Kultur, Nach(t)kritik

Nationaltheater im Rauschzustand

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Les Contes d'HoffmannSpätestens im Antonia-Akt hätte man eine Stecknadel fallen hören können, so gebannt war das Publikum von der Vorstellung. Die 2000 Zuschauer waren so berauscht, dass die Erkälteten das Husten vergaßen und die notorischen Plapperer das Getuschel.
Dabei war die einzige Droge, die an diesem Abend verabreicht wurde, legal: die Musik.

Lediglich der junge Mann neben mir war dagegen immun. Er fiel vor allem dadurch auf, dass er mehr auf seine Uhr und hinter sich schaute als nach vorne auf die Bühne und am Ende sofort aufsprang, ohne ein einziges Mal geklatscht zu haben. Er saß ganz klar nur seine Zeit ab, schade, dass dafür vielleicht jemand keine Karte bekommen hat, der sich mehr darüber gefreut hätte.

Das Libretto basiert auf Erzählungen von E.T.A. Hoffmann. Der Dichter selbst ist die Hauptfigur, er sitzt mit seinen Saufkumpanen in seiner Lieblingskneipe und wartet auf seine große Liebe Stella. Diese ist Sängerin und singt gerade die Donna Anna in “Don Giovanni” und weil diese Oper bekanntermaßen ziemlich lange dauert, vertreibt man sich die Zeit mit Erzählungen von früheren Liebschaften Hoffmanns. Da ist zuerst einmal Olympia, eine Puppe, was Hoffmann, der die Welt im wahrsten Sinne des Wortes durch die rosarote Brille sieht, aber nicht erkennt. Er verliebt sich in sie und muss zusehen, wie sie zerstört wird. Die nächste ist Antonia, die sich buchstäblich zu Tode singt. Die letzte ist Giulietta, eine Kurtisane, die Hoffmann sein Spiegelbild klaut und sich auch generell nicht als seiner Liebe wert erweist. Am Ende sitzen alle wieder in der Kneipe, Stella haut mit einem Anderen ab und Hoffmann bleibt allein zurück. Man sieht schon, die Oper ist nicht wirklich lustig.

Mir gefällt die Inszenierung von Richard Jones wirklich gut. Es gibt kleine feine Regieeinfälle, wie Niklausse/Muse, die ein junges Ebenbild von Hoffmann ist. Allerdings habe ich irgendwie verpasst, dass sie, wie in der Einführung erwähnt, die Bösewichte einführt, um Hoffmann zurück zum Schreiben zu bringen. Auch die drei Studenten, die in jedem Akt auf der Bühne sind, zwar nichts sagen, aber durch ihre Handlungen quasi Kommentare zum Bühnengeschehen abgeben, hatten Pfiff. Die Bühne (Giles Cadle) ist eine Raum mit daneben liegendem Korridor, der in Grundzügen immer gleich eingerichtet ist, aber für jeden Akt einen eigenen Charakter erhält. Mal sind es die Farben, mal die Dimensionen, die sich ändern. Die Kostüme von Buki Shiff sind passend, lediglich für Frau Damrau als Antonia und Giullietta hätte ich mir gewünscht, dass man für sie etwas Schöneres entwirft. Ganz besonders gut hat mir das Licht von Mimi Jordan Sherin gefallen, das wirklich ausgezeichnete Akzente setzte.

Hatte ich im Olympia-Akt noch den Eindruck, dass nicht alle Akteure auf Hochtouren laufen würden, wurde ich schon im Antonia-Akt eines besseren belehrt. Ein ständiges Gänsehautgefühl begleitete mich von nun an. Rolando Villazón belehrte all jene Pharisäer eines Besseren, die ihm höchstens zwei Vorstellungen zugetraut hatten. Er sang auch in dieser letzten, sechsten zwar vielleicht am Limit, aber immer elegant und strahlend. Ich bin ja generell ein Fan der tieferen Stimmen, aber an diesem Abend hatte der Tenor ganz klar die Nase vorn. Diana Damrau war als Antonia einfach göttlich, ich glaube nicht, dass man das expressiver Singen und Spielen kann. Auch die anderen beiden Akte gestalte sie außerordentlich gut und machte damit deutlich, was für eine Ausnahmekünstlerin sie ist. Die Entdeckung des Abends war für mich jedoch Angela Brower als Niklausse/Muse, die ich ja schon in einigen Rollen am Haus erleben konnte. Diesen Namen wird man sich merken müssen. John Relyea, der die Bösewichte darstellte, blieb stimmlich und szenisch ein wenig hinter den andern zurück, war aber immer noch auf hohem Niveau. Von den kleineren Rollen hat mir Kevin Conners besonders gut gefallen, der trotz der sicher anstrengenden Endproben für die nächste Premiere sehr frisch und agil wirkte. Der Chor, einstudiert von Sören Eckhoff, litt ein bisschen unter einzelnen Stimmen, die sich nicht ins große Ganze einfügen wollten, war aber insgesamt ok. Constantinos Carydis leitete das Orchester sehr sängerfreundlich und ließ Offenbachs Melodien noch lange in mir nachklingen.

Am Ende gab es Standing Ovations für das gesamte Ensemble, absolut berechtigt. Ein toller Abend, den das Publikum (hauptsächlich auf den Rängen, das Parkett leerte sich leider rasch) mit sehr, sehr lang anhaltendem Applaus würdigte. Es gibt noch zwei weitere Vorstellungen währen der Opernfestspiele am 19. und 23. Juli 2012, der schriftliche Vorverkauf beginnt am 1. Februar 2012. Wer sich schon vorher ein Bild von diesem tollen Opernereignis in München machen will, hat dazu am 29.12.2011 Gelegenheit, Arte strahlt dann um 22 Uhr einen Zusammenschnitt zweier Vorstellungen aus.

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