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last-minute-Theater-Tipp: Der irre Sound des Dokumentarischen

ACHTUNG: HEUTE LETZTE VORSTELLUNG

Der Fall M. ist mehr als eine Psychiatriegeschichte. Einerseits ist es die Geschichte der Justizopfer Elly Maldaque und Gustl Mollath. Andererseits erzählt Florian Fischer in seiner Abschlussinszenierung anhand von literarischen und dokumentarischen Textfragmenten eine Geschichte über das Erzählen selbst. Dazu montiert er Passagen von Franz Kafka und Ödön von Horváth mit echten Arztbriefen und Prozessakten zu einem bedrückenden Vexierspiel zwischen Dichtung und Wahrheit

fallm

Text von Niklas Barth.

Zunächst ist es dunkel. Ein großer Scheinwerfer sucht durch das Publikum. Es dröhnt. Dann kommen sie herein. Sie zerren Elly M. heraus, ans Licht der totalen Institution, durchleuchten sie und fordern von ihr ein Geständnis. Die junge Lehrerin aus Regensburg – gespielt von einer porzellanfragilen Barbara Dussler auf Speed – hatte doch nur einen unschuldigen Flirt mit dem Kommunismus. Jetzt wird sie von den Hakenkreuzlern in eine psychiatrische Klinik eingewiesen und erwartet ganz verwirrt ihr Urteil. Dussler fällt hin und her gerissen auf der Bühne herum, will sich entziehen, windet sich. Noch die härteste Objektivität muss befragt werden: Wieviel Uhr ist es eigentlich? – fragt sie ihr Publikum. Doch es hilft nichts, die Diagnose sucht sich selbst ihre Bestätigung. Und unsere lieb gewordenen Unterscheidungen beginnen sich aufzulösen: Innen/Außen, krank/gesund, Realität/Fiktion. Kein Halt, nirgends. Da kriecht Dussler am Theaterboden leckend über denselben, um noch irgendeinen Realitätsflash zu bekommen.

Im zweiten Teil des Abends will dann Christopher Heisler als Gustl – der „Mann vom Land“ – Mollath Einlass vor dem Gesetz. „Schade, dass ich nie richtig Kafka gelesen habe“, schreibt Rainald Goetz in Klage. Ich ja leider auch nicht. Aber wo Kafkas Mann vom Land noch demütig kapituliert, rennt Gustl M. zwanghaft wie ein Depp immer wieder gegen die Tür. Heisler gibt den Mollath als liebenswürdige Pappnase, die über die absurde Threatralität seiner eigenen Geschichte stolpert. Mit seinem mobilen Demo-Soundsystem zieht er skandierend über die Bühne. Im Schlepptau hat er ein ganzes Archiv an Akten, im loop hören wir Originalaufnahmen von Gustl M. Doch die Stimme sperrt sich. Und die Briefe – u.a. an Theodor Heuss, irrwitzig! –, die er immer wieder wahnhaft anklagend hervor nestelt, gehen im Stimmengewitter von Krankenakten und Gutachterschreiben unter. Sie erzählen eine andere Geschichte. Oder doch dieselbe? Da spricht durch M. der irre Sound des Dokumentarischen.

Das wunderbar asoziale Bühnenbild von Susanne Scheerer führt uns die transzendentale Obdachlosigkeit der beiden Ms schmerzhaft deutlich vor Augen. Da kauert die eine klaustrophobisch unter einem morschen Kartonagendach in der Ecke, oder der andere verstrickt sich slapstickartig im Aktenmüll. Verbürgt ist in der Moderne nichts mehr, alles will und muss erzählt werden – auch das eigene Ich. Und es wird erzählt. Fischer bringt die brutal objektive Sprache der Behörden auf die Bühne. Und entfaltet dabei äußerst beklemmend den langsam mahlenden Zwang moderner Wahrheitsmechanik. Arztbrief, Krankenakte und richterliche Anordnung bringen Kontinuität in unsere Erzählungen, vor der das Ich dann nur noch unvollständig stottert. Man fängt an, schon recht kauzig, gegen das Urteil zu rebellieren. Der Kontext erzeugt sich seine eigenen Plausibilitätskriterien. Die Diagnose den Wahn. Ein Teufelskreis.

Den Hintergrund für den Fall M. bildet die foucaultsche Pointe von der Perfidie der Aufklärung. Aber Fischer geht es um mehr, als die Horrorgeschichten der Antipsychiatrie wieder aufzuwärmen. Er will nicht den Kerker durch die Klinik ersetzen, oder vulgärlinks die ganze Gesellschaft als Meta-Lager entlarven. Sein Anliegen ist subtiler. Er wundert sich über die Theatralität des Dokumentarischen. Doch erzählt sein Theater auch nicht einfach nur empört die Geschichte zweier Justizopfer nach. Stets wird das Dokumentarische des Theatralen gebrochen und mit der Selbstbezüglichkeit des Theaters konfrontiert. Am Ende erhält man vielleicht so etwas wie eine Art allgemeine Erzähltheorie, die im Erzählen wieder alle Brücken hinter sich einreißt und ihre eigenen Geschichten zur Disposition stellt. In diesen großartig verwirrenden Momenten prallen dann alle Stränge aufeinander. Etwa wenn man entsetzt vorgeführt bekommt, wie der Wahnsinn des „Falls M.“ auf den mit seiner Dattelorange ja schon sauirr daherkommenden Mollath selbst knallt. Hat der sie eigentlich noch alle? Eine Dattelorange? Das ist schon alles herrlich absurd. Oder etwa doch nicht?

Der Fall M. Eine Psychiatriegeschichte. Eine Abschlussinszenierung der OFS im Werkraum der Kammerspiele München.

Nach Franz Kafka, Ödön von Horváth
Werkraum, 10.3.2014 20h
OFS-Abschlussinszenierung
Regie: Florian Fischer

Ein Abend von Florian Fischer, Susanne Scheerer, Ludwig Berger, Christine Milz, Tobias Staab, Bastian Beyer, Barbara Dussler, Jonas Grundner-Culemann, Christopher Heisler, Caroline Tyka, Franziska Lutz, Christian Schweig

Foto von Federico Pedrotti

Nicht vergessen:
Heute (Montag der 10.4.) findet um 20:00 die letzte Vorstellung statt. Ihr solltet euch beeilen, um das Stück noch zu sehen.

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