte, dafür muss Raum sein.

In Berlin gab es kurzzeitig eine umstrittene Antisemitismus-Klausel für Kulturförderung, die dann wieder ausgesetzt wurde. Fandest du die richtig oder falsch?

Ich glaube nicht, dass das glücklich formuliert war, aber ich verstehe die Intention dahinter. In München haben wir diese Probleme relativ selten, glaube ich. Aber es gab schon mal Aktionen, bei denen bestimmte Künstler ausgeladen wurden, weil sie wirklich sehr klar gehetzt haben. Da gibt es einfach Grenzen.

Wer diese Grenzen überschreitet, verliert die Unterstützung der Stadt?

Ich glaube nicht, dass man das sehr formalistisch definieren kann. Wir brauchen einen breiten Dialog und die Freiheit der Kunst, aber das kann kein Vorwand sein, rassistisch oder antisemitisch zu hetzen und zu Terror aufzurufen.

Subkultur und (k)ein Schallschutzfonds

München gilt nicht gerade als Hotspot der Subkultur. Auch wenn das früher einmal anders gewesen sein mag – zum Beispiel beim Thema Clubkultur, wo die Stadt auch eine Vorreiterrolle hatte. Die Probleme sind bekannt: hohe Preise, wenig Raum. Das macht es jungen Leuten mit Ideen und kreativer Ader nicht unbedingt leicht, hier zu wirken und zu bleiben. Wie willst du das ändern?

Wir hatten vor einigen Jahren einen Vorstoß zum Thema: Zu einer pulsierenden, lebendigen Großstadt gehört auch eine lebendige Nachtkultur. Der sogenannte Nachtbürgermeister, der jetzt anders heißt und im Sozialreferat angesiedelt ist, ist ein Ergebnis unserer Initiative. Er soll sich um Konflikte in diesem Bereich kümmern und Freiräume schaffen.

Aber ich glaube, wir müssen uns noch mehr bemühen. In Berlin gibt es einen Schallschutzfond von einer Million Euro, damit Clubs überleben können, auch wenn es Anwohner gibt, denen es zu laut ist. Wir haben auch mal vereinbart, dass es hier sowas geben soll, aber die Millionen haben wir momentan nicht.

Langfristige Perspektiven

Ganz allgemein gefragt: Welches Förderprogramm fehlt deiner Meinung nach?

Ich würde nicht sagen, dass etwas völlig fehlt, aber wir hatten eine lange Diskussion mit der Tanz- und Theaterszene: Wie kann man die Förderrichtlinien so verändern, dass sie mit längerfristigen Förderungen rechnen können? Das Kulturreferat hat ein Konzept in der Schublade, das im Moment zwar schwer finanzierbar ist, aber vielleicht in Teilen und Schritten umgesetzt werden könnte. Mit einer langfristigen Förderung müssten sich Kulturschaffende nicht von Jahr zu Jahr hangeln – so stehen sie bei ausbleibender Förderung vielleicht vor dem Nichts.

Eine Idee abseits vom Geldhahn, wie man bessere Kulturpolitik aus dem Kulturreferat heraus machen kann?

Ich bleibe da ungern im Kulturreferat. Ich glaube, dass Kulturpolitik etwas Übergreifendes ist. Die einen verwalten Flächen, die anderen planen neue Stadtteile. Alle müssen zusammenarbeiten, damit der Raum für Kultur als eine notwendige Infrastruktur erkannt wird und nicht nur als Sahnehäubchen.

Wir hatten mal das Konzept eines Kulturbeirats, in dem die Kulturszene, aber auch andere Referate drin sind, wo man sich Ziele gibt, wie man die Stadt kulturell entwickeln kann. Mit den großen Institutionen, aber nicht nur denen, sondern auch der Basis und der Subkultur.

„Mit einer langfristigen Förderung müssten sich Kulturschaffende nicht von Jahr zu Jahr hangeln – so stehen sie bei ausbleibender Förderung vielleicht vor dem Nichts.“

Familie, Fraktionsvorsitz und das Florett im Stadtrat

Du bist Familienvater und hast das immer gut mit deinem Beruf zusammengebracht und nicht versteckt. Wie bringt man das auf einen Nenner?

Meine Kinder, fünf und zehn Jahre alt, lieben auch Kunst. Ich war gerade mit ihnen auf der Biennale in Venedig. Ich nehme sie einfach mit, wenn ich eine Rede halten muss. Mein Sohn hat mal als Berufswunsch gesagt: Wenn ich groß bin, möchte ich immer zu den Ausstellungen gehen, die mein Papa eröffnet.

Du warst von 2001 bis 2007 Vorsitzender der Münchner Grünen und von 2012 bis 2022 Fraktionsvorsitzender der Grünen im Stadtrat. Wirst du etwas vermissen aus dieser Zeit?

Die Situation mit dem aktuellen Haushalt macht uns natürlich in vielen Dingen unfrei. Früher, als Parteivorsitzender, konnte ich auch mal eine Pressemitteilung herausgeben, ohne an die genaue Haushaltslage zu denken. Oder eine Veranstaltung machen, ohne zu viel Rücksicht auf andere zu nehmen. Jetzt muss man viel diplomatischer sein. Das werde ich auch als Kulturreferent vermissen. Ich argumentiere zwar gerne differenziert und abgewogen, aber ab und zu macht mir der gepflegte Schlagabtausch schon Spaß. Zumindest mit dem Florett im Stadtrat.

Als Referent ist man zu mehr Maß verpflichtet?

Natürlich. Aber ich habe mit keiner Fraktion – außer mit der schrecklichen, kleinen AfD-Gruppe – einen Riesenstreit. Auch wenn ich ein Grüner bin und als solcher wahrgenommen werde, mache ich Kulturpolitik für die ganze Stadt und den ganzen Stadtrat. Ich habe gute Kontakte zu den Kulturpolitikern aller Fraktionen.

Bilder: © PR/Florian Roth