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Meinungsmache

Regina Karl
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Zwei Premieren am Wochenende: Wenn es um den politischen Meinungszirkus geht, soll uns im Volkstheater bei Ibsens „Volksfeind“ ein Licht aufgehen. René Pollesch dagegen lässt bei “XY Beat” die Zuschauer in den Kammerspielen im Dunkeln.

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Feuilletons, akademischer Mittelbau und Pop-Literatur, alle reden sie momentan über das eine: den political turn. Lange sind sie vorbei, die Zeiten, als das Denken noch das Handeln bestimmt hat und man mit ein wenig vernunftgeleiteter Kritik und ein bisschen schmutzige Wäsche Waschen ganze Regierung in die Knie gezwungen hat. Nein, nein, heute setzt man nicht mehr beim Denken sondern gleich beim Sprechen an, wenn es darum geht, politisch zu sein. Wer keine Stimme hat, der hat auch keinen Platz in der Politik, gezählt wird nur der, den man auch hört.

In diesen Chor stimmt nun auch die Münchner Theaterlandschaft ein, nimmt ihren vermeintlich politischen Bildungsauftrag dabei jedoch manchmal ein bisschen zu ernst.

So zum Beispiel am vergangenen Donnerstag im Volkstheater bei der Premiere von Ibsens „Ein Volksfeind“ unter der Regie von Bettina Bruinier. Es ist schon komisch, dass wir, das Volk, sobald man politisch mal wieder nur in trüben Gewässern schwimmt, den einen großen Helden benötigen, der uns aus dieser Lethargie reißt. So auch Ibsens Stockmann, der aller Politmache und Volksverhetzung zum Trotz versucht, einen Umweltskandal in seinem idyllischen Kurort aufzudecken. Stockmann sagt die Wahrheit, die Politikmache degradiert ihn zum Lügner und das Volk lässt ihn zum Volksfeind ausrufen. Ironie des Schicksals, doch was ein echter Held ist, trägt´s mit Fassung und so bleibt Stockmann am Ende denn auch lieber unter Feinden wohnen, als mit seiner Familie ins vielbeschworene Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und Meinungen, auszuwandern. Statt mit der Umkehrbarkeit von Wahrheit und Lüge zu spielen, greift Bruinier in ihrer Inszenierung jedoch zielsicher jede Plattitüde aus Ibsens Drama heraus und transponiert sie schlicht ins 21. Jahrhundert.

Digitale Medien, wie Wikipedia, youtube und die unübersichtliche Schwemme aus Online-Nachrichten sind es, die uns manipulieren. Allsichtbar wird das Internet vom Laptop auf die Bühnenwand projiziert und doch verliert jeder den Überblick, wenn die Google-Recherchen des Zeitungspraktikanten Billing (Stefan Ruppe) zwischen „Postgeheimnis“, „William Hogwarth“ und „nude party“ mäandern. „Die Wahrheit ist eine Frage der Darstellung“, sagt „Volksboten“-Chefredakteur Hovstad (Jean-Luc Bubert) und ja, wir haben längst die Kontrolle über das verloren, was uns an Informationen aus Politik, Wirtschaft und Sport zugespielt wird.

Wenn solche Statements jedoch mit hochpathetischem Gestus ins Publikum deklamiert werden und am Ende bei hell erleuchtetem Saal das Publikum mit abstimmen darf, ob er nun ein Volksfeind ist oder nicht, der Stockmann (Friedrich Mücke), hält die Volksverdrehung wohl langsam ihren Einzug nicht nur in der Medien- sondern auch der Theaterlandschaft. In einer Zeit, in der man doch längst weiß, das Lug und Betrug ganz oben auf der Agenda stehen, kommt Bruniers Versuch, das Publikum endlich wach zu rütteln, leider zu spät. Der Diskurs ist schon weitergetrabt und hat nicht etwa da halt gemacht, wo der im Programmheft zitierte Colin Crouch in den 90ern unter Postdemokratie noch eine medienmanipulierte Politlandschaft versteht.

Heute ist Post-Postdemokratie, eine Demokratie, in der man eigentlich alles sagen darf, in der man sich überall immer mit allen Informationen versorgen kann, in der nun wirklich jeder mit seiner ganz individuellen Wahrheit sein Plätzchen findet. Ein geradezu paradiesischer Zustand freier Meinungsäußerung. Diskurs, baby! Und wo der Diskurs, da René Pollesch nicht weit. Am Samstag Abend in den Kammerspielen hat er in seinem neuen Stück „XY Beat“ mal wieder bewiesen, dass er sie alle gelesen hat, die Rancières, Badious und Disco-Popper, die in der absoluten Meinungsfreiheit noch irgendwie versuchen, Politik und Subkultur zu machen.

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Pollesch steckt seine vier Schauspieler (Silja Bächli, Katja Bürkle, Benny Claessens, Fabian Hinrichs) abwechselnd in seidene Kimonos und glitzernde Discoutfits. Das ergibt unterm Strich mehr Show als Theater. Seine Figuren lässt er dabei zu dem werden, was sie eigentlich sind, nämlich nicht etwa Figuren, sondern bloß sprechende Körper. Alle vier suchen sie nach etwas, dass „an Ungenauigkeit noch unter der Meinung“ angesiedelt ist, alle vier plappern sie um ihr Leben. Statt Meinung fordern sie Klatsch und Tratsch im Treppenhaus.

Und irgendwie geht Polleschs Plan, die Meinungsmache nicht etwa zur Moralkeule sondern zum Treppenwitz der Gesellschaft zu machen, sogar auf: Schwitzend, stöhnend und keuchend stehen die vier Glamourpuppen am Ende der Vorstellung vor der Bühne. Wenn die Meinung wegfällt, bleibt nur noch sinnloses Gefasel. Den Diskurs des Politischen  auf die Bühne bringen,das ist eben doch ein Ding der Unmöglichkeit. Dieses Licht geht einem nicht auf, wenn im Volkstheater die Strahler plötzlich aufs Publikums gelenkt werden, sondern man die Spots einfach mal ausknipst, so wie das Pollesch in seiner Inszenierung tut.

Die Politik, die ist mittlerweile wohl genau da, wo wir nicht sind, wo wir sie weder sehen noch hören können.

……..

Foto: Arno Declair, Julian Röder

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